Zürich (idw) - Die Hominiden aus dem georgischen Dmanisi sind die frühesten
Vertreter unserer Gattung ausserhalb Afrikas. Neue Funde zeigen jetzt, dass diese ersten Europäer schon gehen
und laufen konnten wie moderne Menschen. Die Studie, an der Forscher des Anthropologischen Institutes der Universität
Zürich beteiligt waren, erscheint am 20.9.2007 in "Nature".
Bis jetzt stützten sich die Kenntnisse über die ursprünglichste Population des Homo erectus, die
Dmanisi-Menschen, vor allem auf Schädel- und Kieferfunde. Teile des restlichen Skeletts, des so genannten
postkranialen Skelettes, hatte man noch nicht gefunden, so dass nur wenig über den zweibeinigen Gang, die
Arme und Hände bekannt war. Im letzten Jahr sind nun auch Teile des Rumpfskeletts und der Gliedmassen von
vier Dmanisi-Hominiden gefunden worden. Viele dieser Knochen wurden bei fossilen Hominiden zum ersten Mal entdeckt.
Diese neuen Funde konnten dank individueller anatomischer Merkmale den früher gefundenen Schädeln zugeordnet
werden. "Erstmals lässt sich aus diesem Puzzle ein Gesamtbild des Skelettes der Plio-Pleistozänen-
Hominiden rekonstruieren", erklärt Prof. Christoph P.E. Zollikofer, der zusammen mit Marcia S. Ponce
de Léon und Tea Jashashvili von der Universität Zürich dem internationalen Forschungsteam angehört.
Dmanisi-Hominiden waren klein und hatten kleines Gehirn Die Analysen der neuesten Funde zeigen, dass die Dmanisi
nur etwa 150 Zentimeter gross waren. Sie waren also kleiner als der afrikanische Homo erectus. Erstaunlich klein
war auch das Gehirn der Dmanisi- Hominiden, zwischen 600 und 800 Kubikzentimeter, während das des modernen
Menschen zwischen 1200 und 1800 Kubikzentimeter misst. Im Vergleich zur Körpergrösse war ihr Gehirn so
klein wie das der allerersten Vertreter der Gattung Homo aus Afrika, auf jeden Fall kleiner als das des Homo erectus
in Afrika und Asien.
Gehen und laufen wie moderne Menschen Einer der erstaunlichsten Befunde ist, dass die Dmanisi-Hominiden im Wesentlichen
bereits die gleichen Körperproportionen wie moderne Menschen hatten: die Beine sind bedeutend länger
als die Arme und die Oberschenkel sind länger als die Oberarme. Die Wirbelsäule zeigt ebenfalls die Form
eines S, und das Fussgewölbe ist gut ausgebildet. "Alle diese Merkmale sind ein untrügliches Zeichen
für den federnden zweibeinigen Gang, der es erlaubt, weite Strecken gehend, laufend oder rennend zurückzulegen",
fasst Prof. Zollikofer zusammen.
Schultern und Arme unterscheiden sich Die Schultern und Arme der Dmanisi-Menschen waren hingegen auf subtile Weise
anders gebaut als bei uns. Beim modernen Menschen liegen in Ruhestellung die Schulterblätter am Rücken,
während gleichzeitig die Handflächen nach innen gedreht sind. Dies wird durch eine starke Torsion des
Oberarmknochens gewährleistet. Damit kann die Aussendrehung des Schultergelenks durch eine Innendrehung des
Ellbogengelenks kompensiert werden. Bei den Dmanisi-Hominiden wiesen die Oberarmknochen keinerlei Torsion auf;
gleichzeitig waren die Schulterblätter aber so gebaut, dass sie mehr Bewegungsfreiheit erlaubten. "Funktionell
können wir zurzeit nur soviel sagen, dass sich die Armbewegungen der Dmanisi-Hominiden von unseren unterschieden",
erklärt Prof. Zollikofer. "Sie hinderten die Hominiden aber nicht daran, verschiedenste Steinwerkzeuge
herzustellen und Grosswildknochen aufzubrechen, um ans Mark zu gelangen."
Aus der Gegenwartsperspektive erscheinen uns die Dmanisi-Hominiden also als eigenartige Mosaikwesen, die moderne
und altertümliche Merkmale in ein und demselben Körper vereinen. Aus der Perspektive der Dmanisi-Hominiden
war das natürlich nicht der Fall. Sie waren Menschen, die an ihre Umgebung gut angepasst waren und über
eine Sozialstruktur und kognitive Fähigkeiten verfügten, die auch das Überleben von alten und behinderten
Gruppenmitgliedern ermöglichte. |