Stuttgart (idw) - Wie Medikamente wirken und ob sie Nebenwirkungen haben,
wird in der frühen Entwicklungsphase in Tierversuchen getestet. Fraunhofer- Forschern ist es gelungen, ein
dreidimensionales Lebermodell mit einem funktionierenden Blutkreislauf zu entwickeln. Dies ermöglicht erstmals
aussagekräftige Untersuchungen neuer Wirksstoffe an menschlichem Lebergewebe. Das Lebermodell wird auf der
Biotechnica (9.- 11. Oktober in Hannover, Halle 9) vorgestellt.
Pharmaunternehmen investieren viel Geld in die Entwicklung neuer Medikamente. Um zu untersuchen, wie die neuen
Substanzen wirken, setzen die Forscher meist auf Tierversuche. Doch der Körper einer Maus oder eines Schweins
reagiert anders als der menschliche Körper. Auch Tests an künstlichen oder unsterblichen (immortalisierten)
Zellkulturen aus menschlichen Zellen liefern nur bedingt aussagekräftige Ergebnisse. Wissenschaftlern des
Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB ist es gelungen, unterschiedliches
menschliches Gewebe wie Haut, Leber und Darm herzustellen. Für Medikamententests ist das Lebermodell besonders
interessant. Die Besonderheit des Systems: Das "künstliche" Gewebe besitzt ein funktionelles Netzwerk
von Blutgefäßen. Fachleute bezeichnen das als 3-D vaskularisiertes Lebermodell.
Doch wie lassen sich dreidimensionale Gewebemodelle mit Blutversorgung herstellen? Die Wissenschaftler nutzen dafür
ein Stück eines Schweine-Dünndarms, das über eine Arterie für die Blutzufuhr und eine Vene
für die Ableitung verfügt. Dann entfernen sie die tierischen Zellen, so dass neben neben den Proteinen
der Bindegewebsschicht nur die Röhren des Gefäßsystems bleiben, das sich wie ein Fächer bis
in feinste Kapillare verästelt. Dieses Geflecht kleiden die Wissenschaftler, ähnlich wie beim lebendigen
Vorbild, von innen mit menschlichen Endothelzellen aus. So bald im Gefäßsystem künstliches Blut
zirkuliert, können auf der Matrix Zellen der unterschiedlichsten Organe heranwachsen. Da das Gewebe über
ein eigenes Blutkreislaufsystem verfügt, kann man es im Bioreaktor wochenlang am Leben erhalten. Ein Computer
steuert den arteriellen Druck, die Temperatur und Fließgeschwindigkeit.
An dem Lebermodell lässt sich untersuchen, ob beim Abbau der neuen Wirkstoffe etwa giftige Substanzen entstehen,
die zu unerwünschten Nebenwirkungen führen. Das Testsystem arbeitet ähnlich wie die menschliche
Leber. Über die Arterie gelangen Nährstoffe, Sauerstoff und die zu untersuchenden Wirkstoffe in die künstliche
Leber. Dort bauen Leberzellen die Substanzen ab. Über die Vene werden die Stoffwechselprodukte abtransportiert.
"Das Modell ermöglicht erstmals, Medikamente wie im menschlichen Körper, physiologisch mit den Zellen
in Kontakt zu bringen und die entstehenden Abbauprodukte nach der Umwandlung durch die Zellen zu analysieren",
erläutert Prof. Dr. Heike Mertsching vom IGB. Mit dem Gewebemodell lässt sich sogar untersuchen, ob Langzeiteffekte
auftreten und welche Auswirkungen die mehrfache Gabe eines Wirkstoffs hat.
"Das Testsytem hilft frühzeitig in der Medikamententwicklung toxische oder nicht wirksame Substanzen
zu identifizieren. Das spart Kosten", so Prof. Mertsching. Weiterer Vorteil: Die Ergebnisse lassen sich besser
auf den Menschen übertragen.
Auf der Biotechnika informieren Fraunhofer-Forscher in Halle 9, Stand E29 über die dreidimensionalen Gewebesysteme.
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