Bonn (idw) - Schon Einstein erkannte, dass die Raumzeit durch große Massen verbogen wird, so dass
Lichtstrahlen oder Radiowellen scheinbar wie durch eine Linse abgelenkt werden. Mit diesem Gravitationslinsen-Effekt
fahnden Physiker heute beispielsweise nach erdähnlichen Planeten. An der Universität Bonn hat nun eine
neue Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe ihre Arbeit angetreten. Die Forscher wollen unter anderem untersuchen, wie extrem
weit entfernte Galaxien mit Milliarden von Sternen die Raumzeit verbiegen. So können sie erkennen, wie Galaxien
altern - und vielleicht Rückschlüsse auf die rätselhafte dunkle Materie ziehen.
Dass große Massen die Ausbreitungsrichtung von Lichtstrahlen beeinflussen, hat man erstmals 1919 bei einer
totalen Sonnenfinsternis nachgewiesen: Die Sterne, die am Rand unseres verdunkelten Zentralgestirns zu sehen waren,
schienen weiter voneinander entfernt als normalerweise am Nachthimmel. Grund: Das von ihnen ausgehende Licht war
zur Sonne hin abgelenkt worden. Einstein hatte dieses Phänomen schon 1916 in seiner allgemeinen Relativitätstheorie
vorhergesagt. Aus ihr lässt sich unter anderem herleiten, dass die Gravitation die Raumzeit "verbiegt":
Wellen breiten sich scheinbar nicht mehr gradlinig aus, sondern werden abgelenkt - fast, als würden sie einer
Masseanziehung unterliegen.
Weit entfernte Gravitationslinsen scheinen von der Erde aus nahezu punktförmig. Bei ihnen kann ein merkwürdiger
Effekt auftreten: Wenn Objekte hinter ihnen stehen, die Licht- oder Radiowellen aussenden, können diese Wellen
auf mehreren Wegen um die Linse herumlaufen. Im Teleskop sieht man dann beispielsweise zwei Bilder ein und desselben
Objekts. "Wir durchsuchen den Himmel nach derartigen Doppelstrukturen", erklärt der Leiter der Emmy-Noether-Gruppe
Dr. Olaf Wucknitz. "Dabei versuchen wir herauszufinden, ob es sich tatsächlich um zwei Quellen handelt
oder um eine einzige - ob also eine Gravitationslinse die Ursache ist."
Halo aus dunkler Materie
Denn derartige "gelinste" Bilder verraten Experten viel über die Linse selbst. "In
der Regel handelt es sich dabei um weit entfernte Galaxien mit Hunderten von Milliarden Sternen von der Größe
unserer Sonne", erläutert Wucknitz. "Je nach Masseverteilung in dieser Galaxie werden die Bilder
von der dahinter liegenden Quelle unterschiedlich verzerrt. Wir erfahren also, wie die Linsen-Galaxie aufgebaut
ist, selbst wenn man sie mit Hilfe eines Teleskops direkt gar nicht sehen kann." Dank dieser Methode wissen
Astrophysiker heute beispielsweise, dass Galaxien von einem Halo aus dunkler Materie umgeben sind. Auch Planeten
lassen sich durch diesen Linseneffekt finden.
Wucknitz beschäftigt sich schon seit seinem Studium in Hamburg mit Gravitationslinsen. Promoviert hat er bei
einem der Pioniere auf diesem Gebiet, Professor Dr. Sjur Refsdal. Seine Doktorarbeit schrieb er unter anderem beim
namhaften Jodrell Bank-Radioteleskop in Manchester. Auch danach blieb er der Radioastronomie treu - zuletzt durch
seine Mitarbeit im europäischen Forschungsnetzwerk "ANGLES".
Den roten Faden seiner wissenschaftlichen Tätigkeit bilden aber die Gravitationslinsen. Diese möchte
er nun unter anderem mit Hilfe des neuen Radioteleskops LOFAR erforschen. Das Akronym steht für Low Frequency
Array, einen Zusammenschluss neuartiger Teleskope, die für niedrigfrequente Radiowellen empfindlich sind.
Initiiert wurde das Projekt durch die Niederlande, wo auch die meisten der fußballplatzgroßen Antennenfelder
stehen werden. "Aber auch in Deutschland werden LOFAR-Teleskope errichtet - beispielsweise neben dem Observatorium
des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in Effelsberg", sagt Wucknitz. "Wenn man diese Antennenfelder
zusammen schaltet, kann man den Himmel systematisch und mit großer Auflösung nach gelinsten Radioquellen
durchmustern."
Letztlich könnten seine Forschungsergebnisse auch etwas über die Jugendjahre unserer eigenen Galaxie
verraten, der Milchstraße. Denn ein Blick in die Tiefen des Alls ist immer auch ein Blick in die Vergangenheit:
Viele Milliarden Jahre sind Radiowellen von den Rändern des Universums unterwegs, bis wir sie auf der Erde
auffangen. Entsprechend "veraltet" sind die Informationen, die sie liefern. "Wir erkennen so, wie
die Linsen-Galaxien vor langer Zeit aussahen", betont Wucknitz. "Je näher die Linse, desto aktueller
das Bild, was wir uns von ihr machen. Wir können so erkennen, wie Galaxien altern - und wie sie sich dabei
verändern." |