Jülich (universität) - Jülicher Forscher haben erstmals den
Aufbau einer Synapse - der Kontaktstelle zwischen Nervenzellen - im Hippocampus bis ins kleinste Detail analysiert
und in einem virtuellen 3D-Modell nachgebaut. Die fünfjährige Arbeit liefert neben dem einzigartigen
Blick in das Innenleben einer Synapse im Gehirn eine für die Neurowissenschaftler ernüchternde Erkenntnis:
Die Vorstellung einer Modellsynapse für das Gehirn muss wahrscheinlich endgültig verworfen werden.
Neurowissenschaftler hatten die Hoffnung, die bislang am besten untersuchte Synapse des Zentralnervensystems, die
Held'sche Calyx, könnte als Standardmodell für Funktion und Struktur aller Synapsen genutzt und für
Simulationen verwendet werden. "Leider stellt sich mehr und mehr heraus, dass die Held'sche Calyx eher die
Ausnahme als die Regel repräsentiert", sagen Astrid Rollenhagen und Joachim Lübke vom Jülicher
Institut für Neurowissenschaften und Biophysik.
Die Wissenschaftler belegen dies jetzt im Fachmagazin Journal of Neuroscience. Dort präsentieren sie gemeinsam
mit Kollegen den detaillierten Aufbau einer anderen Synapse mit einem zwar ähnlich exotischen Namen, aber
ansonsten deutlich anderer Struktur: der Moosfaserbouton, benannt nach dem moosförmig gelappten Endknöpfchen
der Nervenfaser (bouton frz. für Knöpfchen).
Ganze fünf Jahre dauerte der aufwändige, detaillierte virtuelle Nachbau der Synapse, der weltweit überhaupt
nur von einer Hand voll Labore auf ähnliche Weise geleistet werden kann. Die Jülicher Forscher fertigten
Ultradünnschnitte aus winzigen Hirnstückchen des Ratten-Hippocampus an und übertrugen digitale Bilder
der Schnittserien in einen Hochleistungsrechner. Per Hand zeichneten die Wissenschaftler am Bildschirm jede einzelne
synaptische Struktur nach und erstellten ein dreidimensionales Computermodell des Moosfaserboutons.
Die Analyse dieser Strukturen offenbart, warum die Held'sche Calyx als Standardmodell nur begrenzten Nutzen hat
und warum sich eine Synapse wohl grundsätzlich nicht als Standardmodell eignen kann. "Die Plastizität
ist beim Moosfaserbouton völlig anders und lässt sich mit dem unterschiedlichen strukturellen Aufbau
erklären", sagt Astrid Rollenhagen. "Er ist in Lern- und Gedächtnisprozesse eingebunden und
muss daher flexibler auf eingehende Signale reagieren, als die am Richtungshören beteiligte Held´sche
Calyx."
Obwohl der Moosfaserbouton etwa 15-mal kleiner ist als die Held'sche Calyx, enthält er relativ zur Größe
viel mehr synaptische Bläschen - Vesikel -, welche einen Botenstoff enthalten, mit dem Signale übertragen
werden. "Die Pools an schnell verfügbaren und recycelbaren Vesikeln sind außerdem etwa acht mal
größer als in der Riesensynapse", sagt Joachim Lübke. Auch die Bereiche, an denen die Botenstoffe
in den sogenannten synaptischen Spalt freigesetzt werden, sind im Vergleich zur Held'schen Calyx teilweise größer,
liegen dichter zusammen und sitzen auf dornenartigen Strukturen ("Spiny excrescenses").
Der ausgeschüttete Transmitter, hat dort weitgehend freie Bahn und kann auch benachbarte Zonen aktivieren,
die kein direktes Signal erhalten haben (synaptischer Crosstalk). Auch die Ausläufer der Gliazellen - spezialisierte
Stützzellen, die die Signalweiterleitung beeinflussen können - dringen nicht bis zu den aktiven Zonen
vor.
Nach dem Moosfaserbouton untersuchen Astrid Rollenhagen und Joachim Lübke mit ihren Kooperationspartnern nun
einen dritten Synapsentyp in einer anderen Hirnstruktur, der Großhirnrinde. Schon jetzt zeigt sich: Auch
diese Synapsen sind entsprechend ihrer Funktion anders aufgebaut. Damit wird immer klarer: Der Traum von der Modellsynapse
ist wahrscheinlich endgültig ausgeträumt. Joachim Lübke: "So wie es jetzt aussieht, müssen
wir in den sauren Apfel beißen und jede einzelne Synapse in ihrem neuronalen Netzwerk detailliert analysieren.
Denn nur wenn wir wissen, wie sie aufgebaut sind, werden wir wirklich verstehen, wie Synapsen funktionieren." |