Berlin (bmeia) - "Österreich hat sich gegen Atomenergie entschieden.
Wir sehen darin keine sichere und nachhaltige Energiequelle. Nichtsdestotrotz: wir alle stehen vor einem neuen
Aufschwung der Atomenergie. Das ist weder österreichische Schwarzmalerei noch ein "Wunschtraum"
der Atomindustrie. Das ist ein Faktum. 439 Atomreaktoren sind heute in Betrieb, 30 Reaktoren sind in Bau, bis 2030
könnte die Zahl der Reaktoren laut Prognosen der Internationalen Atomenergiebehörde um über 50%
steigen. Mit jeder zusätzlichen Urananreicherungsanlage steigt aber die Gefahr des Missbrauchs für Waffenzwecke
oder Terrorismus." Mit diesen deutlichen Worten skizzierte Außenministerin Ursula Plassnik in ihrer
Einführungsrede zum internationalen Workshop "Nukleare Brennstoffversorgung - eine Gefahr für die
Nichtverbreitung?" im Auswärtigen Amt in Berlin die nukleare Herausforderung an die internationale Staatengemeinschaft.
Auf Einladung ihres Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier präsentierte Plassnik die österreichische Initiative
zur Multilateralisierung des nuklearen Brennstoffkreislaufs vor Politikern, Wissenschaftlern und Vertretern der
Nuklearindustrie aus mehreren europäischen Ländern sowie Vertretern der Europäischen Parlaments
und der Kommission. Die Außenministerin betonte, dass sich Österreich trotz seiner klaren Haltung gegen
die Nutzung der Atomenergie mit Nachdruck für Abrüstung und Nichtweiterverbreitung von riskanter Atomtechnologie
engagiere. "Wir mögen zwar von unterschiedlichen Ausgangspunkten kommen, wir teilen aber dieselben Sorgen
um unsere Sicherheit. Unser gemeinsames Ziel muss daher ein Mehr an Zusammenarbeit und ein Mehr an Transparenz
sein. Wir dürfen die Gefahr durch die Nukleartechnologie und die Hinweise auf einen neuen Rüstungswettlauf
nicht als gleichsam schicksalhaft und unabänderlich hinnehmen. Wir können - und müssen - gemeinsam
einen effektiven multilateralen Kontrollmechanismus schaffen, der proliferationsfest ist und nicht nur Sicherheit,
sondern auch Vertrauen schafft", erklärte Plassnik mit Hinweis auf das internationale Misstrauen über
die wahre Natur des iranischen Nuklearprogramms.
Plassnik sparte in diesem Zusammenhang auch nicht an Kritik an die eigenen Reihen: "Es ist enttäuschend,
dass sich die Europäische Union beim UNO-Abrüstungskomitee nicht darauf einigen konnte, ein klares Bekenntnis
zur "Vision einer Welt ohne Atomwaffen" abzugeben. Die Ziele der Nichtweiterverbreitung und der Reduktion
der Waffenarsenale gehören wieder an die Spitze der globalen Agenda. Hier ist eine glaubhafte Wiederbelebung
des Multilateralismus gefordert. Wie können wir glaubwürdig von anderen Verzicht verlangen, wenn manche
europäische Staaten offenbar selbst nicht bereit sind, auf Atomwaffen zu verzichten?"
Österreich schlägt eine neue globale "Sicherheitspartnerschaft" im Nuklearbereich vor. Diese
soll zusätzlich zum Kontrollsystem der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) - dessen Grenzen durch
die Fälle Irak, Nordkorea und des Iran deutlich wurden - etabliert werden. In einem ersten Schritt soll das
IAEO-Kontrollsystem ausgebaut und alle Stufen des Brennstoffzyklus verpflichtend bei der Atombehörde angezeigt
werden. Parallel dazu würde die IAEO durch eine schrittweise Multilateralisierung zur einzigen legalen Quelle
für den Bezug von angereichertem Uran und nuklearem Brennstoff werden. Durch die Übernahme der Versorgungsgarantie
durch die IAEO entfällt die Notwendigkeit nationaler Anreicherungsanlagen. Schließlich soll die Kontrolle
über alle existierenden zivilen Anreicherungs- und Wiederaufbereitungszentren direkt an die IAEO übertragen
werden.
"Das Ziel ist Transparenz und Kontrolle über den gesamten nuklearen Brennstoffzyklus. Das ist ein anspruchsvolles
Projekt, aber der Blick zurück in die Europäische Geschichte kann uns hier als Ansporn dienen. Mit dem
Entschluss der Gründungsmitglieder der europäischen Integration zur Vergemeinschaftung der kriegswichtigen
Kohle- und Stahlindustrie begann vor 50 Jahren die europäische Erfolgsgeschichte. "Wie damals die Gründungsväter
der EU brauchen wir heute im Bereich der nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung mutige und einschneidende
Schritte, um internationale Spannungen abzubauen und Vertrauen zu erzeugen", so Plassnik. |