Schüssel:
Mitbestimmung, Wahlfreiheit und Differenzierung müssen gesichert sein
Neugebauer: Schulpartnerschaft muss konkret gelebt werden - Cotolezis-Schlager: Durchlässigkeit
unseres Bildungssystems wichtiger als Türschild
St. Wolfgang (övp-pk) - Der zweite Tag der ÖVP- Klubklausur in St. Wolfgang wurde am 05.10.
mit einer Bildungsdiskussion unter dem Motto "Fördern. Fordern" begonnen. "Die Mitbestimmung
der Betroffenen, die Wahlfreiheit der Eltern und die Differenzierung müssen gesichert sein", bekräftigt
ÖVP- Klubobmann Dr. Wolfgang Schüssel. "Es wäre absurd, für alle Talente und Begabungen
einen einzigen Schultyp zu kreieren", so Schüssel in der Diskussion mit ÖVP-Bildungssprecher Fritz
Neugebauer, der Wiener Stadträtin Mag. Katharina Cortolezis-Schlager, dem Grazer Stadtrat Werner Miedl, der
Vorsitzenden der AHS-Lehrergewerkschaft Eva Scholik und dem Bildungsexperten Dr. Alexander Jehn vom Kultusministerium
Hessen.
"Es ist eine tolle Idee, dass die Hauptschulen mit den Oberstufen stärker kooperieren", so Schüssel.
Interessant ist für ihn der Ansatz, die Hauptschulen verstärkt auf die Berufsbildung zu orientieren.
Er fordert auch eine "größere Offenheit für Schulen, damit die Schülerinnen und Schüler
neugierig werden". Vorstellen kann er sich beispielsweise, Praktiker aus der Wirtschaft und native speakers
für die Ausbildung in Schulen zu holen. Der ÖVP- Klubobmann plädiert weiters für den Respekt
und die Anerkennung für Lehrerinnen und Lehrer. Denn für Schüssel steht fest: "Es ist unsere
gemeinsame Aufgabe, den jungen Menschen die beste nur denkbare Ausbildung mit auf den Weg zu geben." Und Schüssel
betont weiter: "Es geht um den ganzen Menschen, die ganzheitliche menschliche Bildung." In dem Zusammenhang
spricht er die Aufwertung des Musischen an. Mehr Beachtung wünscht sich Schüssel auch für die vorschulische
Ausbildung.
Erfreulich ist aus Schüssels Sicht die niedrige Jugend- Arbeitslosigkeit in Österreich sowie die niedrige
Zahl der Schulabbrecher - in beiden Bereichen liegt Österreich deutlich besser als der EU-Durchschnitt. Eine
"bittere Verschlechterung" sieht Schüssel bei der Lesefähigkeit. "Dass 20 Prozent unserer
Kinder nicht zusammenhängend und sinnerfassend lesen können, ist ein Alarmzeichen." Schüssel
spricht weiters die zahlreichen bereits durchgeführten und laufenden Schulversuche an. "Es laufen seit
den 70er Jahren 42 verschiedene Modelle." Wenn man sich die Evaluierungen anschaut sieht man: "Die Türschilddebatte
alleine sagt nichts aus."
"Ich bin begeistert, dass die Bildungsdiskussion Tiefe bekommt und nicht nur mehr von ‚Bildungs-Gurus' geführt
wird", so der ÖVP- Bildungssprecher Fritz Neugebauer. Im Koalitionsprogramm liegt der Schwerpunkt in
der Schärfung und Weiterentwicklung der Bildungsqualität - und nicht in der Debatte über Organisationsform.
"Wir müssen das Rad nicht neu erfinden - beschränken wir uns auf die Kernthemen." Beim Thema
Leistung - "wir alle stehen für Leistungsbereitschaft und Leistungsbewertung" - kritisiert der ÖVP-
Bildungssprecher ein Papier der Bildungsministerin zu ihren Perspektiven für die Neue Mittelschule. Darin
heißt es: "Es gibt keine Leistungsbeurteilung mehr, es sei denn, der Schüler wünscht es."
Neugebauer: "Damit ist sie bei mir am falschen Dampfer."
"Die ÖVP steht für Wahlmöglichkeiten und die Teilhabe der Betroffenen", stellt Neugebauer
klar. "Schulpartnerschaft muss konkret gelebt werden", fordert er. "Die Bildungsfragen der Zukunft
können wir nur gemeinsam bewältigen", plädiert Neugebauer. "Die ÖVP lädt Eltern
und Lehrer zu einer verstärken Erziehungspartnerschaft ein." Der ÖVP-Bildungssprecher ging auch
auf einen weiteren Punkt aus dem Regierungsübereinkommen ein: Die Ausarbeitung eines Bildungsplanes für
Kindergärten. "Die weitere Pädagogisierung in den Kindergärten tut Not." Neugebauer bekräftigt
auch: "Differenzierung ist das Zauberwort und nicht eine undifferenzierte Schulform, die aufs Auge gedrückt
wird." Und: "Der Ton macht die Musik. Zunächst trommelt Schmied auf die Lehrer/innen hin, heute
am Welt-Lehrertag gibt sie Geld für Schalmeientöne aus. Wenn sie auf die besondere Notwendigkeit der
Teamfähigkeit hinweist, rate ich ihr, das auch zur Maxime für ihr Handeln anzunehmen!"
"Bildung heißt, miteinander reden und nicht gegeneinander kämpfen", so die Wiener Stadträtin
Mag. Katharina Cortolezis- Schlager, die die Perspektivengruppe Bildung geleitet hat. Zur aktuellen Diskussion
meint sie: Sie will die Kinder auch weiterhin individuell, entsprechend ihren Begabungen und Interessen, gefördert
wissen. "Wir müssen die Kinder abholen." Weiters betont sie: "Es gibt ein Recht auf Bildung
in allen Lebensabschnitten." Sie plädiert auch für ein stärkeres Zusammenrücken von Familien-
und Bildungspolitik.
"Es gibt keinen Zeitpunkt wo man sagen kann: ‚Ich habe ausgelernt'", fährt Cortolezis-Schlager fort.
"Die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems ist wichtiger als das Türschild." Das österreichische
Schulsystem zeichnet sich durch eine Fülle an Gesetzen aus: "Wir brauchen nicht zusätzliche, sondern
weniger Gesetze." In Wien sieht sie das Problem, dass Gesetze schlicht und einfach nicht eingehalten werden.
"Das muss Konsequenzen haben." Sie will eine Qualitätsgarantie bis zum 18. Lebensjahr. Das bedinge
den Ausbau der Schulautonomie. Eltern und Lehrer müssen gemeinsam Verantwortung übernehmen für die
Bildung unserer Kinder. "Unsere Kinder sollen so viele Chancen bekommen, wie sie benötigen, um ein erfolgreiches
Leben zu führen."
"Wir wollen Schule bewegen", macht Mag. Eva Scholik, Vorsitzende der AHS-Lehrergewerkschaft, auf den
heutigen "Welt- Lehrertag" aufmerksam. "Wir haben in der Bildungsdiskussion durch die Perspektivengruppe
neuen Wind bekommen." Für sie ist wichtig, dass es von der Gesamtschuldiskussion nun zu einer Diskussion
rund um ein ganzheitliches Schulsystem gekommen ist. "Bildung ist ein umfassendes System. Und das österreichische
hat viele Stärken." Sie verweist darauf, dass das österreichische Schulsystem bedarfsorientiert
ist, und: "Wir bringen die Schule zu den Kindern und nicht die Kinder zu den Schulen." Scholik plädiert:
"Lassen wir uns doch nicht einreden, dass unser System, das in den 70er Jahren bewusst nicht auf Gesamtschule
umgestellt wurde, 40 Jahre später umgebaut werden soll, wo man in anderen Ländern bereits wieder zurück
geht." In der aktuellen Diskussion rund um Schulversuche kritisiert sie die mangelnde Diskussion und Einbindung.
"Wenn in den Städten im Bildungssystem nichts passiert, dann passiert etwas", warnt der Grazer Stadtrat
Werner Miedl, der aus der Praxis über Probleme in Ballungszentren berichtet. Und weiter: "Wer die Reform
ohne Lehrer/innen, Eltern und Schüler/innen machen will, versucht ein Auto ohne Motor in Gang zu setzen -
das wird nicht funktionieren." Er berichtet aus Graz, dass die Hauptschulen nach und nach an Schüler/innen
verlieren. Ein ernstzunehmendes Problem sieht Miedl auch in der Entwicklung der Polytechnischen Schulen. Einen
Lösungsansatz sieht er in der Kreation eines "Schulverbundes", d.h. eine Kooperation zwischen Hauptschulen
und AHS. Dabei wichtig ist die Leistungsdifferenzierung.
"Das Schlafmittel in den 70er Jahren hieß Gesamtschule, heute steht auf der Packung Einheits- oder Gemeinschaftsschule"
leitet Dr. Alexander Jehn vom Kultusministerium Hessen sein Impulsreferat ein. Er sieht eine Parallele in der österreichischen
und deutschen Bildungsdiskussion: "Es droht der Rückfall in längst gescheiterte Bildungsexperimente.
Statt Empfehlungen von Bildungsexperten zu folgen, hat die Sozialdemokratie in Österreich und auch manchen
Teilen Deutschlands die längst gescheiterte Einheitsschule aus der Mottenkiste wieder hervorgekramt",
kritisiert der Bildungsexperte. Für Jehn liegt ein Nachteil klar auf der Hand: Die individuelle Betreuung
und Förderung der Schüler/innen wird vernachlässigt, "viel Frustration ist vorprogrammiert".
Er sieht einen Grundfehler darin, dass von "Einheitsschülern" ausgegangen wird, die es so aber nicht
gibt. Abschließend warnt er: "Wer den Damm für die Einheitsschule öffnet, öffnet einen
Tsunami für die Bildungsqualität." Und: "Seien Sie in Österreich ein bisschen stolz, was
sie haben. Gehen sie auf die Lehrer zu, denn eine Bildungsdebatte ist auch eine Wertschätzungsdebatte den
Lehrerinnen und Lehrern gegenüber." |
Kalina: ÖVP-Haxelbeißerei lähmt Regierungsarbeit
Schüssel ist "Geist, der stets verneint" - ÖVP rührt wieder Beton
in der Bildung an
Wien (sk) - Als "lähmend für die Regierungsarbeit" bezeichnet SPÖ-Bundesgeschäftsführer
Josef Kalina die "andauernde Haxelbeißerei der ÖVP". Jüngstes Beispiel seien die Angriffe
von ÖVP-Obmann Molterer auf den Bundeskanzler. "Molterers Haxelbeißerei kombiniert mit dem stets
verneinenden Geist Wolfgang Schüssel erschwert die notwendige Reformarbeit fürs Land und macht bei den
Österreichern zurecht einen schlechten Eindruck", so Kalina Freitag gegenüber dem SPÖ-Pressedienst.
Die ÖVP-Stellungnahmen zur Schule vom 05.10. seien eine "Kampfansage an alle Schüler und Eltern,
die sich eine bessere Schule wünschen".
Tatsache sei, dass Bundeskanzler Gusenbauer auf Basis des Koalitionsübereinkommens die Regierung führe
und ein modernes Österreich gestalten will. "Die Neinsager-Mentalität der ÖVP etwa in der Bildungsfrage
und der Retro-Look in der Familienpolitik" seien allerdings kontraproduktiv. Besonders bedauerlich sei, dass
die "unheilige Dreifaltigkeit der Bildungspolitik" - Schüssel, Neugebauer und Scholik - heute wieder
massenhaft Beton in der Bildungspolitik angerührt haben. "Auf PISA und sämtliche Bildungsstudien
wird gepfiffen und die verzopfte Bildungspolitik einer Elisabeth Gehrer gepriesen. Allein die Tatsache, dass ÖVP-Bildungssprecher
Neugebauer heute erklärt hat, dass wir in der Schule 'nichts Neues' brauchen, sei eine Kampfansage an alle
Schüler und Eltern, die sich Verbesserungen wünschen", betonte Kalina.
"Es bleibt zu hoffen, dass sich bei der ÖVP-Klubtagung nicht alle ÖVP-Regierungsmitglieder auf den
Beton-Kurs einschwören haben lassen und vom Schüssel-Zug in die Vergangenheit abspringen", so der
SPÖ-Bundesgeschäftsführer abschließend. |