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Kalender 2008 über jüdischen Friedhof in Währing |
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NR-Präsidentin Prammer will rasche Lösung für einzigartiges Kulturdenkmal Wien (pk) - Der jüdische Friedhof in Währing ist ein zentraler Ort der Wiener Stadtgeschichte. Seit Jahren kämpft die Historikerin Tina Walzer um die Rettung dieses vom Verfall bedrohten Biedermeier-Juwels und wird dabei seit vergangenem Jahr vom gemeinnützigen Verein Educult unterstützt, der mit dem Ziel der Sanierung dieses geschichtsträchtigen Ortes eine Reihe von Vermittlungsprojekten gestartet hat. Das neueste Projekt des Vereins – ein großformatiger Hängekalender über den Friedhof – wurde am 15.10. von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer im Hohen Haus präsentiert. Für den Kalender, der in deutscher, englischer und hebräischer Sprache verfasst ist, haben renommierte Fotografinnen und Fotografen wie Isolde Ohlbaum, Harry Weber, Michaela Theurl, Claudio Alessandri, Peter Bauer und Edward Serotta den aktuellen Zustand des Friedhofs aus ganz unterschiedlichen künstlerischen Blickwinkeln dokumentiert. Die Bilder geben dabei beredtes Zeugnis von den Spuren des Verfalls und machen die Dringlichkeit umfassender Sanierungsarbeiten deutlich. Dass es dabei nicht an gutem Willen mangelt, zeigen die im Kalender abgedruckten Geleitworte von Bundespräsident Heinz Fischer und Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, nach wie vor wird allerdings um die Finanzierung des Projekts gerungen. In ihrer heutigen Begrüßungsrede hob Prammer die Notwendigkeit hervor, rasch eine tragfähige Lösung für den jüdischen Friedhof in Währing zu finden. Sie will dem Kuratorium des Nationalfonds, wie sie ankündigte, schon nächste Woche ein Vorprojekt präsentieren, in dessem Rahmen zunächst einmal die erforderlichen Sanierungsarbeiten festgelegt und eine Kostenschätzung durchgeführt werden sollen. Voraussetzung für die Inangriffnahme des Vorprojekts sei aber eine Sicherstellung der Finanzierung durch den Bund, unterstrich Prammer und gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass sich Bundeskanzleramt und Finanzministerium der Bedeutung des Projekts bewusst seien. Die Nationalratspräsidentin gab in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass sich Österreich im Washingtoner Abkommen von 2001 verpflichtet habe, die Restaurierung jüdischer Friedhöfe zusätzlich zu unterstützen. Die Umsetzung dieser Verpflichtung sei nach wie vor ausständig, mahnte sie. Im jüdischen Friedhof in Währing sind übrigens auch Mitglieder der Familie Epstein begraben, den Namensgebern jenes Ringstraßenpalais, das seit 2005 auch für parlamentarische Zwecke genutzt wird. Michael Wimmer, Geschäftsführer von Educult, schilderte, als ihn Tina Walzer das erste Mal über den jüdischen Friedhof führte, habe er seinen Augen nicht getraut. Es sei ihm vorgekommen, als würde er in einem Museum der Verdrängung stehen, skizzierte er. In diesem Sinn gehe es für ihn nicht nur um die Bewahrung eines kulturellen Vermächtnisses, sondern vor allem auch darum, die enormen Leistungen der jüdischen BürgerInnen für die Entwicklung der Stadt, die im "wuchernden Unterholz" versteckt seien, ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Für ein Buchprojekt zum jüdischen Friedhof in Währing sucht Wimmer, wie er ausführte, noch Partner. Kritische Worte kamen vom Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde, Raimund Fastenbauer. Die Israelitische Kultusgemeinde bemühe sich seit Jahrzehnten, mit Ländern und Gemeinden Pflegevereinbarungen für jüdische Friedhöfe abzuschließen, erklärte er. Zwar habe sich Österreich im Washingtoner Abkommen von 2001 verpflichtet, die Pflege jüdischer Friedhöfe zu finanzieren, allerdings laufe seit sieben Jahren eine Diskussion darüber, ob die Verpflichtung Bund, Länder oder Gemeinden betreffe. Den Zustand des jüdischen Friedhofs in Währing bezeichnete Fastenbauer als besonders schlecht, er warnte aber davor, es bei der Sanierung dieses einen Friedhofs zu belassen, und forderte eine Gesamtlösung für alle jüdischen Friedhöfe in Form einer Rahmenvereinbarung ein. Wenn es, so Fastenbauer, eine gesetzliche Regelung für Kriegsgräber gebe, in denen auch ein Teil der Täter liege, müsse auch eine Lösung für die Gräber der Vorfahren der Opfer möglich sein. Dass die Israelitische Kultusgemeinde selbst keine Möglichkeiten zur Rettung der alten jüdischen Friedhöfe hat, untermauerte Fastenbauer mit dem Hinweis, dass es insgesamt rund 350.000 jüdische Grabstätten im Land gibt. 1938 hätten 220.000 Juden in Österreich gelebt und etwa 80 Friedhöfe erhalten, skizzierte der IKG-Vertreter, während der NS-Zeit seien jedoch 65.000 ermordet und 135.000 "aus dem Land gejagt" worden. Nur wenige seien zurückgekehrt. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe sich die geschrumpfte jüdische Gemeinde vordringlich um die Lebenden kümmern müssen, bekräftigte Fastenbauer, für den Erhalt der Gräber seien keine Mittel übrig geblieben. Der Fotograf Peter Bauer begründete sein Engagement für den Kalender damit, dass es Projekte gebe, die man einfach machen müsse. Bei seinem ersten Besuch am Friedhof habe sich ihm eine trügerische Idylle geboten, führte er aus, Fotografie habe aber die Aufgabe, nicht nur das Sichtbare darzustellen, sondern auch das Unsichtbare sichtbar zu machen und Salz in der Wunde der Gesellschaft zu sein. Bauer hofft, wie er sagte, mit dem Kalender einen Beitrag dafür zu leisten, dass der jüdische Friedhof in Währing vor dem Vergessenwerden bewahrt wird. Besonders erfreut zeigte sich der Fotograf über die von ihm mitinitiierte Einbindung von Schülergruppen in das Kalenderprojekt. Kurt Scholz, Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien, dankte all jenen Persönlichkeiten, die durch ihr großes persönliches Engagement einen entscheidenden Beitrag zur Rettung des Währinger jüdischen Friedhofs leisteten, und hob unter anderem die Arbeit der Historikerin Tina Walzer und die Aktivitäten von Nationalratspräsidentin Prammer als Vorsitzende des Nationalfonds-Kuratoriums hervor. Mit sehr persönlichen Worten zitierte Scholz seine Großmutter: "Ein Volk ist nicht edel, das seine Toten nicht ehrt." Seine Schlussfolgerung in Bezug auf den Währinger jüdischen Friedhof: "Wie edel ist ein Volk, das seine Toten so ehrt und den Friedhof in einem solchen jämmerlichen Zustand belässt?" Die Republik könne es sich vor dem Gedenkjahr 2008 – 70 Jahre nach dem Anschluss und nach der "Reichskristallnacht" – nicht leisten, einen jüdischen Friedhof nicht zu restaurieren. Es wäre fatal, man würde international "in eine Blamage rennen", appellierte Scholz eindringlich an die dafür Verantwortlichen in Ministerien und Gemeinde. Der jüdische Friedhof Währing wurde zwischen 1784 und den 1880-er Jahren benutzt und stellt ein einzigartiges Dokument der Wiener Kultur-, Kunst-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte dar. Als jüdisches Pendant zum bekannten christlichen Friedhof St. Marx bewahrt die Anlage bis heute trotz des hohen Zerstörungsgrades den Charakter eines Biedermeier-Friedhofs. Bemerkenswert ist nicht nur die architektonische Gestaltung der Grabmäler, die Anlage enthält auch eine überaus große und gestalterisch ungewöhnliche sephardische Abteilung. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der jüdische Friedhof Währing enteignet, vielfach geschändet und zum Teil zerstört. So wurden etwa 200 Leichen im Namen der nationalsozialistischen Rassenlehre exhumiert. Später kamen schwerwiegende Schäden durch Abräumaktionen und Vandalismus sowie durch Umwelteinflüsse wie saurer Regen, Frost und Bewuchs hinzu. Auf einem Teil des Friedhofs wurde Ende der 1950-er Jahre ein Wohnhaus gebaut. Der präsentierte Kalender, der auch Erläuterungen zum jüdischen Kalendarium enthält, kostet 30 Euro und kann unter der Telefonnummer 01/522 31 27 22 bzw. online über die Website http://www.waehringer-friedhof.at bestellt werden. Die Website enthält auch weitere Informationen über den jüdischen Friedhof. Musikalisch begleitet wurde die Kalender-Präsentation im Hohen Haus durch die Gruppe Frejlech. Anmerkung: Mit Rabattierung für den Buchhandel vertreibt diesen Kalender der Verlag Der Apfel, der unter office@verlagderapfel.at gerne Bestellungen zum Versand entgegennimmt. |
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