München (idw) - Sommerzeit und Winterzeit: Rund ein Viertel der Weltbevölkerung
muss zweimal im Jahr die Uhr um eine Stunde verstellen. Die rein gesellschaftliche Übereinkunft der Zeitveränderung
spiegelt aber weder eine biologische noch eine umweltbedingte Notwendigkeit wider. Ein Forscherteam um Professor
Till Roenneberg an der Ludwig-Maximilians- Universität (LMU) München konnte jetzt zeigen, dass diese
Umstellungen drastischere Auswirkungen haben als bislang vermutet. Die innere Uhr lässt bestimmte Verhaltensweisen
des Menschen und viele Prozesse im Körper in Zyklen ablaufen. Dieser genetisch vorgegebene Mechanismus synchronisiert
sich dabei mit der Umwelt - das Sonnenlicht ist der wichtigste "Zeitgeber". Wie die Wissenschaftler in
der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Current Biology" berichten, unterbricht die Zeitumstellung
abrupt die Anpassung der inneren Uhr an die jahreszeitlich bedingte Varianz des Tag-Nacht-Wechsels und erlaubt
ihr im Herbst erst viel zu spät diese wieder aufzunehmen. "Das Argument, bei der Zeitumstellung handle
es sich 'nur' um eine Stunde, trügt", so Roenneberg. "Wir waren selbst überrascht, wie stark
die Effekte sind. Es ist durchaus denkbar, dass die Zeitumstellung langfristig weit größere Auswirkungen
hat als bisher geglaubt."
Die innere Uhr passt sich mit Hilfe des Tageslichts an den 24-Stunden- Rhythmus der Umwelt an. Dieses so genannte
Entrainment ist außerordentlich exakt. Besonders wichtig ist dabei die Dämmerung, also der Wechsel von
Tag und Nacht. Unser Schlafverhalten passt sich sogar dem zeitlichen Fortgang der Dämmerung von Osten nach
Westen innerhalb einer Zeitzone an. Für ihre aktuellen Untersuchungen nutzten die Forscher Daten, die sie
von rund 55.000 Menschen in einer großen Fragebogenaktion erhalten hatten. "Die innere Uhr passt sich
auch genau an die saisonalen Veränderungen der Morgendämmerung an", berichtet Roenneberg. "Im
Winter ist sie auf spät, im Sommer auf früh gestellt. Diese minutiöse Anpassung wird jedoch durch
die Zeitumstellung empfindlich gestört." Ihre Ergebnisse auf Populationsebene erhärten die Forscher
durch eine zweite, experimentelle Studie, bei der sie das Schlafverhalten sowie die Aktivität von 50 Personen
acht Wochen rund um beide Zeitumstellungen untersuchten. "Es zeigte sich, dass die Anpassung der inneren an
die Umstellung der sozialen Uhr im Herbst kaum Probleme macht. Die innere Uhr macht zu diesem Zeitpunkt einen großen
Sprung nach hinten, da die letzten Monate der Sommerzeit sie daran hinderten, sich an die später werdende
Morgendämmerung anzupassen und es ihr ehedem leicht fällt, sich zu verzögern", so Roenneberg.
"Sehr viel schwieriger dagegen ist die Anpassung an die Sommerzeit im Frühjahr."
Menschen, die eher spät zu Bett gehen und dafür morgens länger schlafen, sind späte Chronotypen.
Im Gegensatz zu diesen Eulen schlafen die so genannten Lerchen früh und stehen früh wieder auf. Die Unterschiede
zwischen den Chronotypen spiegeln sich exakt im Timing der Aktivitätsphasen im Lauf eines Tages wider. "Wie
wenig sich die innere Uhr an die Zeitveränderung anpasst, sieht man besonders deutlich an späten Chronotypen,
wenn im Frühjahr auf die Sommerzeit umgestellt wird", meint Roenneberg. "Ihr biologisches Timing
bleibt einfach auf Normalzeit, während all ihre sozialen Aktivitäten um eine Stunde vorgestellt werden.
Aber selbst die innere Uhr früher Chronotypen stellt sich bei Beginn der Sommerzeit nicht vollständig
um." Weil die abrupte Veränderung der Uhrzeit nicht den tatsächlichen Zeiten der Dämmerung
entspricht, hat die "kleine" Stunde der Zeitumstellung weitreichende Konsequenzen: "Die Auswirkungen
der Sommerzeit auf die innere Uhr kann man in eine geografische Veränderung übersetzen", so Roenneberg.
"Dies bedeutet, dass die gesamte Bevölkerung Deutschlands im Frühjahr theoretisch zwangsweise nach
Marokko transportiert wird und im Herbst wieder zurück ohne Zeitzone und Klima zurückzulassen - mit all
den damit verbundenen Anpassungsproblemen."
Es ist bekannt, dass Fernreisen zu Zielen mit stark unterschiedlichen Sonnenzeiten - vor allem Reisen zwischen
der Süd- und Nordhalbkugel der Erde - die menschliche Physiologie stark beeinflussen und sich auf Leiden wie
etwa Depressionen auswirken können. Noch weiß man wenig über die Langzeiteffekte der saisonalen
Störung der inneren Uhr durch die zweimalige Zeitumstellung jedes Jahr. In allen industrialisierten Ländern
lässt sich aber ein Verlust an "Saisonalität" beobachten, also einen geringer werden Einfluss
der Jahreszeiten auf die menschliche Physiologie. Möglicherweise ist dieses Phänomen zum Teil auf die
Einführung der Zeitumstellung zurückzuführen: Das wäre dann ein weiteres Beispiel für
harmlos scheinende Ursachen mit dramatischer Wirkung. "Ganz generell darf man auch kleine Veränderungen
in einem biologischen System nicht unterschätzen", meint Roenneberg. "Sie scheinen aus menschlicher
Sicht trivial und haben dennoch - in größerem Zusammenhang gesehen - dramatische Auswirkungen. Da diese
schleichend und langfristig sind, bemerken wir sie kaum. Es ist zu früh, um über einen Effekt der Zeitumstellung
auf die Gesundheit der Menschen zu spekulieren. Unsere Ergebnisse zeigen aber, dass das Problem sehr ernst genommen
werden muss und sehr viel genauer erforscht werden sollte."
Publikation: "The Human Circadian Clock's Seasonal Adjustment is disrupted by Daylight Saving Time",
Thomas Kantermann, Myriam Juda, Martha Merrow and Till Roenneberg Current Biology, 24. Oktober 2007 |