Wien (bpd) - Für eine rasche Ratifizierung des Vertrags von Lissabon
sprach sich Bundeskanzler Alfred Gusenbauer am Abend des 11.11. in seinem Referat „Europa am Scheideweg - Mehr
oder weniger Europa? in der Nationalbank aus. Veranstalter des Abends war das Europäische Forum Alpbach. Österreich
werde mit den Ratifizierungsprozess unmittelbar nach der Unterzeichnung des Vertrags im Dezember beginnen, kündigte
der Bundeskanzler an.
In seinem Referat äußerte sich der Bundeskanzler auch kritisch über die mangelnde Kohärenz
der EU, deren Zustand er inzwischen als „Europa a la carte“ beschrieb. Die Opting out Klauseln, die einzelne Staaten
für bestimmte Politikbereiche beanspruchen würden, sowie der Umstand, dass nicht alle Staaten am einheitlichen
Währungsraum oder am Schengenabkommen teilnehmen, schwächten letztendlich die Position der EU sowohl
nach außen als auch in der Sicht der Bürger, argumentierte der Bundeskanzler. Er sprach sich gegen ein
weiteres Fortschreiben dieser Zersplitterung aus. Dadurch, so Gusenbauer, würde der europäische Gehalt
der Politik für die Bürger nicht mehr erkennbar werden und es zu einer weiteren Ablehnung Europas kommen.
Gleichzeitig bezeichnete er aber den Vertrag von Lissabon als „wesentlichen Fortschritt“. Gusenbauer: „Lissabon
ist sicher nicht optimal. Aber gemessen am Vertrag von Nizza bedeutet dieser Vertrag ein Optimum für die Bewältigung
der unmittelbaren Herausforderungen, vor denen die Union heute steht. Die Bürger brauchen ein Europa, das
sich nicht mit sich selbst beschäftigt sondern mit den wesentlichen Zukunftsfragen. Der Vertrag sichert nicht
nur eine Parlamentarisierung der Entscheidungsprozesse, er garantiert auch die Entscheidungsfähigkeit der
Union insgesamt.
Daher sollte der Vertrag so rasch wie möglich ratifiziert werden und in Kraft treten.“ Als Testfall für
die Handlungsfähigkeit der Union wertete der Bundeskanzler die Haltung Europas hinsichtlich des Kosovo-Status.
Für die Glaubwürdigkeit Europas sei eine möglichst geschlossene Haltung der EU notwendig.
Bundeskanzler Gusenbauer plädierte nicht nur für eine Vertiefung der Union insgesamt. Er sprach sich
auch für eine engere regionale politische Kooperation Österreichs mit seinen Nachbarn aus, nachdem es
bereits eine „überdurchschnittlich enge wirtschaftliche Integration“ gäbe. Dabei bezeichnet er das skandinavische
Modell mit seiner Zusammenarbeit vor allem in Wirtschafts-, Verkehrs- und Infrastrukturfragen als Vorbild für
diese Idee. Ausdrücklich führte er die Gleichwertigkeit aller teilnehmenden Staaten als Grundvoraussetzung
für das Funktionieren dieser zu schaffenden politischen Partnerschaft an. Eine Zentralisierung hin auf eine
einzige Region oder eine Stadt als Mittelpunkt dieser Politik lehnte er als „kolonialistisch“ ab. Angehören
sollten diesem regionalen Kooperationsmodell, so der Bundeskanzler, jedoch nicht nur Mitglieder der Europäischen
Union sondern auch Staaten außerhalb der EU. Dieses regionale Modell mit seiner überdurchschnittlich
starken wirtschaftlichen Integration würde die Vertiefung der EU rascher vorantreiben, argumentierte der Bundeskanzler. |