EU-Reformvertrag im Hohen Haus debattiert  

erstellt am
08. 11. 07

Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich beim informellen Gipfel in Lissabon am 18. und 19. Oktober über den EU-Reformvertrag geeinigt. Als »Vertrag von Lissabon« soll er am 13. Dezember feierlich unterzeichnet werden. Im Österreichischen Parlament wurde am 8. November darüber debattiert.
     
 Gusenbauer: Wichtiger Schritt in Entwicklung der EU
Effizientere Entscheidungsfindung, klarere Kompetenzverteilung und "Ende der Einbahnstraße"
Wien (sk) - "Es ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung der Europäischen Union, den wir als absolut richtig betrachten", erklärte Bundeskanzler Alfred Gusenbauer am 08.11. im Nationalrat zum Reformvertrag von Lissabon. Die letzten Jahre sei die EU intensiv mit sich selbst und der Organisation ihrer Institutionen beschäftigt gewesen. "Es ist klar, dass die Menschen hier den Eindruck gewinnen konnten, dass sich die Union nicht mit den wichtigen Fragen beschäftigt hat." Es sei wichtig, dass Europa jetzt wieder die Hände frei habe, um sich mit diesen großen, wichtigen Fragen auseinanderzusetzen. "Wir stehen zu Österreich, zu Europa und zu diesem Reformvertrag", erklärte Gusenbauer.

In der Diskussion über Europa in Österreich werde häufig zu wenig berücksichtigt, was Österreich von der EU habe. "Österreich liegt im Zentrum der neuen, erweiterten Union. Das schafft umfassende Vorteile bei Frieden, Stabilität und Sicherheit in einem Ausmaß, wie nie zuvor", strich der Bundeskanzler heraus. Gleichzeitig habe Österreich die Öffnung Osteuropas seit 1989 so gut genutzt wie kaum ein anderes Land. "Österreich ist der Gewinner der Ostöffnung, auch in wirtschaftlicher Sicht." Man werde sich diese Erfolge nicht klein reden lassen, betonte Gusenbauer.

Jeder habe das Recht zur kritischen Auseinandersetzung mit der Politik der Europäischen Union, genauso wie zur kritischen Auseinandersetzung mit der Politik einer Bundesregierung. "Jene, die aber gegen die Union aufstehen, sollen auch sagen, was ihre Alternative wäre. Österreich in der EU ist besser dran, als Österreich außerhalb der Union", machte der Kanzler klar. Durch den Reformvertrag werde Europa besser funktionieren, weil es eine effizientere Entscheidungsfindung gebe, weil es eine klarere Kompetenzverteilung zwischen Europa und den Mitgliedsstaaten gebe und "weil es mit der Einbahnstraße vorbei ist". Wenn es der Lösung von Problemen diene, können jetzt auch Kompetenzen an die Mitgliedsstaaten verschoben werden.

Herzstück Grundrechtecharta - Entscheidende Verstärkung der Rechte jedes Bürgers
"Das Herzstück des Reformvertrags wird die Grundrechtecharta sein, die zur entscheidenden Verstärkung der Rechte jedes Bürgers führen wird", so Gusenbauer. Die Grundrechtecharta gehe weit über das hinaus, was in vielen nationalen Verfassungen verankert sei. "Von uns kommt ein klares Ja zur Grundrechtecharta und zu ihrer Rechtsverbindlichkeit, weil sie die Bürger stärkt und damit uns alle."

Er wolle aber nicht verschweigen, dass das Opt-Out Großbritanniens und möglicherweise auch Polens ein Wermutstropfen sei. "Das Ziel bleibt aber, dass es gleiche Rechte für alle EU-Bürger gibt und die Grundrechtecharta irgendwann für alle Länder Gültigkeit erlangt.

Erfreulich sei es, dass auch der Klimaschutz in den Vertrag aufgenommen wurde. "Denn die Herausforderungen des Klimawandels kann man nicht als Nation allein bewältigen. Hier brauchen wir europaweite und globale Politik."

Neue Ziele der Union: menschlichere Gestaltung der Globalisierung, sozialeres Europa, Arbeitslosigkeit bekämpfen
Nach der Einigung und der langen Diskussion werde sich Europa nun wieder den großen Fragen zu wenden können, erklärte Gusenbauer. "Wir wollen eine menschlichere Gestaltung der Globalisierung, wir wollen ein sozialeres Europa und wir wollen weiterhin die Arbeitslosigkeit in Europa bekämpfen." Denn dies sei den Menschen wichtiger als die Frage nach der Organisation der Institutionen. "Wenn wir diese Herausforderungen annehmen und beantworten, dann wird sich auch die kritische Distanz zwischen Europa und seinen Bürgern wieder verringern."

Gusenbauer betonte, dass im Vorfeld des Gipfels auch endlich eine Lösung für die Situation der Medizin-Universitäten erzielt wurde. "Es ist eine dauerhafte Lösung für die Ärzte in Österreich. Ich bin froh, dass dieses Problem gelöst wurde", so Gusenbauer.

Es sei der Auftrag des Nationalrats an die Außenministerin und ihn gewesen, beim Gipfel in Lissabon ein Maximum des Verfassungsvertrags auch im neuen Reformvertrag zu verankern. "Es wurde ein großer Reformvertrag abgeschlossen, der zu einem besseren Funktionieren der EU führen wird. Wir stehen zu Österreich, zu Europa und zu diesem Reformvertrag."

 

Plassnik: "Europa bekommt, was es braucht, um besser zu funktionieren"
Erklärung der Außenministerin vor dem Nationalrat zum EU-Reformvertrag
Wien (bmeia) - "Wir befinden uns heute in einer neuen Etappe des europäischen Einigungswerkes: Wir arbeiten an einem gemeinsamen Raum der Freiheit und der Sicherheit für fast 500 Millionen Menschen. Wir arbeiten aber auch an neuen modernen Grundregeln für eine Union mit heute 27 Mitgliedern. Es geht um das Gewicht, um den Einfluss Europas als Partner im Weltdorf", so Außenministerin Ursula Plassnik zum neuen EU-Reformvertrag von Lissabon.

"Das Ergebnis der Reformverhandlungen in der EU ist ein Vertragstext, der die alten Rechtsgrundlagen erneuert, wo es notwendig ist. Der auch eine Reihe zukunftsweisender, struktureller Neuerungen bringt. Wir Österreicher haben unseren Beitrag zum Gelingen dieses ersten gemeinsamen Großprojekts der Union der 27 geleistet. Durch konsequente inhaltliche Arbeit, durch gezielte Impulse während unserer Präsidentschaft, um die Zukunftsdebatte wieder in Gang zu bekommen, durch das erste Vorzeichnen des Verhandlungswegs zum Reformvertrag, etwa beim Außenministertreffen in Klosterneuburg", so die Außenministerin. Sie betonte, dass es ihr ein besonderes Anliegen sei, die Bürgerinnen und Bürgern über den Inhalt des Vertrags umfassend zu informieren: "Das ist eine Aufgabe für uns alle: die Bundesregierung, die Volksvertreter, die Experten."

Plassnik erwähnte die zentralen Fortschritte im Reformvertrag: Erstmals werde es eine genaue Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und der Mitgliedsstaaten geben - eine alte österreichische Forderung, und die Übertragung von Kompetenzen an die Union sei künftig keine Einbahnstraße mehr. Die Mitgliedsstaaten blieben somit auch weiterhin Herren der Verträge. Der Vertrag bringe auch einen europäischen Demokratieschub, etwa durch die Stärkung der parlamentarischen Komponente in der Union und mit dem europäischen Volksbegehren. Plassnik: "Auch hier hat sich Österreich mit Nachdruck eingesetzt." Die Union bekomme zudem mit dem Reformvertrag erstmals eine Rechtsgrundlage für den Klimaschutz - "ein weiterer Schritt in Richtung Nachhaltigkeitsunion", so Plassnik.

Ein Zukunftsthema, für das der Reformvertrag wirksamere Werkzeuge in die Hand gebe, sei die innere Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Plassnik: "Europa braucht im Kampf gegen Terrorismus, organisierte Kriminalität, Schlepperei und Menschenhandel noch mehr und bessere grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Genau für den Bereich der polizeilichen und justiziellen Kooperation in Strafsachen bringt der Reformvertrag schnellere Verfahren ohne Blockademöglichkeiten durch einzelne Staaten."

In der Außenpolitik der Union wird es künftig ein Gesicht und eine Stimme der EU nach außen geben - mit de facto einen Europäischen Außenminister. "Es gibt sie endlich, die europäische Telefonnummer", so Plassnik, die zugleich betonte: "Selbstverständlich wird aber auch in Zukunft noch ein rot-weiß-rotes Profil in der Außenpolitik möglich sein: Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ermöglicht uns ein Mitgestalten-Können einer gemeinsamen europäischen Linie wie auch ihrer Umsetzung im Alltag. Sie gibt unserer Arbeit europäisches Gewicht." Plassnik erwähnte in diesem Zusammenhang auch die gezielten Impulse, etwa mit der Kosovo-Frauenkonferenz Anfang dieser Woche und die unermüdliche Arbeit, um die europäische Perspektive für die Balkanländer glaubhaft und greifbar zu halten - gerade auch für die Jugend dieser Staaten.

Die Ministerin stellte zugleich klar, dass der Vertrag nichts an der österreichischen Sicherheitspolitik ändern werde: "Beides, das Bekenntnis zur gemeinsamen solidarischen Außenpolitik im Rahmen der Europäischen Union und die Neutralität, sind gleichermaßen Bestandteile unserer Bundesverfassung. Und das bleibt auch so. Es bleibt den neutralen und bündnisfreien Mitgliedstaaten auch in Zukunft im Einzelfall vorbehalten, über allfällige Unterstützungsleistungen selbst zu entscheiden: dem Grunde nach, sowie über Art und Ausmaß", unterstrich Plassnik.

Die Außenministerin ging in ihrer Rede auch auf die bevorstehende Schengen-Erweiterung ein, die einen europäischen Quantensprung bedeute: "Wo vor nicht einmal 20 Jahren der Eiserne Vorhang war, wird es in sechs Wochen keine Grenzkontrollen mehr geben. Grenzzäune und -balken werden bald der Vergangenheit angehören. Nichts könnte besser die epochalen Änderungen verdeutlichen, die wir in Europa erleben und mitgestalten dürfen. Europa - das neue Europa - ist das Europa der Überwindung von Grenzen und Trennlinien auf friedlichem Weg, durch gemeinsame Definition von Zielen und konkrete Zusammenarbeit."

Die bevorstehende Schengen-Erweiterung zeige aber auch, dass es sich Europa nicht leicht mache. Weitreichende Schritte wie die Aufhebung der Grenzkontrollen setzten verantwortungsvolle, beharrliche und präzise Vorarbeit von allen Seiten voraus, so Plassnik. "Die österreichische Bundesregierung hat deswegen strikt darauf geachtet, dass alle Voraussetzungen ohne Abstriche genau eingehalten werden. Dafür danke ich vor allem Innenminister Günther Platter."

"Der Reformvertrag ist eine Chance für eine demokratischere und handlungsfähigere Europäische Union. Der neue Vertrag wird ein Erfolg werden, wenn auf seiner Grundlage und auf allen Ebenen die richtige Politik gemacht wird", betonte die Ministerin abschließend. Für die Schengenerweiterung wie für den Reformvertrag gilt: "Europa bekommt, was es braucht, um besser zu funktionieren. Wir dürfen uns ruhig mehr zutrauen als wir manchmal glauben - in Österreich und in Europa!"

 

 Strache: Ängstliche Regierung verweigert Volksabstimmung
Ja zu Österreich, Ja zu Europa, Nein zu dieser zentralistischen EU!
Wien (fpd) - "Wenn man heute die Augen zugemacht hätte, wäre man nie auf den Gedanken gekommen, dass hier heute der österreichische Bundeskanzler und die österreichische Außenministerin gesprochen haben", meinte FPÖ-Bundesparteiobmann HC Strache zu Beginn seiner Rede zum EU-Reformvertrag in der Nationalratssitzung am 08.11. "Man hätte man eher geglaubt, dass da EU-Kommissare oder EU-Propagandabeauftragte sprechen." Gusenbauer und Plassnik hätten Schönfärberei und Schalmeientöne von sich gegeben. Schon 1994 sei die österreichische Bevölkerung in den EU-Beitritt hineingelogen worden, erinnerte Strache.

Die Bundesregierung habe offenbar Angst, deshalb verweigere sie eine Volksabstimmung. "Fragen Sie die Österreicher", forderte Strache, lassen Sie sie abstimmen!" Die FPÖ sage Ja zu Österreich, Ja zu Europa, aber Nein zu dieser zentralistischen EU. Wenn dieser Vertrag in Kraft trete, dann werde es keine Neutralität mehr geben, dann werde die Souveränität unserer Heimat zu Grabe getragen. "Das wollen wir nicht haben." Die Gründerväter der Republik würden sich im Grab umdrehen. "Schauen Sie dort hinauf auf den Bundesadler", forderte Strache die Abgeordneten auf. "Dieser Adler hat gesprengte Ketten. Aber diese Bundesregierung bemüht sich, diese Ketten wieder zusammenzuschmieden. Sie legt unserem Bundesadler, unserer Heimat die schweren Brüsseler Handschellen an."

Der FPÖ-Chef sprach sich auch eindeutig gegen die Einsätze österreichischer Soldaten in Afghanistan und im Tschad aus. Stattdessen solle man im Sinne Kreiskys eine aktive Neutralitätspolitik machen. Aber der Bundeskanzler trete das Erbe Kreiskys mit Füßen. Scharfe Kritik übte Strache auch an den Grünen, die sich schon längst von jeder Umweltpolitik verabschiedet und die bürgerlichen Grünen aus der Partei hinausgetreten hätten. "Ändern Sie endlich Ihren Parteinamen."

Eine Volksabstimmung über diesen Reformvertrag sei unumgänglich, betonte Strache. In seinem diesbezüglichen Gutachten komme der renommierte Verfassungsrechtler Prof. Schachtschneider zur Schlussfolgerung, dass eine Volksabstimmung in Österreich zwingend notwendig sei, weil der Vertrag eine Gesamtänderung der Bundesverfassung bewirke. Folgerichtig brachte Strache folgenden Entschließungsantrag ein:

Der Nationalrat wolle beschließen: "Der österreichische Bundeskanzler wird aufgefordert, die für den 13. Dezember 2007 in Lissabon geplante Unterzeichnung des Vertrages zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, kurz EU-Reformvertrag genannt, nicht vorzunehmen."

 

 Scheibner: BZÖ-Entschließungsantrag zu Kerneuropa
Vorgelegter EU-Reformvertrag ist Rückschritt zum ursprünglichen Verfassungsvertrag - Grundsätzlich für Auslandseinsätze des Bundesheeres
Wien (bzö) - "Ich würde mir wünschen, daß diese EU mehr in den Bereichen Außen- und gemeinsamer Sicherheitspolitik auch wirklich aktiv gestaltet und aktiv umsetzt", stellte der außenpolitische Sprecher des BZÖ Herbert Scheibner in seinem Debattenbeitrag fest. "Dies auch als Gegenpol in der Wirtschaftspolitik im Bereich der Globalisierung zum asiatischen Markt etwa. Aber genau in diesen Punkten - wo es auch identitätsstiftende Merkmale für die Bevölkerung gebe - gibt es noch immer große Defizite", so Scheibner weiter.

Genau in diesen Punkten sei nun der vorgelegte EU-Reformvertrag ein Rückschritt zum ursprünglichen Verfassungsvertrag. "Der Verfassungsvertrag ist wenigstens noch unter Mitwirkung der nationalen Parlamente entstanden. Jetzt haben über diese Änderung aber nur mehr die Brüsseler Bürokraten verhandelt", sagte Scheibner.

Zu Schengen meinte Scheibner, daß man einer diesbezüglichen Erweiterung nur dann zustimmen könne, wenn diese neuen Länder die Sicherheitsstandards erfüllten. "Warum ist es aber notwendig, den Assistenzeinsatz des Bundesheeres an den Grenzen zu verlängern? So gibt es an der Grenze keine Kontrollen mehr, aber das Bundesheer steht noch immer dort", meinte Scheibner.

"Ich bin grundsätzlich für Auslandseinsätze des Bundesheeres, denn auch wir haben ein Interesse dabei. Wenn man fragt, was macht Österreich im Tschad, was macht Österreich in Afghanistan, dann sei zu sagen, daß die Sicherheit, die wir beispielsweise in Afghanistan nicht gewährleisten können, dann als Unsicherheit zu uns kommt. Das Rauschgift, das in diesem Land produziert wird, kommt zu uns, die Flüchtlinge, die sich auf den Weg machen, kommen zu uns. Dies müssen wir entsprechend verhindern", betonte Scheibner.

In diesem Zusammenhang brachte Scheibner einen Entschließungsantrag über ein Kerneuropa im Nationalrat ein. In diesem werde gefordert, daß die Bevölkerung in Wegen von Volksabstimmungen selbst darüber entscheiden solle, inwieweit das eigene Land an der Integration teilnehmen solle. "Alle Länder, die das nicht wollen, können dabei Module davon übernehmen, aber nicht die volle Mitgliedschaft. Dies wäre unsere Zukunft als Alternative zum derzeitigen System der EU", schloß Scheibner.
 

Wir übernehmen hier Stellungnahmen aller im Parlament
vertretenen Parteien – sofern vorhanden! Die Redaktion

 
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