Mögliche Strategie zur Behandlung von motorischen Erkrankungen PNAS: RUB-Forscher belegen
indirekte Aktivierung
Bochum (universität) - Seit langem ist die Wissenschaft auf der Suche nach Substanzen, die Patienten
mit motorischen Erkrankungen wie amyotropher Lateralsklerose (ALS) oder Spinaler Muskelatrophie (SMA) das Leben
retten können. Bisherige Kandidaten, die spezielle Rezeptoren ansprechen, welche das Überleben der motorischen
Nervenzellen ermöglichen, schieden wegen starker Nebenwirkungen aus: Noch immer ist die fortschreitende Fehlfunktion
der Muskeln aufgrund fehlender oder gestörter Kontakte der Motoneuronen unaufhaltsam. Forscher aus Bochum,
Würzburg und New York um Prof. Dr. Stefan Wiese (Fakultät für Biologie der RUB) haben jetzt erstmals
belegen können, dass sich die entsprechenden Rezeptoren auch indirekt durch harmlose körpereigene Stoffe
aktivieren lassen. Im Experiment ließ sich das Absterben der Nervenzellen auf diese Weise verhindern. Über
ihre Studie berichten die Forscher in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS). Der Beitrag wurde
in der Expertenbewertung "Faculty of 1000" mit dem Urteil "must read" gekennzeichnet.
Tod nach durchschnittlich fünf Jahren
Die ALS trifft etwa einen von 50.000 Menschen. Meistens tritt sie zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr auf
und zeigt sich durch eine fortschreitende Muskelschwäche und Spastik. Die durchschnittliche Lebenserwartung
nach der Diagnose beträgt fünf Jahre. Die SMA kommt häufiger vor; etwa einer von 8.000 Menschen
erkrankt daran. Auch sie verursacht eine fortschreitende Muskelschwäche. SMA tritt in drei unterschiedlichen
Verlaufsformen auf. Die SMA Typ I führt in der Regel innerhalb der ersten zwei Jahre nach der Geburt zum Tod.
Grund ist jeweils der Untergang von motorischen Nervenzellen im Rückenmark und Stammhirn.
Nervenwachstumsfaktoren durch massive Nebenwirkungen im Aus
Lange Zeit wurden große Hoffnungen in so genannte neurotrophe Faktoren gesetzt. Diese Eiweiße,
die im Körper für das Wachstum von Nervenzellen sorgen, wurden als Substanzen gehandelt, die in der Lage
seien, die Degeneration der motorischen Nervenzellen zu verzögern, wenn nicht sogar aufzuhalten. Als Medikament
eingesetzt riefen sie in klinischen Studien jedoch massive Nebenwirkungen unter anderem auf psychischer Ebene hervor,
ohne dabei für eine merkliche Verbesserung der Symptomatik zu sorgen. Die Studien mussten daher vorzeitig
abgebrochen werden.
Indirektes Signal zum Überleben
Grundlage der aktuellen Arbeit war die Erkenntnis, dass auch andere Substanzen in der Lage sind, die Rezeptoren
für neurotrophe Faktoren auf motorischen Nervenzellen zu aktiveren und somit ein Überlebenssignal an
die Zelle zu übermitteln. Wiese und seine Kollegen nahmen den Rezeptor für den neurotrophen Faktor BDNF
(brain derived neurotrophic factor) unter die Lupe. Die Forscher konnten zeigen, dass die Aktivierung des Rezeptors
für Adenosine über eine Signalkaskade in der Zelle dazu führt, dass auch der Rezeptor für BDNF
aktiviert wird, und dass dadurch die Nervenzellen vermehrt überleben. Dies gelang sowohl in Zellkulturen als
auch in Modellen mit geschädigten Nervenzellen. Letztere ließen sich durch die Gabe von Adenosin-Rezeptor
Agonisten und die daraus folgende indirekte Aktivierung des BDNF-Rezeptors am Leben erhalten. |