Mainzer Quantenphysiker messen Tempo von Lithium-Ionen bei Geschwindigkeiten
bis zu 20.000 Kilometern pro Sekunde - Wichtig für genaue GPS-Navigation
Mainz (universität) - Die Zeitdehnung ist einer der faszinierendsten Aspekte der speziellen
Relativitätstheorie Einsteins, weil er die Vorstellung einer absolut gültigen Zeit abschafft: Uhren in
bewegtem Zustand ticken langsamer. Im Experiment konnte die Zeitdehnung zum ersten Mal von Ives und Stilwell 1938
mithilfe des Dopplereffekts beobachtet werden. Physikern der Johannes Gutenberg- Universität Mainz ist es
nun gelungen, die Zeitdehnung mit bisher nicht erreichter Genauigkeit zu messen. Die Wissenschaftler verwenden
dazu einen Ansatz, der die Speicherung und Kühlung von Lithium-Ionen und die Messung ihrer optischen Frequenzen
mit einem Frequenzkamm verbindet. "Die Erforschung der Zeitdehnung ist nicht nur für die Grundlagenphysik
von Bedeutung, sondern hat für die satellitengestützte Positionsbestimmung mit GPS und viele andere Anwendungen
in der Kommunikationstechnologie eine ganz praktische Funktion", erklärt Univ.-Prof. Dr. Gerhard Huber
von der Universität Mainz dazu. Die Arbeit, die in Kooperation mit Wissenschaftlern aus Heidelberg, Garching
und Winnipeg entstanden ist, wurde vom Wissenschaftsmagazin Nature Physics online veröffentlicht.
Seit ihrer Einführung 1905 bildet die spezielle Relativitätstheorie Albert Einsteins die Grundlage für
alle Beschreibungen physikalischer Vorgänge. Ein wesentliches Prinzip dieser Theorie besagt, dass die Lichtgeschwindigkeit
immer konstant bleibt, unabhängig davon, ob sich ein Beobachter mit eigener Geschwindigkeit bewegt oder nicht.
Allerdings ist die Zeit in diesem Konzept nun nicht mehr konstant, sondern in einem bewegten System wie beispielsweise
einer Rakete im Weltall verlangsamt. Diese Zeitdilatation oder Zeitdehnung wurde 1938 erstmals gemessen und mit
einer Genauigkeit von einem Prozent bestimmt. Die jetzt von Nature Physics publizierte Arbeit ist gegenüber
dieser ersten Messung 100.000 Mal genauer. "Das ist eine spektakuläre Genauigkeit, die allerdings auch
notwendig ist, wenn wir die Grundlagen der Physik, also das Standardmodell testen wollen", so Prof. Gerhard
Huber.
Der Mainzer Atomphysiker hat vor etwa 20 Jahren zusammen mit Prof. Dirk Schwalm vom Max-Planck-Institut für
Kernphysik in Heidelberg (MPIK Heidelberg) diese Forschungsarbeit am damals neu installierten Speicherring TSR
des MPIK begonnen. Dabei werden Lithium-Ionen bei relativistischen Geschwindigkeiten - das sind bis zu sechs Prozent
der Lichtgeschwindigkeit oder bis zu 20.000 Kilometer pro Sekunde - als feiner Strahl gespeichert und mit Lasern
auf ihren optischen Resonanzen angeregt. Diese sehr scharfen Resonanzen funktionieren wie Atomuhren, die sich mit
den Ionen bewegen. Die Laseranregung geschieht mit zwei Lasern, die dem Ionenstrahl hinterher und entgegen geschickt
werden. Wenn beide Laser dieselben Ionen anregen, können die Eigenzeit dieser Uhren und zugleich deren Geschwindigkeit
im Speicherring genau gemessen werden. Einzig mit der Kenntnis der optischen Frequenzen kann der Faktor der Zeitdehnung,
der zugleich die Massenzunahme beschreibt, aus den Experimenten bestimmt werden und mit dem bekannten Wert in der
speziellen Relativitätstheorie Einsteins verglichen werden. Die genaue Frequenzmessung geschah in Garching
bei München mit einem optischen Frequenzkamm in Zusammenarbeit mit dem Team um Prof. Theodor Hänsch,
der 2005 für die Entwicklung dieses bahnbrechenden Verfahrens mit dem Nobelpreis geehrt wurde.
"Innerhalb einer Messgenauigkeit von 1 zu 10 Millionen konnte am TSR Speicherring in Heidelberg die spezielle
Relativitätstheorie bestätigt werden", fasst Prof. Huber zusammen. Die Messung reiht sich damit
in die Serie der Überprüfung des sogenannten Standardmodells der Physik ein, das die Elementarteilchen
und die zwischen ihnen wirkenden Kräfte beschreibt, und die auch den Test der Lorentz-Invarianz, also der
Gültigkeit der speziellen Relativität, einschließt. "Allerdings reicht die bislang erreichte
Genauigkeit nicht, um bereits Abweichungen zu erkennen." Die Mitarbeiter aus Mainz, Sergei Karpuk und Christian
Novotny, arbeiten nun an einem Experiment bei deutlich höheren Geschwindigkeiten, die bei der Gesellschaft
für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt mit dem Speicherring ESR erreicht werden können. In ersten
Tests kamen die Ionen hier auf bis zu 34 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. |