Würzburg (idw) - Extrakte aus den Samen der Rosskastanie werden gegen Beschwerden bei chronischen Venenleiden
eingesetzt. Zudem hat der Baum eine lange und interessante Geschichte als Arznei- und Nutzpflanze. Darum wurde
er jetzt vom "Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde" an der Universität Würzburg
zur Arzneipflanze des Jahres 2008 gekürt.
Kinder sammeln sie gerne und basteln mit ihnen, für viele Tiere sind sie im Herbst willkommene Nahrung. Die
Rede ist von den Samen der Weißblütigen oder Gewöhnlichen Rosskastanie (Aesculus hippocastanum).
Wenn sie zum Arzneimittel verarbeitet werden sollen, muss ihnen die wichtigste Wirkstoffgruppe, das Aescin, entzogen
werden. Der Extrakt wird dann auf einen bestimmten Aescingehalt eingestellt. Er hilft bei Beschwerden der chronischen
Veneninsuffizienz - bei Schweregefühl, Schmerzen, Schwellungen und Juckreiz in den Beinen sowie bei nächtlichen
Wadenkrämpfen. Das ist medizinisch bedeutsam, denn etwa sechs Millionen Bundesbürger sind davon betroffen.
"Aescin ist in seiner Wirkung gut untersucht, es dichtet die geschädigten Blutgefäßwände
ab, so dass weniger Flüssigkeit aus den Venen ins Gewebe übertritt", teilt der Würzburger Studienkreis
mit. Dadurch werde die Ansammlung von Wasser in den Beinen verringert. Im Zusammenspiel mit anderen Inhaltsstoffen
wie Flavonoiden, Cumarinen und Gerbstoffen wirke der Rosskastanien-Extrakt insgesamt venenstärkend und entzündungshemmend.
Obwohl die Rosskastanie erst in den Kräuterbüchern aus der Mitte des 16. Jahrhunderts (Lonitzer, Matthioli)
Erwähnung findet, wurde sie doch schnell zum festen Bestandteil der Tierheilkunde und Humanmedizin. Die volkstümliche
Verwendung ihrer verschiedenen Teile sei auf Grund der Inhaltstoffe zwar nachvollziehbar, es fehlen aber naturwissenschaftliche
Beweise für die Wirksamkeit, so der Studienkreis. Die Rinde der Rosskastanie ist reich an Gerbstoffen, die
Durchfall und hämorrhoidale Beschwerden wie Nässen und Juckreiz lindern können. Zudem enthält
sie besonders viel Aesculin. Dieser Stoff wird aus der Pflanze isoliert und dann in Sonnenschutzcremes eingearbeitet.
Er soll auch zur Linderung der chronischen Veneninsuffizienz beitragen.
Die Blätter haben ein ähnliches Inhaltsstoffmuster wie die Rinde und wurden früher unter anderem
als Hustentee zubereitet. Heute finden sie sich, ebenso wie die Blüten, manchmal in Tees oder Extrakt-Präparaten
gegen Venenleiden. Die Blüten wurden, teilweise zusammen mit der Rinde, gegen Hämorrhoiden eingesetzt.
Manche Menschen benutzten Kastanien auch als Amulette gegen die Gicht, wobei sie die braunen Samen entweder in
der Hosentasche trugen oder unter die Bettmatratze legten.
Verbreitung durch die Osmanen
Die Rosskastanie blickt auf eine interessante Geschichte zurück. Ursprünglich über ganz
Europa verbreitet, zog sie sich in der letzten Eiszeit auf die Mittelgebirge Griechenlands, Mazedoniens und Albaniens
zurück und überlebte dort. Erst vor rund 450 Jahren kehrte sie dann nach Westeuropa zurück. Der
beliebte Baum, der vermutlich 300 Jahre alt werden kann, wächst also erst seit relativ kurzer Zeit wieder
hier.
Verbreitet wurde er unter anderem durch die Feldzüge der Osmanen: Die Türken führten Kastaniensamen
als Pferdefutter und als Medizin für die Tiere mit. Später wurden Rosskastanien bevorzugt auf Bierkellern
gepflanzt: Weil sie nur flache Wurzeln bilden, störten sie die Kellergewölbe nicht. Außerdem sorgten
sie mit ihren großen Blättern bei der Reifung und Lagerung des Bieres für zusätzliche Feuchtigkeit
und Kühlung.
Gefahr durch die Miniermotte
Ihre Funktion als Schattenspender kann die Rosskastanie aber immer schlechter erfüllen. Grund dafür
ist die Rosskastanien-Miniermotte, ein Schädling, der dem Baum seit jeher zusetzt. Das Insekt folgte seiner
Leibspeise in den vergangenen Jahren bis nach Westeuropa und schwächt nun zunehmend die Bestände. Seine
Larven ernähren sich ausschließlich von Stoffen, die nur in den Blättern der Rosskastanie vorkommen.
Mit der Esskastanie (Castanea sativa) ist die Rosskastanie nicht näher verwandt. Den botanischen Namen Aesculus
übernahm Carl von Linné von antiken Schriftstellern wie Horaz und Plinius, wobei diese allerdings eine
Eichenart mit essbaren Früchten meinten. Der Beiname hippocastanum ist das Vorbild für den deutschen
Namen Rosskastanie. Diese Bezeichnung ist durch die Ähnlichkeit der Früchte mit der Esskastanie motiviert.
Die Zusätze Hippo- oder Ross- sind dagegen nicht völlig geklärt. Entweder sollen sie kennzeichnen,
dass es sich im Gegensatz zur Esskastanie um etwas Ungenießbares handelt, oder sie beziehen sich darauf,
dass die Samen als Rossarznei (gegen Dämpfigkeit und Husten) und Pferdefutter verwendet wurden. |