Brüssel (ec.europa) - Die Europäische Kommission hat ein Bündel von Initiativen zur Modernisierung
des Europäischen Binnenmarktes vorgestellt: Dieser soll auf der Grundlage des bisher Erreichten den Europäern
noch mehr Vorteile bringen. Der Binnenmarkt hat bereits zur Gründung wettbewerbsfähiger Unternehmen,
sinkenden Preise sowie einer größeren Auswahl für die Verbraucher beigetragen und hat Europa für
Investoren attraktiv gemacht. Den Maßnahmen der Kommission liegen umfangreiche Konsultationen zugrunde. Mehr
noch als bisher soll der Binnenmarkt von der Globalisierung profitieren, die Verbraucher stärken, offen sein
für Kleinunternehmen, Innovationen stimulieren und zur Wahrung hoher sozialer und ökologischer Standards
beitragen. Die wichtigsten Initiativen des heute von der Kommission angenommenen Binnenmarktpakets betreffen Folgendes:
Hilfe für die Verbraucher bei der Ausübung ihrer vertraglichen Rechte und der grenzübergreifenden
Geltendmachung von Rechtsbehelfen, bessere Information von Verbrauchern und Kleinunternehmen, Abhilfe in Bereichen,
in denen der Binnenmarkt noch Mängel aufweist, Vorschlag einer spezifischen Regelung für Kleinunternehmen,
Einführung eines „Forscherpasses“, Anwendung der EU-Vorschriften auf Dienstleistungen, auch soziale Dienstleistungen,
von allgemeinem Interesse und Förderung der Qualität sozialer Dienstleistungen in der gesamten EU.
Kommissionspräsident José Manuel Barroso erklärte hierzu: „Bei dem heutigen Maßnahmenpaket
stehen Verbraucher und Kleinunternehmen im Vordergrund. Wir stehen am Beginn einer neuen Phase des Binnenmarktes.
Wir müssen die vorhandene gute Grundlage noch besser nutzen. Deshalb wollen wir Verbraucher und Kleinunternehmen
mithilfe des Verbraucherbarometers, der spezifischen Regelung für Kleinunternehmen und des „Binnenmarkt-Helpdesks“
stärken. Wir werden dort an der Beseitigung von Engpässen arbeiten, wo die Vorteile des Binnenmarktes
noch nicht in vollem Umfang bei den Verbrauchern angekommen sind – so, wie wir das bereits im Falle der Roaming-Gebühren
für die Mobiltelefonie getan haben. Ein Binnenmarkt für alle erfordert eine ausgeprägte soziale
Dimension, weshalb wir heute auch die soziale Vision der Kommission und spezifische Maßnahmen für Fortschritte
bei Dienstleistungen und sozialen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vorstellen. Dieses ausgewogene Paket
steht für einen Binnenmarkt, der mehr noch als bisher Europa unter den Bedingungen der Globalisierung stärkt,
Wachstum und Beschäftigung fördert, gerechte Preise gewährleistet und zur sozialen Sicherung sowie
zum Umweltschutz beiträgt.“
Stärkung der Verbraucher
Die Kommission möchte, dass die Verbraucher mehr Rechte haben und dass sie besser informiert sind – in ihrem
eigenen Interesse, aber auch, um Wettbewerbsfähigkeit und Innovation zu stärken. So wird sie beispielsweise
im Dezember verbesserte Vorschriften zur Lebensmittelkennzeichnung vorschlagen und 2008 Vorschläge auf dem
Gebiet des Verbrauchervertragsrechts und der kollektiven Rechtsbehelfe unterbreiten, damit künftig Menschen
aus allen Teilen der EU eine Beschwerde gegen ein Unternehmen gemeinsam verfolgen können. Ferner werden Maßnahmen
zur Verbesserung der Beobachtung des Arzneimittelmarktes und der Arzneimittelinformation vorgeschlagen. Außerdem
wird die Kommission Vorschläge zur weiteren Integration der Märkte für Finanzdienstleistungen für
Privatkunden, zur Verbesserung der Kenntnisse der Verbraucher in Finanzangelegenheiten und zur Erleichterung des
gebührenfreien Wechsels der kontenführenden Bank vorlegen.
Die Globalisierung für alle Europäer nutzbar machen
Die Kommission ist der festen Überzeugung, dass die Vorteile der Globalisierung nicht nur von etablierten
Interessengruppen mit übermäßiger Marktmacht „abgesahnt“ werden dürfen, sondern dass sie allen
EU-Bürgern zugute kommen müssen.
Die Kommission wird daher tätig werden, wenn die Märkte den Verbrauchern nichts bringen. Das Beispiel
des Textilmarktes hat gezeigt, dass aufgrund von Engpässen und fehlenden Wettbewerbs die Vorteile der Marktöffnung
nicht immer an die Endverbraucher weitergegeben werden. Die Kommission wird eine Reihe von Wirtschaftszweigen eingehender
untersuchen und Vorschläge unterbreiten, wenn die Märkte nicht wirksam funktionieren.
In dem Maßnahmenpaket legt die Kommission dar, welchen Wert der Binnenmarkt in einer globalisierten Welt
hat, wenn Europa mit Drittstaaten über Marktöffnung und Regelungskonvergenz verhandelt und dabei bewährte
europäische Vorgehensweisen einbringen kann.
Regelung für Kleinunternehmen
Die Kommission wird 2008 eine spezifische Regelung für Kleinunternehmen vorschlagen, die darauf abzielt, Verwaltungsaufwand
zu verringern, die Beteiligung von KMU an EU-Programmen und an öffentlichen Aufträgen zu steigern und
Hemmnisse für grenzübergreifende Tätigkeiten abzubauen, wozu auch ein Statut für eine Europäische
Personengesellschaft beitragen könnte. Außerdem wird die Kommission prüfen, inwiefern das Wachstum
der KMU durch die Steuerpolitik beeinträchtigt wird.
Wissen und Innovation im Binnenmarkt
Eine neue Strategie auf dem Gebiet der Normung soll dazu beitragen, dass FuE-Ergebnisse auf die Märkte gelangen
und dass Energie sparende Technologien rascher angenommen werden. Aufbauend auf dem in der vergangenen Woche vorgelegten
Maßnahmenpaket zur elektronischen Kommunikation, einem Kernelement des neuen Binnenmarktes, wird die Kommission
2008 Initiativen zum Universaldienst und zur Interoperabilität von E-Government-Systemen vorstellen. Die Kommission
bemüht sich ferner um Fortschritte beim gemeinsamen EU-Patentschutz und wird zur Förderung der Mobilität
von Forschern die Einführung eines „Forscherpasses“ vorschlagen.
Besseres Binnenmarkt-Management
Das im Rahmen des Halbzeitberichts über die Wachstumsstrategie 2005-2010 im Dezember angekündigte überarbeitete
Lissabon-Programm der Gemeinschaft wird die Binnenmarktprioritäten noch umfassender als in der Vergangenheit
widerspiegeln. Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert werden, in ihren Jahresberichten über die Lissabon-Strategie
auch Angaben zum Funktionieren des Binnenmarktes zu machen.
Die Kommission wird zusammen mit hohen Beamten der Mitgliedstaaten ermitteln, wie die Mitgliedstaaten am besten
bei der Durchführung und Durchsetzung der EU-Politik unterstützt werden können, etwa durch „Binnenmarktzentren“
auf nationaler Ebene. Die Kommission wird Vertragsverletzungen gegebenenfalls streng verfolgen und zugleich das
SOLVIT-Netz unterstützen, das 80 % der ihm vorgetragenen Fälle ohne Gerichtsverfahren löst.
Die Kommission hat ein Pilotprojekt für „Binnenmarktbotschafter“ initiiert, die zunächst die Vertretungen
der Kommission in den Mitgliedstaaten besuchen werden, um das heute vorgelegte Paket den Betroffenen sowie den
jeweiligen nationalen und lokalen Medien zu erläutern. Außerdem richtet die Kommission das „Binnenmarkt
Helpdesk“, eine neue einheitliche Anlaufstelle für Bürger und Unternehmen, ein.
Der Binnenmarktanzeiger wird ab 2008 die Leistung des Binnenmarktes insgesamt erfassen und sich nicht mehr auf
Umsetzungsfristen und Vertragsverletzungsverfahren konzentrieren. Außerdem wird der Binnenmarktanzeiger ein
„Verbraucherbarometer“ enthalten, mit dem die Leistung der Verbrauchermärkte erfasst wird.
Die soziale Dimension
Der Binnenmarkt zeichnete sich stets durch eine starke soziale Dimension aus. Sein Erfolg ging Hand in
Hand mit Solidarität und Zusammenhalt.
Zur heute vorgelegten Dokumentenreihe der Kommission gehört auch ein Papier über die gesellschaftliche
Vision für das Europa des 21. Jahrhunderts. Die Bürger Europas müssen in einer globalisierten Welt
Zugang zu Ressourcen erhalten, die ihre “Chancen” im Leben verbessern und die es ihnen ermöglichen, Andere
an ihrem wachsenden Wohlstand teilhaben zu lassen.
Die Kommission stellt dabei in einigen Bereichen einen Investitionsbedarf fest, der in erster Linie von den Mitgliedstaaten
gedeckt werden muss, wozu Europa aber seinen Teil beitragen kann. Diese Bereiche sind: Jugend, berufliche Laufbahnentwicklung,
längeres und gesünderes Leben, Gleichstellung von Mann und Frau, soziale Eingliederung und Diskriminierungsverbot,
Mobilität und Integration, Kultur, Partizipation und Dialog.
Das Kommissionspapier über die gesellschaftliche Vision vervollständigt die Anhörung zur sozialen
Wirklichkeit, die noch bis 15. Februar 2008 läuft. Hieraus soll eine neue Sozialagenda entwickelt werden,
die die Kommission Mitte 2008 vorlegen wird.
Dienstleistungen von allgemeinem Interesse
Zu dem Paket gehört auch eine Mitteilung über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unter Einschluss
von Sozialdienstleistungen. Darin wird die Rolle des dem Entwurf des Vertrags von Lissabon beigefügten Protokolls
über Dienste von allgemeinem Interesse hervorgehoben, das diesen Diensten politische Sichtbarkeit verleiht.
In der Mitteilung wird auch Bezug genommen auf Initiativen, die die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften, insbesondere
im Bereich der staatlichen Beihilfen und des öffentlichen Auftragswesens, verdeutlichen und den staatlichen
Stellen sowie Dienstleistern und Nutzern dabei helfen sollen, die Vorschriften besser zu verstehen und anzuwenden.
Grundsätzlich finden die EU-Binnenmarkt- und Wettbewerbsregeln auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem
Interesse, d.h. auf solche, die gegen Entgelt erbracht werden wie im Telekommunikations-, Energie-, Verkehrs- und
Postsektor, Anwendung. Dabei werden jedoch die Besonderheiten derartiger Leistungen berücksichtigt, damit
ihre tatsächliche Erbringung nicht verhindert wird. Nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem
Interesse wie die Tätigkeiten von Polizei und Justiz und die gesetzliche Sozialversicherung fallen nicht unter
diese Vorschriften. Die Bemühen um Orientierungshilfe erstrecken insbesondere auch auf die Sozialdienstleistungen.
Ferner wird eine Strategie zur Förderung der Qualität von Sozialdienstleistungen, beispielsweise beim
sozialen Wohnungsbau, bei der Kinderbetreuung und bei der Unterstützung von bedürftigen Familien und
Personen vorgeschlagen.
Die Mitteilung bereitet die Ergebnisse des vorangegangenen Weißbuchs und der umfassenden Anhörung zu
diesem Thema auf. Sie nimmt ferner Bezug auf den Beitrag des Europäischen Parlaments zu der Debatte. In erster
Linie werden jedoch die Grundsätze ausgeführt, die in dem dem Vertrag von Lissabon beigefügten Protokoll
über Dienste von allgemeinem Interesse verankert sind. Das Protokoll stellt eine echte Neuerung dar und schafft
eine solide Rechtsgrundlage für die Definition von Diensten von allgemeinem Interesse. Die Kommission will
nun von der Theorie zur Praxis schreiten und praktische Reformen zu bestimmten Themenbereichen einleiten mit dem
Ziel, die soziale Rolle von Diensten von allgemeinem Interesse zu wahren und deren Qualität und Bezahlbarkeit
und damit auch die Lebensqualität der Bürger zu verbessern.
Die Umweltdimension
Die europäischen Erfahrungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes und der Schaffung einer kohlenstoffarmen Wirtschaft
haben die weltweite Strategie beeinflusst und Europa innerhalb und außerhalb seiner Grenzen neue Exportmärkte
für umweltverträgliche Produkte und Dienstleistungen erschlossen. Im Binnenmarkt ist auch künftig
darauf zu achten, dass die Marktpreise die tatsächlichen Kosten der Güter und Dienstleistungen für
die Gesellschaft widerspiegeln. Das Streben nach Nachhaltigkeit ist der Motor für Innovationen und eine Investition,
die sich für künftige Generationen auszahlt.
Hintergrund
Zu dem Grundsatzdokument "Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts" gehört ein Bündel
von Begleitdokumenten: ein Übersicht über die Errungenschaften des Binnenmarktes, ein Papier über
mögliche Verbesserungen am Binnenmarkt durch bessere Verwaltung und besseres Regieren, jeweils ein Dokument
zur Außendimension (Ausweitung des europäischen Einflusses in der Welt mit Hilfe des Binnenmarktes)
und zu den Möglichkeiten einer verbesserten Überwachung von Schlüsselmärkten und –sektoren
sowie Strategiepapiere zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und zur gesellschaftlichen Vision für
Europa.
In ihrer Mitteilung vom Mai 2006 "Eine bürgernahe Agenda: Konkrete Ergebnisse für Europa" kündigte
die Kommission eine ausführliche Bestandsaufnahme zum Binnenmarkt an. Auf der Tagung des Europäischen
Rates vom März 2007 legte sie den Staats- und Regierungschefs einen Zwischenbericht vor, in dem sie sich verpflichtete,
ein ehrgeiziges und umfassendes Paket von Unterlagen zum Binnenmarkt vorzulegen. Auf dem Frühjahrsgipfel 2008
sollen neue Binnenmarktprioritäten verabschiedet werden. |