Parlament: Nord-Süd-Dialog über kohärente Entwicklungspolitik  

erstellt am
20. 11. 07

Prammer: EZA-Gesichtspunkte in allen Ausschüssen berücksichtigen
Wien (pk) - Im Rahmen des "Parlamentarischen Nord-Süd-Dialogs" eröffnete Nationalratspräsidentin Barbara Prammer am 19.11. eine Veranstaltung mit dem Titel "Politikkohärenz - vom entwicklungspolitischen Anspruch hin zu Umsetzungsstrategien" und begrüßte dazu zahlreiche und prominente internationale Experten mit der Kommissarin für Handel und Industrie der Afrikanischen Union Elisabeth Tankeu an der Spitze. Die zentrale Frage der Tagung lautete: Wie kann das notwendige Zusammenwirken von Entwicklungszusammenarbeit und anderen Politikbereichen verbessert werden? Angesichts des ersten Zwischenberichts über die Umsetzung der "Millenniumsziele" - unter anderem die Halbierung der Weltarmut bis 2015 - und des ersten Kohärenzberichts der EU komme diesem Thema enorme Aktualität zu, stellten Nationalratspräsidentin und Experten unisono fest.

Der Millenniumsziele-Halbzeitbericht mache Mut und besorgt zugleich, sagte die Nationalratspräsidentin: Der Anteil armer Menschen an der Weltbevölkerung habe seit 1990 von einem Drittel auf ein Fünftel gesenkt werden können, die Sterblichkeit von Säuglingen sei zurückgegangen, die Einschulungsquote der Kinder habe weltweit zugenommen und bei der Beteiligung von Frauen am politischen Leben seien Fortschritte zu verzeichnen. Der Handlungsbedarf sei freilich weiterhin enorm. Die Millenniumsziele können nur erreicht werden, wenn die dafür notwendigen Maßnahmen rasch gesetzt und die Entwicklungsbedingungen verbessert werden. Probleme stellten nach wie vor instabile Regierungen, gespaltene Gesellschaften, schlechte wirtschaftliche Entwicklung sowie HIV/Aids dar. Prammer sieht die Parlamente gefordert, die Umsetzung vereinbarter entwicklungspolitischer Grundsätze zu überwachen. Für das österreichische Parlament bedeute entwicklungspolitische Kohärenz, EZA-Gesichtspunkte in allen 36 Nationalrats-Ausschüssen zu berücksichtigen.

Heike Schneider: EU setzt auf entwicklungspolitische Kohärenz
Heike Schneider (Kommission der Europäischen Union) berichtete vom Beschluss der EU-Kommission im Jahr 2005, die Kohärenz in der Entwicklungspolitik zu einer Priorität der Union zu machen und dazu alle zwei Jahre einen Bericht vorzulegen. Zwölf Politikbereiche seien es insbesondere, die die Kommission zur Kohärenz mit der Entwicklungszusammenarbeit aufgerufen sieht: Handel, Umweltschutz, Klimaschutz, Sicherheit, Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei, Migration, Forschung, Bildung, Informationsgesellschaft, Transport und Energie.

Der erste Kohärenzbericht zeige, so Schneider, dass die Kohärenz in der EU und ihren Mitgliedsländern allgemein anerkannt sei, aber noch darüber diskutierte werde, wie sie optimal weiter entwickelt werden könne. Dabei stelle sich heraus, dass das Kohärenzbewusstsein in Nicht-EZA-Ressorts noch nicht ausreichend entwickelt sei sowie unterschiedliche Standards zwischen einzelnen Ländern und einzelnen Politikbereichen bestünden. Österreich stellte die EU-Vertreterin ein gutes Zeugnis aus, die Kohärenz sei hier gesetzlich verankert und überdies gute institutionelle Voraussetzungen. Von zentraler Bedeutung für die Weiterentwicklung der Kohärenz und das Erreichen der Millenniumsziele sei ein intensiver Dialog der entwickelten Länder mit den EZA-Partnern. Als positives Beispiel dafür nannte Schneider das Fischereipartnerschaftsabkommen der EU mit Mauretanien, in das erstmals EZA-Aspekte, insbesondere Verpflichtungen zur Armutsbekämpfung, aufgenommen wurden.

Guido Ashoff: Politischen Willen zur EZA stärken
Guido Ashoff (Deutsches Institut für Entwicklungspolitik) unterstrich die Bedeutung der Politikkohärenz in der Entwicklungspolitik, indem er darlegte, dass die Entwicklungszusammenarbeit, die im österreichischen Budget mit einem BIP-Anteil von 0,5 % dotiert ist, alleine nicht im Stande sein könne, ihr Ziel zu erreichen, die Armut global zu bekämpfen, den Weltfrieden zu sichern sowie die Umweltressourcen des Planeten zu schützen. Die Entwicklungszusammenarbeit könne nur Teil einer globalen Zukunftssicherung sein, andere Politikbereiche müssten an diesem Ziel mitwirken. Dies auch deshalb, weil die Politik außerhalb der EZA wesentlichen - positiven, aber auch negativen - Einfluss auf die Chancen der Entwicklungszusammenarbeit nehme, EZA-Ziele zu erreichen.

Grundsätzlich rief der Experte die EZA-Politiker dazu auf, sich die Arbeit ihrer Kollegen in anderen Bereichen genau anzuschauen, warnte aber davor, diesen Vorschriften machen zu wollen, da dies umgekehrt dazu führen könnte, dass etwa Handelspolitiker die Entwicklungspolitik daran messen, wie sehr sie die eigenen Exportinteressen unterstütze. Kohärenz bedeute vielmehr, dass alle Politikbereiche übergeordnetes Interesse an einer gerechten und nachhaltigen globalen Entwicklung anerkennen und gemeinsam in diesem Sinne handeln. Dies setze voraus, den politischen Willen zur Umsetzung entwicklungspolitischer Ziele zu stärken sowie Strukturen und diskursive Vorgehensweisen zu entwickeln. Für Österreich, das in der entwicklungspolitischen Kohärenz gut aufgestellt sei, bedeute dies, existierende Mechanismen mit Leben zu erfüllen und ein poaktives Kohärenzmanagement mit klaren Zielen einzurichten.

Elisabeth Tankeu: Frist für Partnerschaftsabkommen verlängern!
Kommissarin Elisabeth Tankeu (Afrikanische Union) betonte die Entschlossenheit der politischen FührerInnen Afrikas, die Entwicklungsaufgaben des Kontinents anzunehmen und die raschen Veränderungsprozesse, die derzeit in Afrika vor sich gehen, im Interesse der Menschen zu nützen. Dazu gehöre die Gründung der Afrikanischen Union und der Beschluss über das Strategieprogramm für eine neue Partnerschaft zur Entwicklung Afrikas (NEPAD). Dank dieser Strategie haben viele afrikanische Länder ihr wirtschaftliches Wachstum deutlich gesteigert. Dennoch warnte die Referentin vor der Gefahr, der Kontinent könnte seine Millenniumsentwicklungsziele bis 2015 verfehlen. Es genüge nicht, wenn die afrikanischen Länder ihre wirtschaftlichen und politischen Hausaufgaben machten, um die Armut auszumerzen. Afrika müsse vielmehr als Ganzes in das globale Wirtschaftssystem integriert werden, denn der derzeit 2-prozentige Anteil am Welthandelsvolumens sei viel zu gering. Ungleichheiten im globalen Handelssystem seien zu überwinden und die Handelsbeziehungen stark auszubauen, forderte Tankeu.

Aktuellerweise ging Elisabeth Tankeu auf die Verhandlungen über Partnerschaftsabkommen mit der EU ein und unterstrich dabei die Notwendigkeit, dass Afrika über wichtige Gegenstände in diesen Verhandlungen mit einer Stimme spreche. Dabei erinnerte Tankeu an die Vereinbarung von Cotonou, die darauf gerichtet ist, vier regionale Wirtschaftsgemeinschaften in Afrika (CEMAC, ECOWAS, ESA und SADC) aufzubauen. Diesem Ziel haben die afrikanischen Länder große Anstrengungen gewidmet und sich auch sehr darum bemüht, die Frist für den Abschluss der EU-Partnerschaftsabkommen - 31. Dezember 2007 - einzuhalten. Zwei Monate vor Ablauf der Frist müsse sie aber feststellen, so Tankeu, dass keine afrikanische Wirtschaftsgemeinschaft die Verhandlungen abschließen könne. Ursache für die Verzögerungen bei den Verhandlungen seien Auffassungsunterschiede zwischen der EU und den afrikanischen Partnern hinsichtlich der Entwicklungsaspekte der Abkommen. Zwar sage die EU, sie betreibe keine offensive Marktzugangspolitik in Afrika, ihre Verhandlungsposition lasse aber anderes erkennen. Daher schlage die Afrikanische Union vor, die Frist für den Abschluss der Verhandlungen über die Partnerschaftsabkommen zu verlängern, um sicherzustellen, dass nachhaltige Entwicklung, Armutsbekämpfung, regionale Integration und die Integration Afrikas in die Weltwirtschaft durch die Partnerschaftsabkommen vorangetrieben werden können.

Von großer Bedeutung für die Afrikanische Union und ihre Mitgliedstaaten sei auch die laufend WTO-Verhandlungsrunde, unterstrich Elisabeth Tankeu. Die Afrikanische Union drängt darauf, Handelshemmnisse für afrikanische Staaten zu überwinden, insbesondere auf einen Abbau der Agrarsubventionen sowie hoher Agrar- und Industriezölle. Sie verlangt faire Handelsbedingungen und Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs afrikanischer Länder zu den Märkten der entwickelten Staaten.

Abschließend warb die Kommissarin für Handel und Industrie der Afrikanischen Union für das Programm zur Integration der für sich oft schwachen afrikanischen Staaten in regionale Wirtschaftsgemeinschaften, die es den Afrikanern erleichtern können, die Chancen der Globalisierung zu nützen, in dem sie ihre Wettbewerbsfähigkeit gemeinsam stärken.

David Gakunzi: Synergien zwischen Europa und Afrika nützen
David Gakunzi (Entwicklungsexperte des Europarates) analysierte die tiefgreifenden Veränderungen, die sich derzeit in Afrika und in seiner Umgebung vollziehen. Zwei Drittel aller Konflikte der letzte Jahre seien in Afrika ausgetragen worden, sagte Gakunzi, machte aber darauf aufmerksam, dass viele dieser Konflikte bereinigt werden konnten, viele Länder ihre wirtschaftliche Situation verbessert haben und fasst alle afrikanischen Staaten einen Demokratisierungsprozess durchlaufen. China leiste neuerdings Entwicklungszusammenarbeit in Afrika und auch Indien arbeite mit afrikanischen Staaten zusammen. Es bestehe also Anlass dazu, die Entwicklungszusammenarbeit neu zu konzipieren, von jedem "Missionarismus" wegzukommen, sie auf Dialog aufzubauen, nationale- und regionale Entwicklungspläne stärker zu berücksichtigen und Synergien zwischen Afrika und Europa zu nutzen.

Konkret empfahl der afrikanische Historiker, die Bedingungen der Entwicklungszusammenarbeit durch eine Stabilisierung der Umwelt zu verbessern, das Sozialgefüge zu stärken und die Infrastruktur zu verbessern. Die Verwaltung der afrikanischen Staaten sei zu verbessern und bürgernäher zu gestalten, Frauen und Jugendliche müssen gefördert, Schulen und Gesundheitswesen entwickelt und die parlamentarische Kontrolle ausgebaut werden. Letzteres vor allem auch, um das Vertrauen der Bürger und Steuerzahler in den EZA-Geberländern zu erhöhen.

Winifred Masiko: Globale Partnerschaft für EZA unerlässlich
Winifred Masiko, Vorsitzende der Parlamentarierinnen-Vereinigung von Uganda, nahm zur Rolle des Parlaments und zu Fragen der Durchsetzung der Politik aus ugandischer Perspektive Stellung. Politikkohärenz bedeutet für Masiko die systematische Förderung politischer Maßnahmen, die einander verstärken und Synergien entwickeln. In diesem Zusammenhang forderte sie die EU auf, ihre nationale Politik so zu gestalten, dass sie eine positive Folgewirkung auf die Entwicklungsländer hat, und dass die Millenniumsziele der UNO erreicht werden. Masiko erläuterte als Mitglied der NEPAD-Kontakt-Gruppe (New Partnership for Africa’s Development) die gemeinsamen Zielsetzungen dieses wirtschaftlichen Entwicklungsprogramms der Afrikanischen Union und sah es als unerlässlich an, dass eine globale Partnerschaft für Entwicklungszusammenarbeit geschaffen werde.

AWEPA, dem Zusammenschluss Europäischer Parlamentarier für Afrika, kommt Winifred Masiko zufolge eine entscheidende Rolle bei der Förderung der Demokratisierung Afrikas und des interkontinentalen politischen Dialogs zu. "AWEPA und NEPAD arbeiten Hand in Hand", so die ugandische Parlamentarierin, um sicherzustellen, dass die Frage der Politkohärenz sowohl in Europa als auch in Afrika verstanden wird. Europa schade allerdings durch seine Marktzugangsbeschränkungen und Exportsubventionen der landwirtschaftliche Entwicklung in den Entwicklungsländern. Inkohärenz hat auch eine Gender-Perspektive, stellte Masiko fest und schilderte den Alltag von Frauen in Afrika, die überwiegend in der Landwirtschaft tätig sind, dort die Schwerstarbeit verrichten, aber kaum einen Ertrag aus ihrer Arbeit ziehen können. Selbst der Klimawandel, der im Osten und Nordosten Ugandas schwere Überschwemmungen mit sich brachte, bürdete den Frauen noch größere Verantwortung auf, da es vor allem die Frauen sind, die die Konsequenzen wie Hungersnöte oder Seuchen, tragen müssen.

Winifred Masiko erwähnte als besonderes Erfolgs-Projekt das österreichische Entwicklungszusammenarbeitsprogramm "Horizont 3000", und sie dankte der österreichischen Regierung ausdrücklich für die gute langjährige Entwicklungszusammenarbeit.

Podiumsdiskussion mit PolitikerInnen und ExpertInnen
Die Frage, mit welchen Modellen und Mechanismen die entwicklungspolitische Kohärenz in Österreich umgesetzt werden kann, stand im Anschluss an die Referate im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion.

Abgeordnete Petra Bayr (S), Obfrau des entwicklungspolitischen Unterausschusses, ortete Defizite und meinte, Kohärenz sei eine umfassende Aufgabe und dürfe nicht allein auf das Außenministerium beschränkt bleiben. Sie brachte den Vorschlag, bereits in den Vorblättern der Regierungsvorlagen einen Passus über die Auswirkungen der geplanten gesetzlichen Maßnahmen auf die globale Entwicklung aufzunehmen. Bayr warnte zudem vor den Folgen des Klimawandels auf die ärmeren Länder des Südens und sah im Biosprit kein adäquates Mittel, den CO2-Ausstoß zu verringern.

Abgeordneter Franz Glaser (V), Obfraustellvertreter des entwicklungspolitischen Unterausschusses, interpretierte die Kohärenz als Lernprozess und gab zu bedenken, mit gesetzlichen Regelungen allein sei es nicht getan. Er plädierte für einen gesamtheitlichen Ansatz in der Entwicklungspolitik auf der Basis von fairen und gerechten Strukturen und sah Österreich aufgerufen, auch auf der internationalen Ebene einer kohärenten Entwicklungspolitik zum Durchbruch zu verhelfen. Wesentlich für die internationale Kohärenz sei dabei vor allem die Kostenwahrheit im Bereich der Devisentransaktionen und beim internationalen Transport, betonte er.

Die Abgeordnete Ulrike Lunacek (G), stellvertretende Obfrau im außenpolitischen Ausschuss, appellierte an die Politiker, bei der Bevölkerung die Idee zu vermitteln, dass die eigenen Interessen heute nur im Sinne von globaler Verantwortung gesehen werden können. Österreichische Interessen seien sehr wohl auch globale Interessen, stand für sie fest. Was die heimische Entwicklungspolitik betrifft, vermisste Lunacek politischen Willen innerhalb der Regierung sowie entsprechende Koordination der einzelnen Ministerien. Sie mahnte aber auch ein stärkeres Engagement des Parlaments ein um sicherzustellen, dass das Auftreten der österreichischen Wirtschaft im Ausland auch von ökologischen und sozialen Grundsätze sowie von Menschenrechtsstandards getragen werde.

Anton Mair, stellvertretender Leiter der entwicklungspolitischen Sektion des BMeiA, stellte fest, der gesetzliche Auftrag zur Kohärenz sei das eine, die Möglichkeiten, diesen Auftrag auch administrativ umzusetzen, seien aber das andere. Er regte in diesem Sinn die Einrichtung einer Kohärenzsektion im Außenministerium an, um sämtliche entwicklungspolitische Aktivitäten auch tatsächlich koordinieren zu können. Klar war sich Mair aber auch darüber, dass Kohärenz über die Regelung der Strukturen hinaus auch eine entsprechende Zusammenarbeit mit der zivilen Gesellschaft brauche.

Elfriede Schachner, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Entwicklungszusammenarbeit, sprach kritisch von zahlreichen Inkohärenzen und diagnostizierte fehlenden politischen Willen in Österreich. Ihrer Meinung nach sollten die diversen gesetzlichen Maßnahmen auf ihre Kohärenz hin analysiert und auch im Parlament diskutiert werden. Wichtig war für Schachner dabei eine Zusammenarbeit aller mit Entwicklungsfragen betroffener Parlamentsausschüsse, zumal, wie sie unterstrich, die wirklich großen Entscheidungen, nicht im Unterausschuss für entwicklungspolitische Zusammenarbeit, sondern in anderen Ausschüssen getroffen werden. Sämtliche Politikbereiche sollten daher entwicklungspolitische Ziele unterstützen, denn ohne Kohärenz kann Entwicklungszusammenarbeit nicht nachhaltig sein, lautete ihre Forderung.
 
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