Prammer: EZA-Gesichtspunkte in allen Ausschüssen berücksichtigen
Wien (pk) - Im Rahmen des "Parlamentarischen Nord-Süd-Dialogs" eröffnete Nationalratspräsidentin
Barbara Prammer am 19.11. eine Veranstaltung mit dem Titel "Politikkohärenz - vom entwicklungspolitischen
Anspruch hin zu Umsetzungsstrategien" und begrüßte dazu zahlreiche und prominente internationale
Experten mit der Kommissarin für Handel und Industrie der Afrikanischen Union Elisabeth Tankeu an der Spitze.
Die zentrale Frage der Tagung lautete: Wie kann das notwendige Zusammenwirken von Entwicklungszusammenarbeit und
anderen Politikbereichen verbessert werden? Angesichts des ersten Zwischenberichts über die Umsetzung der
"Millenniumsziele" - unter anderem die Halbierung der Weltarmut bis 2015 - und des ersten Kohärenzberichts
der EU komme diesem Thema enorme Aktualität zu, stellten Nationalratspräsidentin und Experten unisono
fest.
Der Millenniumsziele-Halbzeitbericht mache Mut und besorgt zugleich, sagte die Nationalratspräsidentin: Der
Anteil armer Menschen an der Weltbevölkerung habe seit 1990 von einem Drittel auf ein Fünftel gesenkt
werden können, die Sterblichkeit von Säuglingen sei zurückgegangen, die Einschulungsquote der Kinder
habe weltweit zugenommen und bei der Beteiligung von Frauen am politischen Leben seien Fortschritte zu verzeichnen.
Der Handlungsbedarf sei freilich weiterhin enorm. Die Millenniumsziele können nur erreicht werden, wenn die
dafür notwendigen Maßnahmen rasch gesetzt und die Entwicklungsbedingungen verbessert werden. Probleme
stellten nach wie vor instabile Regierungen, gespaltene Gesellschaften, schlechte wirtschaftliche Entwicklung sowie
HIV/Aids dar. Prammer sieht die Parlamente gefordert, die Umsetzung vereinbarter entwicklungspolitischer Grundsätze
zu überwachen. Für das österreichische Parlament bedeute entwicklungspolitische Kohärenz, EZA-Gesichtspunkte
in allen 36 Nationalrats-Ausschüssen zu berücksichtigen.
Heike Schneider: EU setzt auf entwicklungspolitische Kohärenz
Heike Schneider (Kommission der Europäischen Union) berichtete vom Beschluss der EU-Kommission im Jahr 2005,
die Kohärenz in der Entwicklungspolitik zu einer Priorität der Union zu machen und dazu alle zwei Jahre
einen Bericht vorzulegen. Zwölf Politikbereiche seien es insbesondere, die die Kommission zur Kohärenz
mit der Entwicklungszusammenarbeit aufgerufen sieht: Handel, Umweltschutz, Klimaschutz, Sicherheit, Land- und Forstwirtschaft
sowie Fischerei, Migration, Forschung, Bildung, Informationsgesellschaft, Transport und Energie.
Der erste Kohärenzbericht zeige, so Schneider, dass die Kohärenz in der EU und ihren Mitgliedsländern
allgemein anerkannt sei, aber noch darüber diskutierte werde, wie sie optimal weiter entwickelt werden könne.
Dabei stelle sich heraus, dass das Kohärenzbewusstsein in Nicht-EZA-Ressorts noch nicht ausreichend entwickelt
sei sowie unterschiedliche Standards zwischen einzelnen Ländern und einzelnen Politikbereichen bestünden.
Österreich stellte die EU-Vertreterin ein gutes Zeugnis aus, die Kohärenz sei hier gesetzlich verankert
und überdies gute institutionelle Voraussetzungen. Von zentraler Bedeutung für die Weiterentwicklung
der Kohärenz und das Erreichen der Millenniumsziele sei ein intensiver Dialog der entwickelten Länder
mit den EZA-Partnern. Als positives Beispiel dafür nannte Schneider das Fischereipartnerschaftsabkommen der
EU mit Mauretanien, in das erstmals EZA-Aspekte, insbesondere Verpflichtungen zur Armutsbekämpfung, aufgenommen
wurden.
Guido Ashoff: Politischen Willen zur EZA stärken
Guido Ashoff (Deutsches Institut für Entwicklungspolitik) unterstrich die Bedeutung der Politikkohärenz
in der Entwicklungspolitik, indem er darlegte, dass die Entwicklungszusammenarbeit, die im österreichischen
Budget mit einem BIP-Anteil von 0,5 % dotiert ist, alleine nicht im Stande sein könne, ihr Ziel zu erreichen,
die Armut global zu bekämpfen, den Weltfrieden zu sichern sowie die Umweltressourcen des Planeten zu schützen.
Die Entwicklungszusammenarbeit könne nur Teil einer globalen Zukunftssicherung sein, andere Politikbereiche
müssten an diesem Ziel mitwirken. Dies auch deshalb, weil die Politik außerhalb der EZA wesentlichen
- positiven, aber auch negativen - Einfluss auf die Chancen der Entwicklungszusammenarbeit nehme, EZA-Ziele zu
erreichen.
Grundsätzlich rief der Experte die EZA-Politiker dazu auf, sich die Arbeit ihrer Kollegen in anderen Bereichen
genau anzuschauen, warnte aber davor, diesen Vorschriften machen zu wollen, da dies umgekehrt dazu führen
könnte, dass etwa Handelspolitiker die Entwicklungspolitik daran messen, wie sehr sie die eigenen Exportinteressen
unterstütze. Kohärenz bedeute vielmehr, dass alle Politikbereiche übergeordnetes Interesse an einer
gerechten und nachhaltigen globalen Entwicklung anerkennen und gemeinsam in diesem Sinne handeln. Dies setze voraus,
den politischen Willen zur Umsetzung entwicklungspolitischer Ziele zu stärken sowie Strukturen und diskursive
Vorgehensweisen zu entwickeln. Für Österreich, das in der entwicklungspolitischen Kohärenz gut aufgestellt
sei, bedeute dies, existierende Mechanismen mit Leben zu erfüllen und ein poaktives Kohärenzmanagement
mit klaren Zielen einzurichten.
Elisabeth Tankeu: Frist für Partnerschaftsabkommen verlängern!
Kommissarin Elisabeth Tankeu (Afrikanische Union) betonte die Entschlossenheit der politischen FührerInnen
Afrikas, die Entwicklungsaufgaben des Kontinents anzunehmen und die raschen Veränderungsprozesse, die derzeit
in Afrika vor sich gehen, im Interesse der Menschen zu nützen. Dazu gehöre die Gründung der Afrikanischen
Union und der Beschluss über das Strategieprogramm für eine neue Partnerschaft zur Entwicklung Afrikas
(NEPAD). Dank dieser Strategie haben viele afrikanische Länder ihr wirtschaftliches Wachstum deutlich gesteigert.
Dennoch warnte die Referentin vor der Gefahr, der Kontinent könnte seine Millenniumsentwicklungsziele bis
2015 verfehlen. Es genüge nicht, wenn die afrikanischen Länder ihre wirtschaftlichen und politischen
Hausaufgaben machten, um die Armut auszumerzen. Afrika müsse vielmehr als Ganzes in das globale Wirtschaftssystem
integriert werden, denn der derzeit 2-prozentige Anteil am Welthandelsvolumens sei viel zu gering. Ungleichheiten
im globalen Handelssystem seien zu überwinden und die Handelsbeziehungen stark auszubauen, forderte Tankeu.
Aktuellerweise ging Elisabeth Tankeu auf die Verhandlungen über Partnerschaftsabkommen mit der EU ein und
unterstrich dabei die Notwendigkeit, dass Afrika über wichtige Gegenstände in diesen Verhandlungen mit
einer Stimme spreche. Dabei erinnerte Tankeu an die Vereinbarung von Cotonou, die darauf gerichtet ist, vier regionale
Wirtschaftsgemeinschaften in Afrika (CEMAC, ECOWAS, ESA und SADC) aufzubauen. Diesem Ziel haben die afrikanischen
Länder große Anstrengungen gewidmet und sich auch sehr darum bemüht, die Frist für den Abschluss
der EU-Partnerschaftsabkommen - 31. Dezember 2007 - einzuhalten. Zwei Monate vor Ablauf der Frist müsse sie
aber feststellen, so Tankeu, dass keine afrikanische Wirtschaftsgemeinschaft die Verhandlungen abschließen
könne. Ursache für die Verzögerungen bei den Verhandlungen seien Auffassungsunterschiede zwischen
der EU und den afrikanischen Partnern hinsichtlich der Entwicklungsaspekte der Abkommen. Zwar sage die EU, sie
betreibe keine offensive Marktzugangspolitik in Afrika, ihre Verhandlungsposition lasse aber anderes erkennen.
Daher schlage die Afrikanische Union vor, die Frist für den Abschluss der Verhandlungen über die Partnerschaftsabkommen
zu verlängern, um sicherzustellen, dass nachhaltige Entwicklung, Armutsbekämpfung, regionale Integration
und die Integration Afrikas in die Weltwirtschaft durch die Partnerschaftsabkommen vorangetrieben werden können.
Von großer Bedeutung für die Afrikanische Union und ihre Mitgliedstaaten sei auch die laufend WTO-Verhandlungsrunde,
unterstrich Elisabeth Tankeu. Die Afrikanische Union drängt darauf, Handelshemmnisse für afrikanische
Staaten zu überwinden, insbesondere auf einen Abbau der Agrarsubventionen sowie hoher Agrar- und Industriezölle.
Sie verlangt faire Handelsbedingungen und Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs afrikanischer Länder
zu den Märkten der entwickelten Staaten.
Abschließend warb die Kommissarin für Handel und Industrie der Afrikanischen Union für das Programm
zur Integration der für sich oft schwachen afrikanischen Staaten in regionale Wirtschaftsgemeinschaften, die
es den Afrikanern erleichtern können, die Chancen der Globalisierung zu nützen, in dem sie ihre Wettbewerbsfähigkeit
gemeinsam stärken.
David Gakunzi: Synergien zwischen Europa und Afrika nützen
David Gakunzi (Entwicklungsexperte des Europarates) analysierte die tiefgreifenden Veränderungen, die sich
derzeit in Afrika und in seiner Umgebung vollziehen. Zwei Drittel aller Konflikte der letzte Jahre seien in Afrika
ausgetragen worden, sagte Gakunzi, machte aber darauf aufmerksam, dass viele dieser Konflikte bereinigt werden
konnten, viele Länder ihre wirtschaftliche Situation verbessert haben und fasst alle afrikanischen Staaten
einen Demokratisierungsprozess durchlaufen. China leiste neuerdings Entwicklungszusammenarbeit in Afrika und auch
Indien arbeite mit afrikanischen Staaten zusammen. Es bestehe also Anlass dazu, die Entwicklungszusammenarbeit
neu zu konzipieren, von jedem "Missionarismus" wegzukommen, sie auf Dialog aufzubauen, nationale- und
regionale Entwicklungspläne stärker zu berücksichtigen und Synergien zwischen Afrika und Europa
zu nutzen.
Konkret empfahl der afrikanische Historiker, die Bedingungen der Entwicklungszusammenarbeit durch eine Stabilisierung
der Umwelt zu verbessern, das Sozialgefüge zu stärken und die Infrastruktur zu verbessern. Die Verwaltung
der afrikanischen Staaten sei zu verbessern und bürgernäher zu gestalten, Frauen und Jugendliche müssen
gefördert, Schulen und Gesundheitswesen entwickelt und die parlamentarische Kontrolle ausgebaut werden. Letzteres
vor allem auch, um das Vertrauen der Bürger und Steuerzahler in den EZA-Geberländern zu erhöhen.
Winifred Masiko: Globale Partnerschaft für EZA unerlässlich
Winifred Masiko, Vorsitzende der Parlamentarierinnen-Vereinigung von Uganda, nahm zur Rolle des Parlaments und
zu Fragen der Durchsetzung der Politik aus ugandischer Perspektive Stellung. Politikkohärenz bedeutet für
Masiko die systematische Förderung politischer Maßnahmen, die einander verstärken und Synergien
entwickeln. In diesem Zusammenhang forderte sie die EU auf, ihre nationale Politik so zu gestalten, dass sie eine
positive Folgewirkung auf die Entwicklungsländer hat, und dass die Millenniumsziele der UNO erreicht werden.
Masiko erläuterte als Mitglied der NEPAD-Kontakt-Gruppe (New Partnership for Africa’s Development) die gemeinsamen
Zielsetzungen dieses wirtschaftlichen Entwicklungsprogramms der Afrikanischen Union und sah es als unerlässlich
an, dass eine globale Partnerschaft für Entwicklungszusammenarbeit geschaffen werde.
AWEPA, dem Zusammenschluss Europäischer Parlamentarier für Afrika, kommt Winifred Masiko zufolge eine
entscheidende Rolle bei der Förderung der Demokratisierung Afrikas und des interkontinentalen politischen
Dialogs zu. "AWEPA und NEPAD arbeiten Hand in Hand", so die ugandische Parlamentarierin, um sicherzustellen,
dass die Frage der Politkohärenz sowohl in Europa als auch in Afrika verstanden wird. Europa schade allerdings
durch seine Marktzugangsbeschränkungen und Exportsubventionen der landwirtschaftliche Entwicklung in den Entwicklungsländern.
Inkohärenz hat auch eine Gender-Perspektive, stellte Masiko fest und schilderte den Alltag von Frauen in Afrika,
die überwiegend in der Landwirtschaft tätig sind, dort die Schwerstarbeit verrichten, aber kaum einen
Ertrag aus ihrer Arbeit ziehen können. Selbst der Klimawandel, der im Osten und Nordosten Ugandas schwere
Überschwemmungen mit sich brachte, bürdete den Frauen noch größere Verantwortung auf, da es
vor allem die Frauen sind, die die Konsequenzen wie Hungersnöte oder Seuchen, tragen müssen.
Winifred Masiko erwähnte als besonderes Erfolgs-Projekt das österreichische Entwicklungszusammenarbeitsprogramm
"Horizont 3000", und sie dankte der österreichischen Regierung ausdrücklich für die gute
langjährige Entwicklungszusammenarbeit.
Podiumsdiskussion mit PolitikerInnen und ExpertInnen
Die Frage, mit welchen Modellen und Mechanismen die entwicklungspolitische Kohärenz in Österreich umgesetzt
werden kann, stand im Anschluss an die Referate im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion.
Abgeordnete Petra Bayr (S), Obfrau des entwicklungspolitischen Unterausschusses, ortete Defizite und meinte, Kohärenz
sei eine umfassende Aufgabe und dürfe nicht allein auf das Außenministerium beschränkt bleiben.
Sie brachte den Vorschlag, bereits in den Vorblättern der Regierungsvorlagen einen Passus über die Auswirkungen
der geplanten gesetzlichen Maßnahmen auf die globale Entwicklung aufzunehmen. Bayr warnte zudem vor den Folgen
des Klimawandels auf die ärmeren Länder des Südens und sah im Biosprit kein adäquates Mittel,
den CO2-Ausstoß zu verringern.
Abgeordneter Franz Glaser (V), Obfraustellvertreter des entwicklungspolitischen Unterausschusses, interpretierte
die Kohärenz als Lernprozess und gab zu bedenken, mit gesetzlichen Regelungen allein sei es nicht getan. Er
plädierte für einen gesamtheitlichen Ansatz in der Entwicklungspolitik auf der Basis von fairen und gerechten
Strukturen und sah Österreich aufgerufen, auch auf der internationalen Ebene einer kohärenten Entwicklungspolitik
zum Durchbruch zu verhelfen. Wesentlich für die internationale Kohärenz sei dabei vor allem die Kostenwahrheit
im Bereich der Devisentransaktionen und beim internationalen Transport, betonte er.
Die Abgeordnete Ulrike Lunacek (G), stellvertretende Obfrau im außenpolitischen Ausschuss, appellierte an
die Politiker, bei der Bevölkerung die Idee zu vermitteln, dass die eigenen Interessen heute nur im Sinne
von globaler Verantwortung gesehen werden können. Österreichische Interessen seien sehr wohl auch globale
Interessen, stand für sie fest. Was die heimische Entwicklungspolitik betrifft, vermisste Lunacek politischen
Willen innerhalb der Regierung sowie entsprechende Koordination der einzelnen Ministerien. Sie mahnte aber auch
ein stärkeres Engagement des Parlaments ein um sicherzustellen, dass das Auftreten der österreichischen
Wirtschaft im Ausland auch von ökologischen und sozialen Grundsätze sowie von Menschenrechtsstandards
getragen werde.
Anton Mair, stellvertretender Leiter der entwicklungspolitischen Sektion des BMeiA, stellte fest, der gesetzliche
Auftrag zur Kohärenz sei das eine, die Möglichkeiten, diesen Auftrag auch administrativ umzusetzen, seien
aber das andere. Er regte in diesem Sinn die Einrichtung einer Kohärenzsektion im Außenministerium an,
um sämtliche entwicklungspolitische Aktivitäten auch tatsächlich koordinieren zu können. Klar
war sich Mair aber auch darüber, dass Kohärenz über die Regelung der Strukturen hinaus auch eine
entsprechende Zusammenarbeit mit der zivilen Gesellschaft brauche.
Elfriede Schachner, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Entwicklungszusammenarbeit, sprach kritisch
von zahlreichen Inkohärenzen und diagnostizierte fehlenden politischen Willen in Österreich. Ihrer Meinung
nach sollten die diversen gesetzlichen Maßnahmen auf ihre Kohärenz hin analysiert und auch im Parlament
diskutiert werden. Wichtig war für Schachner dabei eine Zusammenarbeit aller mit Entwicklungsfragen betroffener
Parlamentsausschüsse, zumal, wie sie unterstrich, die wirklich großen Entscheidungen, nicht im Unterausschuss
für entwicklungspolitische Zusammenarbeit, sondern in anderen Ausschüssen getroffen werden. Sämtliche
Politikbereiche sollten daher entwicklungspolitische Ziele unterstützen, denn ohne Kohärenz kann Entwicklungszusammenarbeit
nicht nachhaltig sein, lautete ihre Forderung. |