Modell "Neue Mittelschule" erhält gesetzliche Basis   

erstellt am
30. 11. 07

Neues Bildungsforschungsinstitut; Änderung der Bildungsdokumentation
Wien (pk) - Nach langer kontroversieller Diskussion wurde am 29.11. die erste parlamentarische Hürde für den Modellversuch "Neue Mittelschule genommen. Die entsprechende Änderung des Schulorganisationsgesetzes passierte den Unterrichtsausschuss mit der Mehrheit von SPÖ und ÖVP. In einem kleinen Abänderungsantrag wurden Adaptierungen vorgenommen, die sich auf das neue Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung des österreichischen Schulwesens beziehen.

Die Modellversuche "Neue Mittelschule" verfolgen das Ziel, die weitere Schulwahl von der 4. Klasse Volksschule auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen und damit auch die Entscheidung über die weitere Bildungslaufbahn nach hinten zu verschieben. Die Modellversuche beabsichtigen laut den Erläuterungen, dem Grundprinzip der Individualisierung zu folgen. Der Beginn der Modellversuche an allgemein bildenden Schulen (AHS und Hauptschulen) ist ab dem Schuljahr 2008/2009 möglich. Die Versuche werden auf 10 % der Klassen an öffentlichen Schulen im Bundesgebiet begrenzt.

An der teils lebhaften Diskussion, die auch zahlreiche Detailfragen betraf, beteiligten sich die Abgeordneten Erwin Niederwieser, Robert Rada, Christian Faul (alle S), Silvia Fuhrmann, Klaus Hubert Auer, Peter Eisenschenk, Gertrude Brinek (alle V), Barbara Zwerschitz, Dieter Brosz (beide G), Gerald Hauser (F) und Ursula Haubner (B).

Ausschussvorsitzender Fritz Neugebauer (V) bezeichnete die Vorlage als einen Kompromiss, der sowohl Organisationsänderungen als auch Binnendifferenzierungen umfasse. Als wesentlich erachtete er die Tatsache, dass es bei den konkreten Modellversuchen um keine Verordnung von oben gehen werde, sondern man werde aus dem Erfahrungsschatz der PädagogInnen schöpfen und im Wege der Länder Schulversuchspläne ausarbeiten, die dann vom Ministerium genehmigt werden müssten. Damit werde eine bunte Vielfalt gewährleistet, stellte er fest. Selbstverständlich dürfen die Schulversuche nicht zu Lasten des Regelschulwesens gehen, bekräftigte Neugebauer. Als unerlässlich bezeichnete er die wissenschaftliche Begleitung von Anfang an. Sein Klubkollege Klaus Hubert Auer unterstrich den Grundgedanken der Differenzierung, die Beibehaltung der Leistungsbeurteilung und die Miteinbeziehung der Schulpartnerschaft. Letzteres wurde auch von Abgeordneter Silvia Fuhrmann (V) begrüßt.

Grundsätzlich stellte Neugebauer fest, man sei in der Regierung übereingekommen, den Schwerpunkt der Bemühungen um eine Verbesserung im Schulwesen weniger auf die Organisation zu legen. Bundesministerin Claudia Schmied reagierte mit der grundsätzlichen Feststellung, ihr vorrangiges Ziel sei es, bei der Qualität anzusetzen. Zwischen den einzelnen Schulen gebe es große Unterschiede, und diese müsse man abbauen. Bildungsstandards seien ein Weg dorthin. Die Ministerin unterstrich in diesem Zusammenhang jedoch, dass man die Qualität des Unterrichts nicht mit Quantität, also mit zusätzlichen Inhalten, verknüpfen dürfe.

Auch Abgeordneter Robert Rada (S) hielt die geplanten Schulversuche für fortschrittliche Modelle, insbesondere hinsichtlich der Individualisierung und der differenzierten Leistungsbewertung, die sich nicht nur auf Ziffernnoten beschränke. Etwas problematisch betrachtete er die Begrenzung der Schulversuche auf zehn Prozent sowie die Abstimmungsklausel und plädierte grundsätzlich für eine gemeinsame Ausbildung aller, die an solchen Modellen unterrichten. Auch Abgeordnete Ursula Haubner (B) kritisierte die unterschiedliche Bezahlung der dort unterrichtenden LehrerInnen.

Dem hielt Abgeordneter Fritz Neugebauer (V) entgegen, die neuen Pädagogischen Hochschulen hätten ihre Arbeit gerade erst mit großer Motivation aufgenommen und es sei nicht fair, diese gleich wieder in Frage zu stellen. Bundesministerin Claudia Schmied hielt aus ihrer Sicht fest, mittelfristiges Ziel sei die gemeinsame Ausbildung aller LehrerInnen. Während der Modellversuche werde es eine unterschiedliche Bewertung geben, sagte sie, und erst am Ende werde man versuchen, diese Unterschiede zu überwinden. Sie wünschte sich auf alle Fälle ein neues Dienstrecht.

Abgeordneter Erwin Niederwieser (S) bedauerte, dass das Interesse der AHS, an den Schulversuchen teilzunehmen, nicht sehr groß sei, und Abgeordneter Christian Faul (S) hob insbesondere unter Heranziehung skandinavischer Beispiele die Notwendigkeit hervor, schwächere SchülerInnen zu integrieren. Das verringere im Endeffekt den Prozentsatz der Schwächeren, ohne die Leistungsfähigkeit guter SchülerInnen zu senken.

Abgeordnete Barbara Zwerschitz (G) zeigte grundsätzlich wenig Freude mit Schulversuchen, da diese aus Erfahrung meist anders verlaufen und ausgestattet sind, als dann die Überführung ins Regelschulwesen aussieht. Ihr Klubkollege Dieter Brosz übte Kritik an den gesetzlichen Voraussetzungen, da in Modellregionen eine gemeinsame Schule getestet werden muss. Da aber nicht alle Gymnasien einer Region integriert werden können, sei dies nicht der Fall. Auch hätten die Vorschläge der Expertenkommission keine rechtsverbindliche Wirkung, sodass deren Expertisen nichts darüber aussagten, was tatsächlich kommt, merkte er kritisch an. Er sah auch eine Unklarheit in Bezug auf den Abstimmungsmodus, weil nicht deutlich herauszulesen sei, ob sich die geforderte Zweidrittelmehrheit auf alle Erziehungsberechtigen oder nur auf diejenigen beziehe, die tatsächlich abstimmen.

Ein Entschließungsantrag der Grünen, wonach die am Schulversuch "Neue Mittelschule" beteiligten Klassen im Schulverbund Graz zusätzlich zu den bestehenden Ressourcen mit vier weiteren Wochenstunden auszustatten sind, da dies dort im Vorfeld der Abstimmungen so kommuniziert worden ist, wurde von den anderen Fraktionen abgelehnt und blieb somit in der Minderheit.

Abgeordneter Gerald Hauser (F) befürchtete, dass die ganze Kraft und das ganze Geld in den Versuch "Neue Mittelschule" gehe, nur um zu beweisen, dass diese der bessere Weg sei, und dabei bestehende Probleme auf der Strecke blieben. Derzeit laufe die bildungspolitische Diskussion in die Richtung, die da heiße, mit der Neuen Mittelschule würden alle Probleme gelöst. Da von der Regierung so vehement darauf hingewiesen werde, der neue Modellversuch bringe einen individuellen Unterricht, müsse der Umkehrschluss gezogen werden, eine solche Individualisierung finde im Regelschulwesen nicht statt, und dagegen wehre er sich mit aller Kraft, sagte Hauser. Er sprach sich auch bei der Abstimmung im Rahmen der Schulpartner für eine geheime Abstimmung aus, um von den Betreffenden den politischen Druck zu nehmen.

Hauser warnte auch dezidiert davor, die Leistungsgruppen an den Hauptschulen abzuschaffen, denn damit würde man die ländlichen Hauptschulen, die hervorragende Arbeit leisteten und den SchülerInnen die Chance geben, eine weiterführende AHS oder BHS zu besuchen, bewusst umbringen.

Sie wolle pragmatisch und ohne ideologische Barrieren zum Schulversuch Stellung nehmen, begann Abgeordnete Ursula Haubner (B) ihren Diskussionsbeitrag. Die Schule stelle einen wichtigen Lebensraum für die Persönlichkeitsentwicklung dar und daher solle es dort auch um eine ganzheitliche Ausbildung gehen. Für die neue Mittelschule sprächen viele Argumente, merkte Haubner an, der vorliegenden Lösung hafteten jedoch zu viele Scheuklappen an.

Bundesministerin Claudia Schmied bekräftigte auch ihrerseits, dass die Modellversuche mit den Ländern und den Schulstandorten entwickelt würden. Durch die einmalige Grundsatzabstimmung unter den Schulpartnern sei die Bestandsgarantie des Versuchs gewährleistet. Der Modellversuch werde von Anfang an evaluiert und der Ressourceneinsatz kontrolliert. Ziel sei, die Dropouts und Wiederholungen zu reduzieren und die Bildungslaufbahnentscheidung zu optimieren. Für die am Schulversuch beteiligten LehrerInnen werde es auch entsprechende Ausbildungsprogramme geben.

Dezidiert widersprach sie F-Abgeordnetem Gerald Hauser und hielt unter Aufzählung zahlreicher Beispiele fest, das Ministerium arbeite an einer Vielzahl von Projekten und führe selbstverständlich die Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen weiter.

Neues Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung des österreichischen Schulwesens
Zur begleitenden Evaluation der Schulversuche soll das neu eingerichtete Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung des österreichischen Schulwesens (BIFIE) herangezogen werden. Die Einrichtung erfolgt durch das BIFIE-Gesetz 2008, das unter Berücksichtigung eines kleinen Abänderungsantrags mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und Grünen mehrheitlich angenommen wurde.

Zum Aufgabenbereich des genannten Instituts gehören unter anderem Untersuchungen im Bereich der angewandten Bildungsforschung und Qualitätsentwicklung. Weiters soll es dem Monitoring des Schulsystems, der Bereitstellung von Informationen für bildungspolitische Entscheidungen sowie der Begleitung und Implementierung bildungspolitischer Maßnahmen und deren Evaluation dienen. Vorgeschrieben wird eine regelmäßige nationale Berichterstattung.

FPÖ und BZÖ kritisierten die Errichtung eines zusätzlichen Instituts, für das sie aufgrund bestehender Einrichtungen keine Notwendigkeit sahen. Abgeordneter Martin Graf (F) meinte, es werde bewusst ein Institut geschaffen, um die eigene Propaganda zu unterstützen. Er fragte auch, warum es zwei Direktorenposten geben müsse. Abgeordnete Ursula Haubner (B) befürchtete den Aufbau von Parallelstrukturen und erinnerte an den Forschungsauftrag der Pädagogischen Hochschulen.

Die Abgeordneten der Grünen Barbara Zwerschitz, Sabine Mandak und Dieter Brosz unterstützten zwar die Errichtung des Instituts, orteten jedoch einige Schwachstellen. Insbesondere hielt Brosz es für bedauerlich, dass der Kindergartenbereich dezidiert ausgenommen wird, darüber hinaus fehlten ihm eine klare Ausformulierung der Kompetenzen des Direktoriums und der Qualifikation des Beirats.

Ungeteilte Zustimmung kam auch nicht von der ÖVP, und zwar hinsichtlich der personellen Besetzung. Abgeordnete Gertrude Brinek (V) sah aufgrund öffentlicher Aussagen von Wissenschaftler Günter Haider die wissenschaftliche Unabhängigkeit nicht gewährleistet. Diese sei aber unbedingt erforderlich, um eine Solidität des Arbeitens sicher zu stellen, so Brinek. In einem kurzen Disput mit Abgeordnetem Dieter Brosz (G), der die PISA-Methode verteidigte, meinte Brinek, PISA frage in keiner Weise kritisches Verstehen von Zusammenhängen und Argumentationsfähigkeit ab.

Dem gegenüber begrüßte Abgeordneter Erwin Niederwieser (S) das neue Institut mit seinen vielfältigen Aufgaben. Es werde Österreich auch international gut vertreten, zeigte er sich überzeugt.

Bundesministerin Claudia Schmied hielt Brinek entgegen, sie lege großen Wert auf eine internationale Besetzung des Beirats und die Qualifikationen seien für sie ausschlaggebend. Die Berichte der Zukunftskommission seien für die weitere Arbeit von großer Relevanz. Die Aufgabenstellung des Direktoriums sei im Gesetz klar geregelt. Die Zusammenlegung, Konzentration und Fokussierung bestehender Einrichtungen werden mehr Qualität und einen effizienteren Einsatz der Mittel bringen, sagte Schmied. Was die Kindergärten betrifft, so liege hier eine Zuständigkeit der Länder vor, aber hinsichtlich der Sprachstandardfeststellungen und Ähnlichem werde der Bund und das BIFIE tätig.

Bildungsdokumentation weiter Zankapfel
Die Mitglieder des Unterrichtsausschusses beschäftigten sich auch mit einer Novelle zum Bildungsdokumentationsgesetz. Gegen die geltende Fassung werden immer wieder Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes geäußert. Das betrifft insbesondere die Sozialversicherungsnummer der SchülerInnen und StudentInnen, auch wenn diese nicht-rückführbar verschlüsselt werden.

Mit der vorliegenden Novelle soll diesen Bedenken Rechnung getragen werden. Die Novelle wurde schließlich unter Berücksichtigung eines Abänderungsantrags mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, FPÖ und BZÖ mehrheitlich beschlossen. Die Grünen hielten ihre Bedenken gegen die Verwendung der Sozialversicherungsnummer aufrecht und sahen auch keinerlei Verbesserung der Datenlage.

Gemäß den Änderungen wird in Hinkunft die Bundesanstalt "Statistik Österreich" zwischengeschaltet und mit der Aufgabe der Verschlüsselung betraut. Sie soll die Sozialversicherungsnummer in die Bildungsevidenz-Kennzahl (BEKZ) transferieren und dann an das BMUKK übermitteln. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage wird versichert, dass jede Möglichkeit für das Ressort ausgeschlossen wird, Daten mit direktem Personenbezug einsehen, kopieren oder sogar zwischenspeichern zu können.

Analoges ist für die Universitäten und Fachhochschulen vorgesehen, wobei hier das Bundesrechenzentrum bzw. der Fachhochschulrat mit der Verschlüsselung betraut werden soll.

Die bisher mögliche Speicherungsdauer der Daten wird stark gekürzt. So wird etwa die Sozialversicherungsnummer zwei Jahre nach Abgang der betreffenden SchülerInnen und StudentInnen von der jeweiligen Bildungseinrichtung ebenso zu löschen sein wie Daten, die für die lokale Schulverwaltung erhoben wurden.

Abgeordneter Dieter Brosz (G) begründete die Ablehnung der Vorlage, der er jedoch durchaus Verbesserungen bescheinigte, mit dem Hinweis, es gebe keinerlei Verbesserung der Datenlage und daher könne er auch das Argument nicht nachvollziehen, in Zukunft könne man die Daten besser erheben. Man müsse viel genauer prüfen, welche Daten man tatsächlich brauche, sagte Brosz, denn man erhebe zwar vieles, wie viele SchülerInnen an den Hauptschule jedoch die Leistungsgruppe wechseln oder welche Förderkurse sie besuchen, das sei jedoch nicht nachvollziehbar. Für ihn war auch die Feststellung, auf die Sozialversicherungsnummer könne man derzeit nicht verzichten, nicht ausreichend, zumal jene Kinder ohne Sozialversicherungsnummer auch heute schon eine Ersatznummer erhalten. Ähnlich die Argumentation seiner Klubkollegin Sabine Mandak.

Auch Abgeordnetem Martin Graf (F) zufolge lassen die Qualität und Vollständigkeit der Daten zu wünschen übrig. Dennoch bringt für ihn das Gesetz wesentliche Verbesserungen. Abgeordnete Ursula Haubner (B) zeigte sich froh über die vorgesehenen Neuerungen. Abgeordneter Christian Faul (S) regte an, die Universitätsausbildung ebenfalls zu berücksichtigen, um so die Entwicklung besser verfolgen zu können.

Seitens der SPÖ räumte Abgeordneter Erwin Niederwieser ein, dass auch seine Fraktion eine Ersatznummer anstelle der Sozialversicherungsnummer befürworte. Aber für die notwendige Umstellung brauche man noch etwas Zeit. Dem schloss sich Abgeordnete Anna Franz (V) an. Bundesministerin Claudia Schmied ergänzte, derzeit gebe es 40 unterschiedliche Systeme an den Schulen, weshalb die Umstellung sorgfältig vorbereitet werden müsse, und das lasse sich nicht in kurzer Zeit bewerkstelligen. Sie strebe an, bis Ende 2009 ein Alternativkonzept, etwa in Form von Matrikelnummern, vorzulegen.

Bundesministerin Schmied erläuterte in weiterer Folge den Zielkonflikt zwischen Datenschutz, Bildungsstatistik, die auch internationalen Standards entsprechen müsse, und der Vermeidung eines zusätzlichen Verwaltungsaufwandes. Der geplante erste nationale Bildungsbericht werde zeigen, ob die nun vorgenommenen Änderungen der Bildungsdokumentation ausreichen. Eine wesentliche Frage sei immer, welche Daten man für welche Fragen braucht, und das werde im Rahmen eines Gesetzes nie endgültig zu lösen sein. Jedenfalls gebe es zwei Zugänge, und zwar eine klare Statistik, die eine Datenbasis liefert, die man auf alle Fälle braucht, und daneben anonyme Stichproben, um Rückschlüsse auf individuelle Fragestellungen ziehen zu können.
 
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