Rekordwachstum in Zentral- und Osteuropa, aber Reformen brauchen mehr Schwung   

erstellt am
29. 11. 07

Präsentation des Transition Reports 2007 der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE, englisch: EBRD) in den Räumlichkeiten der OeNB
Wien (oenb) - Der Transition Report 2007 der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung wurde in den Räumlichkeiten der Oesterreichischen Nationalbank von Professor Fabrizio Coricelli, einem Mitglied des Herausgeberteams, präsentiert.

Das Wirtschaftswachstum in der Region, in der die EBWE tätig ist (Zentraleuropa und Baltikum, Südosteuropa, GUS-Länder) soll in diesem Jahr Rekordhöhe erreichen, aber die globale Kreditklemme, die in diesem Sommer begonnen hat, könnte langfristig zu einer Verlangsamung führen – so die EBWE in ihrem Transition Report 2007.

Der Report sagt in allen EBWE-Ländern in 2007 ein Durchschnittswachstum von 7,0 Prozent voraus, ein Wert, der etwas über dem von 6,9 Prozent 2006 liegt. Das Wirtschaftswachstum in der gesamten Transformationsregion wurde durch eine Reihe von Faktoren unterstützt, darunter eine starke einheimische Nachfrage, steigende Investitionen – auch ausländische Direktinvestitionen –, erhebliche Überweisungen von Arbeitskräften im Ausland, ein rasches Wachstum der Kreditvergabe von einheimischen und ausländischen Banken sowie in einigen Fällen (Energie-exportierende Länder) auch hohe Energiepreise.

Laut EBWE-Report bleiben die allgemeinen wirtschaftlichen Aussichten günstig. Die

Transformationsländer befänden sich in der relativ beneidenswerten Lage, den jüngsten Problemen an den Finanzmärkten aus einer Position wirtschaftlicher Stärke entgegentreten zu können. Beim Wachstum für 2008 wird ein leichter Rückgang auf 6,1 Prozent vorausgesagt, wobei die bodenschatzreiche GUS die am schnellsten wachsende Region sein wird.
Mit Ansteckungseffekten der Probleme am US-Hypothekenmarkt wird allerdings gerechnet, vor

allem in Form eines Anstiegs der Kosten externer Finanzierungen und in einigen Fällen eines Rückgangs der zur Verfügung stehenden externen Finanzierungsbeträge. Dies mag dazu beitragen, die überhitzten Volkswirtschaften in der Transformationsregion abzukühlen, jedoch setzt der Report hinzu, dass "Länder mit hohen externen Finanzierungsbedürfnissen in einem weniger freundlichen Szenario mit einem stärkeren wirtschaftlichen Abschwung rechnen müssten".

Die Anfälligkeit der Region für gegenwärtige und künftige Turbulenzen am Finanzmarkt erfordert eine Fortsetzung der strukturellen und institutionellen Reformen, die insbesondere darauf abzielen den Finanzsektor krisenresistenter zu machen und die unternehmerische Tätigkeit anzuregen – so der Rat des Reports. Gleichzeitig hat sich das Tempo der Reformen laut Messung der Transformationsindikatoren der EBWE im Verhältnis zu früheren Jahren verlangsamt. Zwar konnten die Länder Südosteuropas den Abstand zu den fortgeschritteneren Reformern in den neuen EU- Mitgliedstaaten weiter verringern, in den anderen Ländern waren die Reformen jedoch eher ungleichmäßig.

Im Bericht wird unterschieden zwischen den "marktschaffenden" Reformen der ersten Phase – Preis- und Handelsliberalisierung sowie Privatisierung von Kleinbetrieben –, die in der gesamten Region nahezu abgeschlossen sind, und den Reformen der zweiten und dritten Phase. Die

"marktvertiefenden" Reformen der zweiten Phase – Privatisierung von Großunternehmen und Reformen des Finanzsektors – seien in den neuen EU-Mitgliedstaaten bereits fortgeschritten, in den anderen Ländern aber noch weniger weiter vorangekommen. Die dritte Phase, die "markterhaltenden" Reformen – darunter Governance und Unternehmensumstrukturierung, Wettbewerbspolitik und Infrastruktur –, seien selbst in den fortgeschrittensten Ländern in Zentraleuropa und den baltischen Staaten noch nicht abgeschlossen und befänden sich in den anderen Ländern der Transformationsregion noch in den Kinderschuhen.

Menschen in der Transformation
Die Verlangsamung des Reformschwungs ist zum Teil das Ergebnis einer allgemeinen Schwächung der öffentlichen Unterstützung für schwierige Reformen der zweiten und dritten Phase. Dies zeigt sich an der weit verbreiteten Unzufriedenheit mit reformorientierten Politikern in vielen Ländern und den relativ häufigen Regierungswechseln in den letzten Jahren. Der Gegensatz zwischen starkem Wachstum und verbesserten Lebensbedingungen einerseits und der verbreiteten Unzufriedenheit andererseits ist eine der Schlüsselfragen, die im Sonderabschnitt des Transition Report mit dem Titel "Menschen in der Transformation" behandelt werden.

Als Grundlage für diesen Sonderabschnitt dient unter anderem die EBWE/Weltbank-Umfrage zum Leben im Transformationsprozess (Life in Transition Survey/LiTS), bei der 28.000 Menschen in 28 der 29 EBWE-Länder befragt wurden. Der Report zeigt auf, wie 17 Transformationsjahre das tägliche Leben der Menschen, das durchschnittliche Verbrauchsverhalten, die Einstellung gegenüber Märkten und Demokratie, Beschäftigungsmöglichkeiten und Erwartungen an Regierungen und den Privatsektor beeinflusst haben. Die Hauptergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Mehr Menschen sind eher zufrieden als unzufrieden mit ihrem Leben, und die meisten glauben, dass ihr Lebensstandard heute besser ist als zu Beginn der Transformation.
  • Im Gegensatz dazu fühlt ein Großteil der Menschen, dass ihr Haushaltsvermögen seit Beginn der Transformation relativ gesehen zurückgegangen ist, was unter anderem auf die zunehmende Ungleichheit in vielen Teilen der Region zurückzuführen sein dürfte.
  • Es gibt eine sehr starke Unterstützung für die Demokratie als politisches System und starke Unterstützung für die Marktwirtschaft; die Unterstützung für totalitäre Politik und eine zentral geplante Volkswirtschaft ist hingegen vergleichsweise schwach.
  • Allerdings sind die politischen und wirtschaftlichen Einstellungen immer noch weniger liberal als in reifen marktorientierten Demokratien Westeuropas und Nordamerikas.
  • Diejenigen, die am meisten von der Transformation profitiert haben – jüngere Menschen, gebildete und mobile Segmente der Bevölkerung –, tendieren zu mehr Zufriedenheit und Marktunterstützung.
  • In der Region entsteht eine Mittelschicht (deren Größe je nach Land stark variiert).
  • Die Transformation hat die Bevölkerung angesichts der erheblichen Umschichtung der Beschäftigung vom Staat zum Privatsektor und von der verarbeitenden Industrie zum Dienstleistungssektor vor große Anpassungsherausforderungen gestellt.
  • Große Veränderungen an den Arbeitsmärkten haben für viele Arbeitnehmer zumindest vorübergehend negative Auswirkungen mit sich gebracht, dies hat ihre Einstellungen zu Märkten und Reformen negativ beeinflusst.
  • Die Beschäftigungsaussichten für Menschen mit geringerer Bildung und weniger Fertigkeiten haben sich verschlechtert, dies führt zu weniger Lebenszufriedenheit und einer stärkeren Abhängigkeit von Regierungsmaßnahmen zur Lösung wirtschaftlicher Probleme.
  • Im Allgemeinen erwarten die Menschen eine Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen – insbesondere in den Bereichen Gesundheit und Bildung.


Der Transition Report enthält eine eingehende Analyse dieser Ergebnisse und diskutiert wirtschaftspolitische Maßnahmen, mit denen die Beschäftigung- und Arbeitsmarktsituation verbessert bzw. mit denen die Beteiligung des Privatsektors an der Bereitstellung öffentlicher Dienste verstärkt werden könnte.

 
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