Chemiker der Universität Jena entschlüsseln Verteidigungsstrategien von Braunalgen
Jena (idw) - Zum Weglaufen fehlen ihnen die Beine. Kein schützender Panzer umgibt sie. Und selber
angreifen können sie auch nicht. "Pflanzen müssen sich mit anderen Waffen wehren, um nicht gefressen
zu werden", sagt Prof. Dr. Georg Pohnert von der Friedrich-Schiller- Universität Jena. Eben diese Waffen
interessieren den Inhaber des Lehrstuhls für Instrumentelle Analytik. Gemeinsam mit seinem Team untersucht
Pohnert, wie sich bestimmte Meeresalgen vor Fraßfeinden schützen.
Dabei hat der Chemiker der Jenaer Universität mit Kollegen aus Lausanne (Schweiz) und Atlanta (USA) jetzt
entdeckt, wie sich die Braunalge Dictyota dichotoma vor hungrigen Meeresbewohnern schützt. Mit einem übel
riechenden Cocktail aus zwei Gasen und einer Säure verdirbt sie Fraßfeinden gehörig den Appetit.
"Das Besondere daran ist, dass die Einzelsubstanzen in den intakten Algen gar nicht vorkommen", macht
Pohnert das Prinzip deutlich. Die chemischen Substanzen liegen in Speicherformen in der Alge vor und haben unter
normalen Bedingungen die Aufgabe, den Wasser- und Salzhaushalt zu regulieren (Osmoregulation). Erst wenn die Alge
verletzt wird - zum Beispiel durch den Biss eines Tieres - werden aus den Speicherformen die Chemikalien freigesetzt.
"Etwas fischig und dumpf schwefelig", umschreibt Pohnert den Geruch, der den verletzten Algen entströmt.
Hauptsächlich Trimethylamin (TMA) und Dimethylsulfid (DMS) sind für diese Geruchsnote verantwortlich.
Dass es gerade dieses Aroma ist, das kleine Krebse davon abhält, die Braunalgen zu fressen, konnten die Chemiker
durch die "Befragung" von Amphipoden zeigen. Den wenige Millimeter großen Tieren boten die Forscher
eigens hergestelltes Futter an. Eine Variante enthielt zerkleinertes Material einer bevorzugten Futteralge. Die
andere Variante wurde zusätzlich mit TMA, DMS und Acrylat versetzt.
"Das Ergebnis hatte uns zunächst überrascht", so Pohnert. Denn weder TMA noch DMS oder Acrylat
hielten die Krebse auf Distanz. Auch die Kombination aus jeweils zwei der Komponenten zeigt keinerlei Wirkung auf
den Appetit der Kleinkrebse. "Erst alle drei Substanzen zusammen entfalten eine abschreckende Wirkung",
resümiert Pohnert.
Der Befund, dass marine Krebse Duftbouquets wahrnehmen können, sei gänzlich neu, so der Jenaer Chemiker.
Pohnert vermutet, dass seine Ergebnisse einen beachtlichen Einfluss auf die weiteren Arbeiten in diesem Gebiet
der chemischen Ökologie haben werden. Bisher basieren die meisten Untersuchungen nur auf Tests mit einzelnen
gereinigten Komponenten. "Einige der so erhaltenen Ergebnisse müssen sicher mit naturidentischen Chemikalienmischungen
neu hinterfragt werden." |