Das Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse der Medizinischen Fakultät der
Universität Münster untersucht neue Behandlungsmöglichkeiten für Tinnitus.
Münster (idw) - Das ständige Pfeifen, Klirren, Zirpen, Tönen hat schon Menschen in
den Selbstmord getrieben. Wer niemals Ruhe empfindet, weil ein Tinnitus im Ohr sitzt, kann auch nicht abschalten.
Fünf bis 15 Prozent der Deutschen, so wird geschätzt, leiden unter einem mehr oder weniger hartnäckigen
und intensiven Ohrgeräusch. Am Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse (IBB) dder Medizinischen
Fakultät der Universität Münster wird durch Prof. Dr. Christo Pantev in enger Kooperation mit der
HNO-Klinik unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Stoll mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
untersucht, wie sich der Tinnitus reduzieren lässt."Es hat Menschen gegeben, die sich den Hörnerv
haben durchtrennen lassen. Aber das hat nichts genutzt, die Ohrgeräusche blieben. Der Tinnitus wird zwar im
Ohr wahrgenommen, entsteht aber im Gehirn", erläutert Pantev, der gemeinsam mit dem Postdoc Dr. Hidehiko
Okamoto und dem Doktoranden Henning Stracke die Erkrankung untersucht. Es gibt viele mögliche Ursachen: beispielsweise
einen Hörsturz, eine Viruserkrankung oder ein Knalltrauma. "Tinnitus wurde schon vor 3000 Jahren in griechischen
Quellen beschrieben, aber die genaue Ursache ist immer noch unbekannt", so Pantev. Fest steht, dass der Tinnitus
durch eine Reorganisation von Neuronen im Hörkortex hervorgerufen wird, die quasi "Amok laufen".
Pantev und sein Team nutzen die Magnetenzephalographie (MEG), um die neuronalen Aktivitäten zu beobachten.
Diese ist für den Patienten ungefährlich und gleichzeitig wesentlich schonender als zum Beispiel die
Verfahren der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) oder die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT), weil
hier weder radioaktive Substanzen benutzt werden noch laute Geräusche auf die Patienten einwirken. Noch liegen
keine Endergebnisse vor, aber die Zwischenberichte stimmen Pantev zuversichtlich: Es sieht so aus, als hätten
die Forscher eine Methode entdeckt, mit der sich das lästige Geräusch reduzieren lässt.
Bislang wurde unter anderem versucht, den Tinnitus zu maskieren, indem man ihn mit Geräuschen übertönte.
"Das kann eigentlich nicht gut funktionieren", ist sich Pantev sicher. "Tinnitus hat viel mit Aufmerksamkeit
zu tun. Ein einfaches und uninteressantes externes Geräusch wird aber sehr schnell überhört."
Als Beispiel für einen Aufmerksamkeitseffekt nennt er die so genannte Cocktail-Party- Taubheit. Normalerweise
können Menschen aus einer verrauschten Lärmkulisse sehr leicht die Stimme des Menschen herausfiltern,
mit dem sie sich gerade unterhalten. Manchen Menschen aber fehlt diese Fähigkeit, sie haben Schwierigkeiten,
in solchen Situationen Sprachinformation zu verstehen. Gemeinsam mit kanadischen und japanischen Forschern hat
Pantev gerade nachgewiesen, dass dafür vor allem die linke Gehirnhälfte spezialisiert ist. Dort ist offenbar
der Sitz der Neuronen, die besonders gut wichtige akustische Signale aus dem Hintergrundrauschen herausfiltern
können.
"Die Neuronen, die den Tinnitus verursachen, können wir nur sehr schwer beeinflussen", erklärt
der Diplompsychologe Stracke. Deshalb wenden die Münsteraner einen Trick an: Sie sprechen die umliegenden
Neuronen an, damit diese wiederum auf die Tinnitus-Neuronen einwirken. Auf diese Weise lässt sich scheinbar
tatsächlich eine Reorganisation des Gehirns erreichen, die im MEG nachgewiesen werden kann. Dazu sind keine
aufwändigen Geräte notwendig, sondern nur ein einfacher CD- Player. "Wir brauchen eine sehr hohe
Aufmerksamkeit, um die Reorganisation der Neuronen zu erreichen. Deshalb nutzen wir einen Klang, der angenehm ist
und auf den man sich gut konzentrieren kann", so Pantev.
Auf der Basis des individuellen Tinnitus-Profils werden Lieblingsstücke der Patienten umgestaltet. Die Patienten
hören sich diese Musik dann täglich an. Der Unterschied ist kaum zu merken, geeignet sind fast alle Musikrichtungen
außer beispielsweise Jazz, weil dieser meist nur ein geringes Frequenzspektrum abdeckt. "Je größer
das Frequenzspektrum, desto besser, weil so die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Manipulation Wirkung zeigt",
erklärt Stracke. Klassische Musik habe sich als besonders geeignet erwiesen. Die Studie läuft seit zwei
Jahren, die Patienten werden angehalten, pro Tag etwa zwei Stunden die aufbereitete Musik zu hören. Trotz
aller positiven Eindrücke warnt Pantev vor verfrühtem Optimismus: "Heilen werden wir den Tinnitus
nicht, aber vielleicht können wir eine deutliche Verbesserung erreichen." |