Heilende Wirkung der Musik   

erstellt am
07. 12. 07

Das Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse der Medizinischen Fakultät der Universität Münster untersucht neue Behandlungsmöglichkeiten für Tinnitus.
Münster (idw) - Das ständige Pfeifen, Klirren, Zirpen, Tönen hat schon Menschen in den Selbstmord getrieben. Wer niemals Ruhe empfindet, weil ein Tinnitus im Ohr sitzt, kann auch nicht abschalten. Fünf bis 15 Prozent der Deutschen, so wird geschätzt, leiden unter einem mehr oder weniger hartnäckigen und intensiven Ohrgeräusch. Am Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse (IBB) dder Medizinischen Fakultät der Universität Münster wird durch Prof. Dr. Christo Pantev in enger Kooperation mit der HNO-Klinik unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Stoll mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft untersucht, wie sich der Tinnitus reduzieren lässt."Es hat Menschen gegeben, die sich den Hörnerv haben durchtrennen lassen. Aber das hat nichts genutzt, die Ohrgeräusche blieben. Der Tinnitus wird zwar im Ohr wahrgenommen, entsteht aber im Gehirn", erläutert Pantev, der gemeinsam mit dem Postdoc Dr. Hidehiko Okamoto und dem Doktoranden Henning Stracke die Erkrankung untersucht. Es gibt viele mögliche Ursachen: beispielsweise einen Hörsturz, eine Viruserkrankung oder ein Knalltrauma. "Tinnitus wurde schon vor 3000 Jahren in griechischen Quellen beschrieben, aber die genaue Ursache ist immer noch unbekannt", so Pantev. Fest steht, dass der Tinnitus durch eine Reorganisation von Neuronen im Hörkortex hervorgerufen wird, die quasi "Amok laufen".

Pantev und sein Team nutzen die Magnetenzephalographie (MEG), um die neuronalen Aktivitäten zu beobachten. Diese ist für den Patienten ungefährlich und gleichzeitig wesentlich schonender als zum Beispiel die Verfahren der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) oder die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT), weil hier weder radioaktive Substanzen benutzt werden noch laute Geräusche auf die Patienten einwirken. Noch liegen keine Endergebnisse vor, aber die Zwischenberichte stimmen Pantev zuversichtlich: Es sieht so aus, als hätten die Forscher eine Methode entdeckt, mit der sich das lästige Geräusch reduzieren lässt.

Bislang wurde unter anderem versucht, den Tinnitus zu maskieren, indem man ihn mit Geräuschen übertönte. "Das kann eigentlich nicht gut funktionieren", ist sich Pantev sicher. "Tinnitus hat viel mit Aufmerksamkeit zu tun. Ein einfaches und uninteressantes externes Geräusch wird aber sehr schnell überhört." Als Beispiel für einen Aufmerksamkeitseffekt nennt er die so genannte Cocktail-Party- Taubheit. Normalerweise können Menschen aus einer verrauschten Lärmkulisse sehr leicht die Stimme des Menschen herausfiltern, mit dem sie sich gerade unterhalten. Manchen Menschen aber fehlt diese Fähigkeit, sie haben Schwierigkeiten, in solchen Situationen Sprachinformation zu verstehen. Gemeinsam mit kanadischen und japanischen Forschern hat Pantev gerade nachgewiesen, dass dafür vor allem die linke Gehirnhälfte spezialisiert ist. Dort ist offenbar der Sitz der Neuronen, die besonders gut wichtige akustische Signale aus dem Hintergrundrauschen herausfiltern können.

"Die Neuronen, die den Tinnitus verursachen, können wir nur sehr schwer beeinflussen", erklärt der Diplompsychologe Stracke. Deshalb wenden die Münsteraner einen Trick an: Sie sprechen die umliegenden Neuronen an, damit diese wiederum auf die Tinnitus-Neuronen einwirken. Auf diese Weise lässt sich scheinbar tatsächlich eine Reorganisation des Gehirns erreichen, die im MEG nachgewiesen werden kann. Dazu sind keine aufwändigen Geräte notwendig, sondern nur ein einfacher CD- Player. "Wir brauchen eine sehr hohe Aufmerksamkeit, um die Reorganisation der Neuronen zu erreichen. Deshalb nutzen wir einen Klang, der angenehm ist und auf den man sich gut konzentrieren kann", so Pantev.

Auf der Basis des individuellen Tinnitus-Profils werden Lieblingsstücke der Patienten umgestaltet. Die Patienten hören sich diese Musik dann täglich an. Der Unterschied ist kaum zu merken, geeignet sind fast alle Musikrichtungen außer beispielsweise Jazz, weil dieser meist nur ein geringes Frequenzspektrum abdeckt. "Je größer das Frequenzspektrum, desto besser, weil so die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Manipulation Wirkung zeigt", erklärt Stracke. Klassische Musik habe sich als besonders geeignet erwiesen. Die Studie läuft seit zwei Jahren, die Patienten werden angehalten, pro Tag etwa zwei Stunden die aufbereitete Musik zu hören. Trotz aller positiven Eindrücke warnt Pantev vor verfrühtem Optimismus: "Heilen werden wir den Tinnitus nicht, aber vielleicht können wir eine deutliche Verbesserung erreichen."
 
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