Homburg (idw) - Prostatakrebs ist der häufigste bösartige Tumor bei Männern. Allerdings entwickelt
sich der Krebs sehr unterschiedlich: Bei einem großen Teil der Männer über 70 Jahre verändert
er sich wenig und bereitet keine Beschwerden; er ruht, bleibt verborgen und bedarf keiner Behandlung. Ein geringer
Teil der ruhenden Krebse beginnt jedoch irgendwann schneller zu wachsen und sich auszubreiten, wird damit lebensbedrohlich
und schwer zu behandeln. Für den Arzt wäre es hilfreich, gerade den sich schnell entwickelnden Krebs
schon in einem Frühstadium zu erkennen, um rechtzeitig effektive Gegenmaßnahmen ergreifen zu können.
Eine Arbeitsgruppe um den Homburger Mediziner Veit Flockerzi und seinen Mitarbeiter Ulrich Wissenbach untersucht
mit Unterstützung der Wilhelm Sander-Stiftung bestimmte Gene, die es erlauben könnten, den 'bösartigen'
vom 'ruhenden' Krebs zu unterscheiden.
Ausgangspunkt dieser Untersuchungen war der Befund, dass die Expression des Gens tprv6 mit dem beschleunigten Wachstum
und der Organ-überschreitenden Ausbreitung des Prostatakrebses korreliert. Das Gen trpv6 liegt auf Chromosom
7 und kodiert einen Kationenkanal, eine Pore in der Plasmamembran, die es ermöglicht, dass Kalziumionen in
das Zellinnere strömen. Der Kationenkanal, der nach dem Gen als TRPV6 bezeichnet wird, ist normalerweise für
die Aufnahme von Kalziumionen aus der Nahrung im Darm und für die Kalziumaufnahme des Feten aus dem mütterlichen
Blut verantwortlich. In der gesunden Prostata ist dieser Kanal dagegen nicht nachweisbar, wohl aber im Prostatakrebs,
der gerade beginnt, sich über die Prostatagrenzen hinaus auszubreiten. Mithilfe des Nachweises von TRPV6 ließe
sich möglicherweise der fortschreitende Krebs, der behandelt werden muss, vom ruhenden Krebs, der keiner Therapie
bedarf, unterscheiden. Kalziumionen sind wichtige Signalgeber in Zellen und regulieren deren Wachstum und Ausbreitung.
Inwieweit jedoch das Auftauchen von TRPV6 in Zellen der Prostata Ursache des bösartigen Wachstums ist oder
nur den erhöhten Bedarf der Krebszellen an Kalziumionen widerspiegelt, ist unbekannt und Gegenstand der aktuellen
Forschungsarbeiten. Parallel werden Nachweise entwickelt, die es erlauben, das Auftauchen von TRPV6 rasch und mit
großer Empfindlichkeit in Biopsieproben zu erkennen. Damit wäre dem Urologen eine Entscheidungshilfe
zur Hand gegeben, den Krebs zu operieren oder eher zuzuwarten. Durch Substanzen, die den TRPV6-Kanal blockieren,
würde der Einstrom von Kalziumionen ins Zellinnere unterbunden und damit möglicherweise auch das Wachstum
und die Ausbreitung der Krebszellen. Leider sind solche Substanzen bisher nicht bekannt, doch ist der Forschungsansatz
äußerst vielversprechend, lässt sich doch durch Blockade anderer Kationenkanäle die Schmerzempfindung
aufheben, der Insulinspiegel im Blut von Diabetikern erhöhen oder krankhafte Blutdruckwerte normalisieren.
Die dafür verantwortlichen Ionenkanal-blockierenden Substanzen, sog. Lokalanästhetika, orale Antidiabetika
und Calciumantagonisten gehören seit über vierzig Jahren zu den am häufigsten verordneten Medikamenten. |