EU-Ausschuss des Bundesrats befasst sich mit Arbeitsprogramm der EU   

erstellt am
11. 01. 08

Kyrle zuversichtlich in Bezug auf Ratifizierung des Reformvertrags
Wien (pk) - Die Klimaschutzinitiative der Europäischen Union, der EU-Reformvertrag und die gemeinsame Asylpolitik standen im Mittelpunkt einer Diskussion im EU-Ausschuss des Bundesrats über das Legislativ- und Arbeitsprogramm der EU-Kommission im Jahr 2008. Dabei zeigte sich der Generalsekretär des Außenministeriums, Johannes Kyrle, gegenüber den Bundesräten und Bundesrätinnen zuversichtlich, dass der EU-Reformvertrag noch heuer von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ratifiziert wird. Mit Ausnahme von Irland, wo ein Referendum vorgesehen ist, werde die Ratifizierung des Vertrags aller Voraussicht nach in allen EU-Ländern auf parlamentarischer Ebene erfolgen, skizzierte Kyrle, wobei Ungarn das Ratifizierungsverfahren bereits abgeschlossen habe. Seiner Meinung kann auch davon ausgegangen werden, dass das Referendum in Irland positiv verlaufen wird.

Der Leiter der Sektion Koordination des Bundeskanzleramtes, Harald Dossi, erwartet sich von der Klimaschutzinitiative der EU nicht zuletzt Rückenwind für die Transitpolitik Österreichs. Österreich könne die von der EU im Rahmen des Post-Kyoto-Prozesses angestrebten Klimaschutzziele nur dann erreichen, wenn es gelinge, den Verkehr zu reduzieren, bekräftigte er, dazu sei aber eine Änderung der Wegekostenrichtlinie erforderlich. Es sei schwer vorstellbar, dass die EU ambitionierte CO2-Reduktionsziele anstrebe, gleichzeitig Österreich aber nicht die erforderlichen Instrumente in die Hand gebe, um die Ziele zu erreichen, sagte Dossi.

Eingeleitet wurde die Debatte über das Legislativ- und Arbeitsprogramm der EU-Kommission im Ausschuss mit Berichten der beiden Vertreter des Außenministeriums und des Bundeskanzleramtes. Generalsekretär Kyrle strich dabei zunächst die Prioritäten der EU-Kommission für das laufende Jahr hervor: Wachstum und Beschäftigung, Kampf gegen den Klimawandel und Nachhaltigkeit, mehr Bürgernähe, die Forcierung einer gemeinsamen Migrationspolitik sowie Nachbarschaftspolitik und die Positionierung der EU als Partner in der Welt. Aber auch eine vereinfachte und bessere Rechtsetzung, die Verringerung der Verwaltungslasten für Unternehmen, ein effizienter Umgang mit den Budgetmitteln der EU, die verbesserte Durchsetzung von EU-Vorschriften und eine verstärkte Kommunikationsarbeit sind der Kommission, wie aus dem Arbeitsprogramm hervorgeht, wichtige Anliegen. Insgesamt sind Kyrle zufolge 97 strategische und prioritäre Initiativen geplant, darunter viele zur Vereinfachung von EU-Recht.

Der slowenische EU-Vorsitz hat nach Darstellung Kyrles die Themen des Arbeitsprogramms der Kommission aufgegriffen. Oberste Priorität für Slowenien hat dabei die rasche Ratifikation des Vertrags von Lissabon. Gleichzeitig würden aber auch der Westbalkan-Schwerpunkt der Kommission unterstützt und die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien und der Türkei fortgesetzt. Für die österreichische Linie in Bezug auf einen EU-Beitritt der Türkei – Weiterführung der Gespräche, dabei aber Ergebnisoffenheit des Prozesses – sieht Kyrle Rückhalt auf europäischer Ebene.

Besonderes Augenmerk will Slowenien, wie Kyrle ausführte, auch dem Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs widmen. Dazu zähle auch die Forcierung von Mehrsprachigkeit.

Was den Kosovo betrifft, ortet Kyrle die Notwendigkeit, dass die EU an einem Strang zieht. Um Stabilität und Sicherheit in der Region zu gewährleisten, bedürfe es eines geschlossenen und einheitlichen Auftretens der EU, betonte er.

Sektionschef Dossi ging in seiner einleitenden Stellungnahme insbesondere auf die Klimaschutzinitiative der Europäischen Union ein. Er wies darauf hin, dass die EU ein Rechtssetzungspaket als Vorbereitung für den Post-Kyoto-Prozess plane. Unter anderem gehe es dabei um die Reduktion von Treibhausgasen und die Forcierung erneuerbarer Energieträger. Dossi zufolge werde es in Österreich immense Anstrengungen zur Umsetzung der Pläne, etwa im Bereich der Steuerpolitik und der Verkehrspolitik, geben müssen.

Von den Vorhaben der EU im Bereich Klimaschutz erwartet sich Dossi nicht zuletzt Rückenwind für die österreichische Transitpolitik. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, dass 26 % der CO2-Emissionen in Österreich aus dem Verkehr stammten, davon 93 % aus dem Straßenverkehr. Um die angepeilten Klimaschutzziele zu erreichen, werde Österreich einschneidende Maßnahmen im Verkehr treffen müssen, sagte er. Die geltende Wegekostenrichtlinie der EU stelle aber nicht auf das Verursacherprinzip ab, so Dossi, vielmehr dürften die Mauteinnahmen nur zur Abdeckung der Bau- und Erhaltungskosten der Transitrouten herangezogen werden. Je mehr gefahren werde, desto billiger müsste die Maut also eigentlich werden, skizzierte er, das passe aber nicht mit den Klimaschutzzielen zusammen. Die EU plane in diesem Sinne eine Änderung der Wegekostenrichtlinie, um regulierendes Eingreifen auf den Verkehr zu ermöglichen.

Was die Lissabon-Strategie für mehr Wachstum und Beschäftigung betrifft, sieht Österreich laut Dossi in zweierlei Hinsicht eine Ergänzung des Maßnahmenpakets für erforderlich. Zum einen solle die soziale Dimension in den Leitlinien stärker betont werden, zum anderen müsse der Klimaschutzgedanke Eingang finden.

Darüber hinaus berichtete Dossi den BundesrätInnen, dass sich die EU-Kommission vorgenommen habe, einen Schwerpunkt für kleine und mittlere Unternehmen zu setzen. Es sollen Maßnahmen überlegt werden, damit die Vorteile des Binnenmarkts auch von KMUs besser genutzt werden könnten. Auch Frankreich wolle während seiner EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2008 diesem Thema Priorität widmen.

Weiters steht 2008 der Beginn einer umfassenden Überprüfung der Agrarpolitik der EU an.

In der Diskussion wurden von den Bundesräten und Bundesrätinnen unter anderem die gemeinsame Asylpolitik, die Migrationspolitik, die Atompolitik, das geplante Partnerschaftsabkommen mit Russland und das Thema Bürgernähe angesprochen. So wiesen etwa die Bundesräte Edgar Mayer (V) und Reinhard Todt (S) auf den Anstieg der Asylwerberzahlen nach der Verschiebung der Schengengrenze hin, Bundesrat Franz Eduard Kühnel (V) wollte wissen, ob es bei der Ratifizierung des EU-Reformvertrags Nachzügler gebe und ob beim Partnerschaftsabkommen mit Russland darauf geachtet werde, die europäischen Investitionen ausreichend zu schützen. Bundesrat Ferdinand Tiefnig (V) erkundigte sich danach, ob die EU-Kommission im Rahmen ihrer Klimaschutzinitiative Nuklearenergie forciere.

Bundesrat Erich Gumplmaier (S) setzte sich mit der so genannten Lissabon-Strategie der EU für mehr Wachstum und Beschäftigung auseinander. Er begrüße die Strategie, meinte er, bei der Umsetzung bleibe es aber oft nur bei Worten, während die EU konkrete Maßnahmen vermissen lasse. Auch das geplante Maßnahmenpaket der EU zur Migration greift seiner Meinung nach zu kurz, da es dabei in erster Linie um sicherheitspolizeiliche Maßnahmen gehe, während Fragen der Integration außer Acht blieben. Im Gegensatz etwa zu den USA oder Australien verfolge die EU keine gezielte Zuwanderungspolitik und setze keine Integrationsmaßnahmen, kritisierte er. Auch hätte er sich, wie Gumplmaier sagte, Aktivitäten der EU erwartet, um die Auswirkungen des Platzens der amerikanischen Immobilienblase auf Europa zu minimieren.

Ein Vertreter des Innenministeriums, Brigadier Kurt Hager, informierte den EU-Ausschuss über geplante Änderungen im Bereich der Asylpolitik auf EU-Ebene. Das Prinzip, dass das Erstaufnahmeland für Asylwerber zuständig sei, funktioniere grundsätzlich sehr gut, meinte er, solle aber noch weiter entwickelt werden. Überdies geht es, wie Generalsekretär Kyrle ergänzte, um Mindestnormen für Asylverfahren und bestimmte Verfahrensgarantien.

Nach der Verschiebung der Schengen-Grenzen ist es Hager zufolge zu einer kurzfristigen Steigerung von Asylanträgen, vor allem von Tschetschenen gekommen. Um genauere Aussagen über die Ursache treffen zu können, brauche es aber einen längeren Beobachtungszeitraum, erklärte er. Auch in Frankreich sei die Zahl der tschetschenischen Flüchtlinge gestiegen, allerdings kämen diese über Nordafrika in das Land. Nach Zahlen gefragt, präzisierte Hager, dass es zwischen 21.12.2007 und 2.1.2008 347 Asylanträge aus der Russischen Föderation gegeben habe. Generalsekretär Kyrle bekräftigte, dass Österreich auf das Dubliner Abkommen zurückgreife und die tschetschenischen Flüchtlinge so rasch wie möglich in das Erstaufnahmeland, in der Regel Polen, abschiebe.

Zur Kritik von Bundesrat Gumplmaier an der EU hielt Sektionschef Dossi fest, die EU-Kommission habe in Zusammenhang mit dem Lissabon-Prozess vor allem die Aufgabe, die Maßnahmen der Mitgliedsländer zu prüfen und Tipps für Verbesserungen zu geben. So habe die EU-Kommission die Beschäftigungspolitik Österreichs grundsätzlich gelobt, gleichzeitig aber empfohlen, mehr Augenmerk auf die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer und die Ausbildung und Bildung benachteiligter Jugendlicher zu legen. Generalsekretär Kyrle machte darauf aufmerksam, dass die Lissabon-Strategie insofern erfolgreich sei, als 2006 und 2007 in der Europäischen Union jeweils ein Wirtschaftswachstum von nahezu 3 % verzeichnet werden konnte und seit Beginn der Strategie 6,5 Millionen neue Arbeitsplätze im Binnenmarkt geschaffen wurden.

Was das Klimapaket der EU anlangt, machte Sektionschef Dossi darauf aufmerksam, dass Österreich immer darauf bestanden habe, dass die Art der Energieerzeugung eine nationale Angelegenheit bleibe. Das bedeute aber auch, dass Österreich nicht auf andere Länder einwirken könne, wenn sich diese für Nukleartechnologie entscheiden. Die Vorschläge der EU-Kommission zum Klimaschutz sehen ihm zufolge aber nicht vor, Atomkraft als erneuerbare und umweltfreundliche Energie zu werten und den Bau von Atomkraftwerken als CO2-Kompensation anzuerkennen.

Auf die Frage von Bundesrätin Eva Konrad (G) nach den Planungen für die Zeit nach Kyoto meinte Dossi, die Bundesregierung werde alles daran setzen, die rechtsverbindlichen Ziele auch zu erreichen. Er machte jedoch darauf aufmerksam, dass die Werte, die dem Kyoto-Abkommen zugrunde liegen, auf dem Jahr 1990 basieren, als die Mitgliederstruktur der EU noch anders ausgesehen hat. Daher seien keine ausreichenden Vergleichsdaten vorhanden. Man werde daher zukünftig von der Basis des Jahres 2005 ausgehen, selbstverständlich blieben die Verpflichtungen bis zum Jahr 2012 jedoch aufrecht, so Dossi.

Für die Verhandlungen über ein Partnerschaftsabkommen mit Russland gibt es nach Information von Generalsekretär Kyrle ein Mandat der Kommission, diese hätten aber noch nicht begonnen. Jedenfalls sei ein Dreistufen-Plan mit einem Assoziierungsabkommen, dem WTO-Beitritt Russlands und schließlich einem Freihandelsabkommen zwischen Russland und der EU vorgesehen. Selbstverständlich würden bei den kommenden Verhandlungen Fragen des Investitionsschutzes und der Energiesicherheit eine wesentliche Rolle spielen, versicherte Kyrle. Weiters informierte er Bundesrat Kühnel darüber, dass FRONTEX, die Agentur für die Außengrenzen, evaluiert werde und für das Grenzüberwachungssystem ein umfassender Ansatz für mehrere Jahre entwickelt werden soll.

Diskussionsthema im Ausschuss war auch die angestrebte verstärkte Bürgernähe der EU. Bundesrat Hans Ager (V) gab zu bedenken, dass es nicht damit getan sei, dass die EU bürgernäher werden wolle, vielmehr müssten die Bürgerinnen und Bürger auch etwas davon merken. Ausschussvorsitzender Gottfried Kneifel (V) hielt dazu fest, auch die Bundesrätinnen und Bundesräte selbst seien aufgefordert, durch Informationen das Vertrauen in die EU zu stärken.

Sektionschef Dossi und Generalsekretär Kyrle führten aus, das Schlagwort "Bürgernähe" ziele vor allem darauf ab, Rechtsakte auf EU-Ebene zu setzen, die Bürgerinnen und Bürgern im Alltag etwas bringen. In diesem Sinn setzt die EU Kyrle zufolge zum Beispiel Initiativen im Gesundheitsbereich, bei der Patientensicherung und für einen vereinfachten Behördenverkehr. Nicht geplant sind laut Dossi "Jubelaktivitäten" über die Leistungen der EU, es gehe vielmehr darum, die Leute auf das breite Informationsangebot der EU für interessierte Bürger zu verweisen.

Die Vizepräsidentin des Bundesrates, Susanne Neuwirth (S), thematisierte die neuen Vorschläge zur Gleichbehandlungsrichtlinie und fragte, ob es in dieser Hinsicht in Österreich noch Handlungsbedarf gebe. Sektionschef Dossi erklärte dazu, die beiden EU-Richtlinien zur Gleichbehandlung hätten einen großen Schub nach vorwärts bedeutet und seien in Österreich vollständig umgesetzt worden. Das österreichische Modell habe in Europa auch große Beachtung gefunden, sagte er. Bei den nun vorgeschlagenen Änderungen gehe es um Detailnachbesserungen. Vizepräsidentin Neuwirth sprach auch mögliche Wanderungsbewegungen innerhalb Europas aufgrund unterschiedlicher gesetzlicher Regelungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes in den EU-Mitgliedsländern an, worauf Dossi bemerkte, dies stelle aus derzeitiger Sicht kein wirkliches Problem dar.

Seit 1995 hat Parlament 300.000 EU-Dokumente erhalten
Am Beginn der Ausschusssitzung hatte der Leiter des Internationalen Dienstes der Parlamentsdirektion, Alexis Wintoniak, den EU-Ausschuss des Bundesrats über die Vorbereitungen des Parlaments auf das im EU-Reformvertrag verankerte Subsidiaritätsprüfungsverfahren informiert. Das neue Verfahren ermöglicht es den nationalen Parlamenten der EU-Länder, Vorhaben der EU-Kommission dahingehend zu prüfen, ob die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit eingehalten werden. Dabei geht es etwa um die Frage, ob die EU-Kommission mit ihren Vorschlägen nicht ihre Kompetenzen überschreitet, ob die Maßnahmen nicht auch von den Mitgliedstaaten selbst gesetzt werden können, und ob die Vorschläge, die die EU-Kommission macht, tatsächlich verhältnismäßig sind. Die Kommission muss ihre Vorschläge überprüfen, wenn Einwände von einer bestimmten Anzahl von Parlamenten kommen.

Außerdem wird die Kommission durch den EU-Reformvertrag verpflichtet, sämtliche Vorhaben direkt an die nationalen Parlamente zu übermitteln und jedes ihrer Vorhaben in Bezug auf das Subsidiaritätsprinzip genau zu begründen. Geregelt ist das Subsidiaritätsprüfungsverfahren in zwei Protokollen zum EU-Reformvertrag, dem Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union und dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit.

Wintoniak wies darauf hin, dass die Kommission dem österreichischen Parlament bereits seit September 2006 alle Vorhaben direkt übermittle. Bis Dezember 2007 sind das 3.970 Dokumente gewesen. Insgesamt sind im Parlament seit 1995 rund 300.000 EU-Dokumente eingelangt, davon allein im Vorjahr rund 28.000.

Aufgabe des EU-Dienstes des Parlaments ist es, die Dokumente nicht nur elektronisch zu erfassen, sondern die wichtigsten von ihnen auch für die ParlamentarierInnen aufzubereiten. So werden alle Richtlinien- und Verordnungsentwürfe der EU-Kommission einer ersten groben Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen, und ein Newsletter versandt. Alle Vorhaben der EU-Kommission werden überdies ins Internet gestellt und sind damit innerhalb von 24 bis 48 Stunden ab Einlangen über die Website des Parlaments für alle Bürgerinnen und Bürger zugänglich.

Das Subsidiaritätsprüfungsverfahren ist, wie Wintoniak betonte, als Ergänzung zu den bereits bestehenden Mitwirkungsrechten des Parlaments in EU-Angelegenheiten zu verstehen. Die Informationspflicht der Regierung und das umfassende Stellungnahmerecht des Nationalrats und des Bundesrates zu EU-Vorhaben sind davon nicht berührt.
 
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