Graz (universität) - Mehr als 50 Wettlokale gibt es allein in Graz, steiermarkweit sind derzeit 4700
Automaten zugelassen, die Umsätze der Sportwetten-Anbieter steigen und steigen: Das Glücksspiel erlebt
derzeit eine Renaissance, immer mehr Menschen versuchen, das große Geld im schnellen Spiel zu machen. Ein
Nachwuchs-Wissenschafter der Uni Graz hat sich jetzt der Frage nach dem „Warum“ gewidmet und herausgefunden, dass
die Hass-Liebe zum Geld daran schuld ist.
Die Glücksspiel-Branche prosperiert: Die Zahl der Wettlokale in der Steiermark steigt, die Menge an Automaten
nimmt zu. Auch politisch sorgt das Thema seit geraumer Zeit für Diskussionsstoff, erst Anfang Oktober hat
im Landtag eine Enquete zu diesem Thema stattgefunden. Die KPÖ hat 11.000 Unterschriften gesammelt, um diese
Art von Glücksspiel einzudämmen.
Der Frage, warum so viele Menschen ihr Geld verwetten, wurde indes wenig Aufmerksamkeit geschenkt – ein Grazer
Jungforscher hat sich nun diese Mühe gemacht: In Interviews mit Betroffenen hat der Soziologe Mag. Christian
Stiplosek in seiner Diplomarbeit die Beweggründe der „Spielenden“ beleuchtet und so eruiert, warum das Glücksspiel
derzeit derart beliebt ist. Sein Ergebnis, kurz gefasst: „Die Grundlage für den Boom im Glücksspiel
liegt in einer, im flexiblen Kapitalismus verstärkt auftretenden, intensiven Hass-Liebe der Menschen zum Geld“,
sagt der 32-Jährige. Zwar mache sich die Mehrzahl der SpielerInnen keine Illusionen über die Gewinnchancen,
gespielt werde aber trotzdem. Auch die Höhe der Einsätze nimmt sich eher bescheiden aus: „Sie liegen
zwischen drei und 20 Euro pro Spiel“, sagt Stiplosek. „Die Mehrzahl geht kein Risiko ein. Ihnen ist wichtig, die
Kontrolle über das Spiel zu haben. Sie wollen sich unterhalten, ein wenig Spaß haben und den Alltag
für kurze Zeit vergessen.“
Das Spiel beherrscht einen großen Teil des Alltags der Befragten: „Die Personen, mit denen ich gesprochen
habe, verbringen schon einen wesentlichen Teil in ihrer Freizeit mit dem Spiel bzw. im Spieler-Milieu, ohne aber
die Kriterien des süchtigen bzw. pathologischen Glücksspiels voll zu erfüllen.“ Ihr Ziel sei somit
nicht der Gewinn selbst – „sie zeigen sich zufrieden, wenn sie pari aussteigen“ –, sondern ein Ausleben von Verbotenem:
„Im Glücksspiel, so meine Hauptthese, kann ausgelebt werden, was im Alltags- und vor allem Arbeitsleben, mit
seinen subtilen, aber rigiden Zwängen zur Selbstkontrolle, untersagt ist.“
Die massenhafte Zuwendung zum Glücksspiel sei also Ausdruck einer sich im Umbruch befindenden Wohlstandsgesellschaft:
Die gesellschaftlichen Veränderungen führen gerade in den weniger privilegierten Schichten, aber auch
in den Mittelschichten zu zunehmender Unsicherheit. Immer stärker etabliert sich ein Gefühl der Ausweglosigkeit
und Ohnmacht. Aus dieser Sicht ist das Glücksspiel bzw. die Sportwette also nichts anderes als eine so genannte
Ventilsitte, ein Ritual, das Unterdrückten dazu dient „Dampf abzulassen“. „Auf der einen Seite wird Geld –
als Indikator für den gesellschaftlichen Erfolg – begehrt, geliebt und angestrebt. Auf der anderen Seite
wird es aufgrund relativer Deprivation und aufgrund eben seiner uneingeschränkten und übergeordneten
Bedeutung gehasst und verachtet“, so der Soziologe. „Die ambivalente Beziehung – also die Hass-Liebe – zum Geld
verstärkt den Wunsch, es aufs Spiel zu setzen.“ |