Strukturprobleme und Reformnotwendigkeiten
Wien (wifo) - Anlässlich einer Parlamentsenquete der Grünen zur Zukunft der österreichischen
Erbschafts- und Schenkungssteuer am 15.01. präsentiert Prof. Dr. Karl Aiginger, Leiter des Österreichischen
Instituts für Wirtschaftsforschung, die folgenden zusammenfassenden Thesen:
- Es ist falsch, einzelne Steuern isoliert zu diskutieren, ebenso Steuern losgelöst von der Höhe und
der Struktur der Staatsausgaben. Auch Budgetdefizit und Staatsverschuldung müssen bei Überlegungen zur
Steuerreform berücksichtigt werden. Ebenso müssen Steuerreform und öffentliche Ausgaben gemeinsam
diskutiert werden.
- Steuern haben mehrere Funktionen: Erstens sollen sie Ausgabenblöcke finanzieren (Administration, öffentliche
Aufgaben und Güter), zweitens sollen Steuern auch "steuern". Sie sollen Beschäftigung, Ausbildung,
Forschung, sozialen Zusammenhalt begünstigen und umweltschädliche Emissionen, Energieverbrauch, Krankheiten
verringern. Ausgaben des Staates sollen Wachstum fördern, Risken absichern, Bildung und Chancengleichheit
fördern; Höhe und insbesondere Struktur der öffentlichen Einnahmen sollen Beschäftigung, Wachstum
und Konkurrenzfähigkeit nicht behindern.
- Die Abgabenquote sollte in Österreich mittelfristig nicht steigen, eher wenn möglich langsam - unter
Berücksichtigung neuer Aufgaben und des Konsolidierungsbedarfs im öffentlichen Haushalt - zurückgehen,
und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist die Abgabenquote immer noch etwas höher als im Durchschnitt des
Euro-Raums; zweitens versuchen Österreichs Nachbarländer offensiv Betriebe durch niedrige, einfache und
"flache" Steuern anzuwerben. Die geplante Steuersenkung 2010 erfolgt eher spät, es wäre aus
Sicht der Wettbewerbsfähigkeit, ebenso angesichts der geringen Realeinkommensteigerungen und der kalten Progression
besser, wenn sie früher möglich wäre. Dies wäre auch im Falle eines stärkeren Konjunktureinbruchs
sinnvoll.
- Gegen eine Vorverlegung der Steuerreform 2010 spricht allerdings, dass trotz zweier sehr guter Konjunkturjahre
noch immer ein Budgetdefizit ausgewiesen wird. Auch ist der Schuldenstand nur geringfügig zurückgegangen,
die Sozialhaushalte sind, trotz des Beschäftigungsanstiegs um insgesamt 4% in zwei Jahren, defizitär
(teilweise weil Einnahmen umgeschichtet wurden). Drittens sind Zusatzausgaben gering dotiert: Kindergarten, Bildung,
Forschung und Entwicklung, Migration, Gesundheit. Daher sind vielmehr forcierte Einsparungen und eine weitere Konjunkturdividende
notwendige Voraussetzung, um die Steuern deutlich zu senken. Erst wenn erhebliche Einsparungen wirksam werden (Verwaltungsreform,
Staatsreform, Fortsetzung der Reform des Finanzausgleichs), kann das Dreifachziel Budgetsanierung-Zukunftsausgaben-Steuersenkung
erfolgreich bewältigt werden.
- Die Einsetzung einer Steuerreformkommission wäre sinnvoll, damit die Reform einen ganzheitlichen, an den
bestehenden Strukturdefiziten des österreichischen Abgabensystems anknüpfenden Ansatz erhält und
den Zielen der Wirtschaftspolitik entspricht. Sollte die Steuerreform 2010 nicht durch eine Steuerreformkommission
vorbereitet werden, dann wird das WIFO eine Plattform für eine volkswirtschafliche Diskussion bieten. Das
WIFO wird das Ergebnis der Diskussion und eigene Berechnungen zusammenfassen sowie unterschiedliche Optionen präsentieren
- aber nicht kurzfristig, sondern gegen Ende 2008.
- Offensichtlich ist schon heute, dass die wichtigste Aufgabe im Rahmen der Steuerreform 2010 in der Entlastung
des Faktors Arbeit liegen muss. Es geht hier um die Summe der Belastungen aus Steuern und Lohnnebenkosten: unabhängig
vom Titel der einzelnen Steuern und Abgaben.
- Erste Priorität hat hier die Entlastung der niedrigen und mittleren Einkommen. Das betrifft die Sozialabgaben
für Bruttomonatseinkommen besonders bis etwa 1.500 Euro und den Eingangssteuersatz (derzeit 38 1/3% ab einem
steuerpflichtigen Jahreseinkommen von 10.000 Euro). Die zweite Priorität liegt in der Verschiebung der Grenzen
der Steuerklassen (u. a. jener, ab der der Spitzensteuersatz greift), in der Neugestaltung des Tarifs und der Steilheit
der Progression. Eine Senkung des Spitzensteuersatzes für Unselbständige und Selbständige in Richtung
der "echten 40%" wäre leistungsfördernd und attraktiv für den Standort (dies wäre
für Selbständige ein größerer Sprung und könnte teilweise durch eine Verringerung des
Gestaltungsspielraums kompensiert oder bei einer Berechnung der Anteile der Steuerreform, die Unternehmen und Unselbständige
betreffen, angerechnet werden). Wieweit dies realisierbar ist, hängt davon ab, wie groß der Spielraum
für die Steuerreform (durch Sparsamkeit auf der Ausgabenseite und effektive Verwaltungsreform) ist und ob
für einen (kleinen) Teil der Reform eine Gegenfinanzierung politisch durchgesetzt werden kann. Letztlich wäre
auch das Volumen der Entlastung des Faktors Arbeit größer, wenn eine Besteuerung von Flugbenzin und
Finanztransaktionen international durchgesetzt würde.
- Die Größe der Entlastung des Faktors Arbeit hängt davon ab, ob Erbschafts- und Schenkungssteuer
tatsächlich auslaufen, weil auf die erforderliche Reform verzichtet wird, ob die Bemessungsgrundlage der Grundsteuer
spät, aber doch an die Marktwerte angenähert wird (etwa im Bereich von 80% des Marktwertes mit angemessenen
Freibeträgen für Eigenheime und landwirtschaftliche sowie sonstige Betriebe), ob Tabak- und Energiesteuern
sowie die Kfz-Steuer erhöht werden, und ob die Beitragsgrundlage für die Sozialversicherung (um zusätzliche
Elemente zum Lohn) verbreitert werden kann.
- Grundbedingungen für eine große Reform sind erstens die Schaffung eines Entlastungsspielraums durch
weitere Verwaltungsreformen, die Umsetzung der Reform des Haushaltsrechts, verbesserte Bund-Länder-Beziehungen,
zweitens höhere Investitionen in Zukunftsausgaben, um Beschäftigung und Wachstum zu stützen und
mittelfristig genügend Steuereinnahmen zu erzielen, und drittens eine glaubwürdige Gesamtstrategie, die
als Steuersenkung und gleichzeitig als Strukturreform zur Erfüllung wirtschaftspolitischer Ziele gesehen wird.
- Durch ein glaubwürdiges, konsensual erarbeitetes und an den wirtschafts- und gesellschaftspolitischen
Zielen orientiertes Abgabensystem, kombiniert mit einer wachstums- und beschäftigungsorientierten Ausgabenstruktur,
kann Österreich die Herausforderungen der Globalisierung bewältigen und gleichzeitig ein Wachstum der
Einkommen sowie soziale und ökologische Ziele erreichen.
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