Bewusstsein für Genderfragen in Jugendorganisationen unterschiedlich
Wien (pk) - Das Bewusstsein für Genderfragen bei Jugendverbänden, Jugendorganisationen
und Jugendeinrichtungen ist sehr unterschiedlich. Oft sind es einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dafür
sorgen, dass diesem Thema verstärkt Augenmerk gewidmet wird. Das ist eines der Ergebnisse des fünften
Jugendberichts, der vor kurzem von Familienministerin Andrea Kdolsky dem Nationalrat vorgelegt wurde. Um die Situation
zu verbessern, wird seitens des Forschungsteams ein ganzes Maßnahmenbündel vorgeschlagen, es reicht
von der Einrichtung einer bundesweiten Informations- und Koordnierungsstelle für Gender Mainstreaming und
geschlechtssensible Ansätze in der außerschulischen Jugendarbeit bis hin zu Steuerungsmaßnahmen
über Förderungen. Der Einbeziehung der Geschlechterperspektive in alle Planungs- und Entscheidungsschritte
seitens der einzelnen Einrichtungen und spezifischen Angeboten für Mädchen und Buben wird jedenfalls
große Bedeutung beigemessen.
Für den fünften Jugendbericht hat die "L&R Sozialforschung" im Auftrag des Familienministeriums
Jugendorganisationen und andere Jugendeinrichtungen unter die Lupe genommen, um nachzuforschen, welchen Stellenwert
"Gender Mainstreaming" im Allgemeinen und geschlechtssensible Angebote im Speziellen in der außerschulischen
Jugendarbeit haben. Dafür wurde nicht nur eine Fragebogenerhebung durchgeführt, sondern auch eine Reihe
von FunktionärInnen und MitarbeiterInnen von Jugendorganisationen und Jugendeinrichtungen anhand von Interviewleitfäden
befragt. Gleichzeitig wurden Jugendliche zu Gruppendiskussionen eingeladen. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden
auf mehr als 300 Seiten zusammengefasst, wobei sich einige allgemeine Feststellungen treffen lassen:
Die Themen "Gender Mainstreaming" und geschlechtssensible Jugendarbeit werden von einer deutlichen Mehrheit
der Einrichtungen als sehr wichtig bzw. eher wichtig eingestuft, allerdings ist das konkrete Wissen zu diesen Themen
oft beschränkt und die Umsetzung häufig vom Engagement einzelner MitarbeiterInnen abhängig.
Offene Jugendarbeit (z.B. Jugendzentren, mobile Jugendarbeit, kommunale und regionale Jugendinitiativen) ist für
die Genderthematik grundsätzlich aufgeschlossener als verbandliche Jugendorganisationen, deren Strukturen
oftmals die Implementierung innovativer Ansätze erschweren. So können sich etwa männerdominierte
Vorstände, die mitunter ein sehr traditionelles Rollenbild haben, als Hindernis für die Verankerung konkreter
Gleichstellungsperspektiven erweisen.
Zur tatsächlichen Verankerung von Gender Mainstreaming in einer Einrichtung braucht es die Unterstützung
der Führungsebene, klare Verpflichtungen, schriftliche Festlegungen und die Bereitstellung finanzieller und
personeller Ressourcen. Ohne entsprechende zuständige Person kann die Implementierung von Gender Mainstreaming
kaum funktionieren, heißt es im Bericht. Auch der Frage der Vernetzung wird eine nicht geringe Bedeutung
beigemessen.
Zu den Hindernissen der Implementierung gehören hingegen neben unzureichendem Wissen etwa mangelndes Interesse,
Vorurteile gegen das Thema, fehlende Akzeptanz und männliche Abwehrhaltungen. Auch fürchten manche Einrichtungen,
dass es mit der Einführung von Gender Mainstreaming zu einer Kürzung frauen- und mädchenspezifischer
Angebote bei gleichzeitiger Verlagerung hin zu Jungenprojekten kommen könnte.
Jugendeinrichtungen, die Gender Mainstreaming umsetzen, haben einen wesentlich höheren Frauenanteil unter
den MitarbeiterInnen als Jugendeinrichtungen, die Gender Mainstreaming nicht umsetzen. Das gilt auch für die
Führungsebene. Allerdings ist die "gläserne Decke" für Frauen überall spürbar:
Auch in gendersensiblen Einrichtungen der außerschulischen Jugendarbeit entspricht der Frauenanteil in der
Führungsebene nicht dem Frauenanteil unter den Beschäftigten insgesamt.
Auswirkungen auf die Verankerung von Gender Mainstreaming in einer Jugendeinrichtung hat auch die Anzahl der bezahlten
MitarbeiterInnen. Einrichtungen mit vielen bezahlten MitarbeiterInnen sind deutlich aufgeschlossener als Organisationen
mit überwiegend ehrenamtlichen MitarbeiterInnen.
59 % der Einrichtungen, die Gender Mainstreaming implementiert haben, berichten, dass sich die Qualität der
Projekte verbessert hat, 40 % sehen ein verbessertes Arbeitsklima, 20 % berichten von effizienteren und transparenteren
Entscheidungsstrukturen. Drei Viertel der Einrichtungen geben an, dass sie durch geschlechtssensible Angebote für
weibliche Jugendliche attraktiver geworden sind.
Reine Mädchenangebote werden weitaus häufiger angeboten als Angebote nur für Burschen. Das liegt
nicht zuletzt daran, dass männliche Jugendliche in der Regel etablierte Angebote von Jugendeinrichtungen dominieren
und aus diesem Grund weniger Interesse an geschlechtshomogenen Angeboten zeigen. Allerdings warnen die AutorInnen
generell davor, die Wünsche der Jugendlichen zum alleinigen Maßstab für die Erarbeitung von Projekten
zu nehmen – oft kommt die Nachfrage erst mit dem Angebot. Für geschlechtergetrennte Auseinandersetzungen spricht
zum Beispiel die Erfahrung, dass Mädchen und junge Frauen in gemischtgeschlechtlichen Gruppen ihre eigenen
Bedürfnisse oft nicht äußern oder zugunsten der männlichen Jugendlichen darauf verzichten.
Im Bericht wird aber auch auf die Notwendigkeit geschlechtssensibler Jugendarbeit in gemischtgeschlechtlichen Gruppen
hingewiesen, um geschlechtsspezifische Rollenmuster und Rollenvorstellungen aufzugreifen und kritisch zu hinterfragen
und andere Handlungsperspektiven und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Gemischtgeschlechtliche Gruppen sollten
dabei grundsätzlich von einem gemischtgeschlechtlichen Team betreut werden.
Ausdrücklich hält der Bericht fest, dass dem Gender-Mainstreaming-Prinzip zufolge auch Männer Akteure
der Gleichstellungspolitik sind. Speziell im Bereich der Jugendarbeit kommt der Einbeziehung der Männer in
den Gender-Mainstreaming-Umsetzungsprozess eine besondere Bedeutung zu, da diese im pädagogischen Bereich
Vorbildfunktion haben, betonen die AutorInnen. Allerdings klagen die Einrichtungen häufig über einen
Mangel an männlichen Mitarbeitern.
Generell wird auch die fehlende Bereitschaft von MitarbeiterInnen, die eigenen Rollenvorstellungen über Mann
und Frau zu hinterfragen und zu reflektieren, als konkretes Hindernis für die Einführung geschlechtssensibler
Angebote genannt.
Die Ergebnisse aus den durchgeführten Workshops mit Jugendlichen zeigen, dass vor allem in jenen Einrichtungen,
die geschlechtssensibel agieren oder Gender Mainstreaming umsetzen, eine wesentlich höhere Sensibilität
bei Jugendlichen in Genderfragen zu beobachten ist als in jenen Einrichtungen, die kein dahingehendes Angebot haben.
Zudem erleben Einrichtungen, die sich auf ein geschlechtssensibles Angebot eingelassen haben, sehr schnell eine
hohe Zufriedenheit und positive Rückmeldungen von Jugendlichen zu diesen Angeboten, vor allem wenn sie die
konkrete Lebenswelt der Jugendlichen zum Ausgangspunkt der Angebote gemacht haben.
Zur Forcierung von Gender Mainstreaming und zur Ausweitung geschlechtssensibler Angebote in der außerschulischen
Jugendarbeit schlagen die AutorInnen einen umfangreichen Maßnahmenkatalog vor. Unter anderem urgieren sie
eine bundesweit anerkannte Ausbildung zum Jugendarbeiter bzw. zur Jugendarbeiterin sowie eine bessere Bezahlung
der Betroffenen, um das Berufsfeld "Jugendarbeit" attraktiver zu machen und auch mehr Männer für
den Arbeitsbereich zu rekrutieren.
Um Gender Mainstreaming und geschlechtssensible Ansätze in der Jugendarbeit nachhaltig zu verankern, könnte
man dem Bericht zufolge bei den Jugendreferaten der Gemeinden ansetzen. Gleichzeitig wird vorgeschlagen, zumindest
einen Teil der Förderungen von der Berücksichtigung des Gleichstellungsansatzes abhängig zu machen
und eigene Fördertöpfe für Gender Mainstreaming und geschlechtssensible Ansätze einzurichten.
Zu den weiteren Vorschlägen gehören: regelmäßige öffentliche Kampagnen zu den Themen
Gender Mainstreaming und geschlechtssensible Ansätze, die Erstellung einer "Gender-Box" mit praxisadäquatem
Informationsmaterial, die Einrichtung einer bundesweiten Informations- und Koordinierungsstelle, die Einrichtung
einer eigenen Website zum Thema Gender Mainstreaming, die Bereitstellung von "Flying Experts" auf Bundes-
bzw. Länderebene, der Ausbau von Schulungs- und Weiterbildungsangeboten sowohl für hauptamtliche als
auch für ehrenamtliche MitarbeiterInnen.
Für die Implementierung von Gender Mainstreaming könnten sich laut Bericht unter anderem folgende Fragestellungen
anbieten: Wie sieht die Zusammensetzung der MitarbeiterInnen bzw. der Leitungsebene aus? Wie gestaltet sich der
Zugang zu Weiterbildungsmöglichkeiten? Wie sieht die Zusammensetzung der Zielgruppe aus bzw. wer hat an meinen
Projekten teilgenommen? Tragen die geplanten Maßnahmen zu Chancengleichheit bei?
Teil des fünften Jugendberichts sind auch zehn Einzeldarstellungen von Jugendeinrichtungen (Fallstudien),
eine umfangreiche Literaturanalyse inkl. Literaturliste und eine detaillierte Darstellung der Fragebogenerhebungen
und der Interviews. |