Umfassende Amnestie für illegale Pflege
Wien (pk) - Pflegebedürftige Personen, die zu Hause von illegalen Pflegekräften betreut
werden, können mit einer umfassenden Amnestie rechnen. Nach eingehenden Beratungen unter Beiziehung von Expertinnen
und Experten gab der Sozialausschuss des Nationalrats am 22.01. Grünes Licht für das von den Koalitionsparteien
vorgeschlagene Pflege-Verfassungsgesetz. Inhaltliche Änderungen am Gesetzentwurf nahm der Ausschuss nicht
vor, mit einem Abänderungsantrag wurde allerdings ein Zitationsfehler richtig gestellt.
Das Pflege-Verfassungsgesetz sieht vor, dass BezieherInnen von Pflegegeld bzw. ihre Angehörigen weder nachträglich
Sozialversicherungsbeiträge entrichten noch Finanz- und andere Verwaltungsstrafen zahlen müssen, wenn
eine Anmeldung der illegalen Pflegekräfte bei der Sozialversicherung bis zum 30. Juni erfolgt bzw. die illegale
Pflege vor dem 1. Jänner 2008 beendet wurde. Eine Anmeldung ist sowohl als unselbständig Beschäftigte
(ASVG) als auch als selbständige Betreuungsperson (GSVG) möglich. Für das Betreuungspersonal selbst
bringt das Verfassungsgesetz den Vorteil, dass es für ausgeübte Tätigkeiten, für die es im
Grunde nicht berechtigt war (z.B. Hilfe bei der Nahrungsaufnahme der Pflegebedürftigen), nachträglich
nicht belangt werden kann. Insgesamt geht die Amnestie weit über die Bestimmungen des Ende letzten Jahres
ausgelaufenen Pflege-Übergangsgesetzes hinaus.
Sozialminister Erwin Buchinger zeigte sich im Ausschuss zufrieden über die erzielte Lösung. Er räumte
ein, dass über die Frage der Amnestie zwischen den Koalitionsparteien "viel gestritten worden ist",
aus dem Streit sei aber, so Buchinger, etwas Positives erwachsen. Die nunmehrige Kombination aus Rückforderungsverzicht,
Amnestie und Legalisierungsanreiz gehe über die von ÖVP und SPÖ gemachten Vorschläge weit hinaus.
Der Minister erwartet sich, dass es mit dem Pflege-Verfassungsgesetz gelingen wird, "weit in den Graubereich
hineinzustoßen".
Dass das Modell eines Verfassungsgesetzes gewählt wurde, begründete Buchinger damit, dass damit größtmögliche
Rechtssicherheit für die Betroffenen gewährleistet sei. Die Botschaft laute: "Fürchtet Euch
nicht!" Illegale Pflege könne ohne die Gefahr von Nachforderungen oder Strafen legalisiert werden.
Der Kritik von Oppositionsabgeordneten, wonach legale 24-Stunden-Betreuung für viele nicht leistbar sei, hielt
Buchinger Berechnungen entgegen, denen zufolge legale Pflege in den ersten beiden Jahren um monatlich lediglich
30 € pro Person, also 60 € pro Haushalt, teurer komme als illegale Pflege. Ab einer Monatsbruttopension von 1.400
€ gebe es auf Grund von Steuerabsetzmöglichkeiten sogar Ersparnisse. Allerdings dürfe man auch keine
übertriebenen Erwartungen an das Gesetz haben, warnte Buchinger, es bringe nur für jene 5.000 bis 20.000
Haushalte eine Lösung, die illegale 24-Stunden-Betreuung in Anspruch genommen haben. An Lösungen für
andere Pflegebedürftige werde gearbeitet.
Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky zeigte sich gegenüber den Abgeordneten zuversichtlich, dass die Frage
der Befugnisse der Betreuungspersonen bis zum April 2008 geklärt werden kann. Unter anderem geht es um die
Erlaubnis, den Pflegebedürftigen bei der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme und bei der Körperpflege
zu helfen. Insgesamt betonte Kdolsky die Notwendigkeit, zwischen Betreuung und Pflege zu unterscheiden. Für
Pflege, die in den medizinischen Bereich hineinreiche, brauche es allein schon aus Haftungsgründen eine klare
Definition und Ausbildungsstandards, bekräftigte sie.
Seitens der Abgeordneten wurde das Pflege-Verfassungsgesetz unterschiedlich bewertet, wobei vor allem die Grünen
heftige Kritik übten. Sie zeigten kein Verständnis dafür, dass die Amnestieregelung der Kontrolle
des Verfassungsgerichtshofs entzogen wird. Damit sorge man vielleicht für mehr Rechtssicherheit bei den betroffenen
Pflegebedürftigen, sagte Abgeordnete Sabine Mandak (G), gleichzeitig würden damit aber die Rechte jener
beschnitten, die Pflegebedürftige betreuen. Ihr Fraktionskollege Karl Öllinger hielt fest, die Grünen
hätten immer große Bereitschaft gezeigt, einer Amnestieregelung zuzustimmen, die getroffene Regelung
gehe laut Experten aber "einen Schritt zu weit".
Als bleibenden großen Unsicherheitsfaktor sieht Abgeordnete Mandak den Status von selbständigen Betreuungskräften.
Sie verwies darauf, dass nach Ansicht vieler Experten selbständige BetreuerInnen eine gute Chance hätten,
würden sie eine Anstellung einklagen, da 24-Stunden-Betreuung nur in Ausnahmefällen als selbständige
Tätigkeit gewertet werden könne.
Generell kritisierten Mandak und Öllinger die ihrer Meinung nach chaotische Vorgangsweise der Regierung. Es
werde ständig an der Pflegelösung "herumgebastelt", sagte Öllinger, ohne dass die 24-Stunden-Betreuung
dadurch für alle leistbar würde. Abgeordnete Mandak zeigte sich überzeugt, dass der Dauerstreit
in der Regierung eine adäquate Lösung erschwere.
Von Seiten der FPÖ führte Abgeordneter Norbert Hofer aus, offenbar könne das hohe Maß an Sicherheit,
das sich alle von der Amnestieregelung erwarten, nicht garantiert werden. Es gehe aber nicht nur um Rechtssicherheit,
sondern auch um die Leistbarkeit von Pflege, fügte sein Fraktionskollege Werner Neubauer hinzu. Neubauer bemängelte
unter anderem, dass bei der Vermögensgrenze mit verschiedenerlei Maß gemessen werde, und dass ein unter
der früheren steirischen Landeshauptfrau Waltraud Klasnic erarbeitetes Arbeitspapier zur "Zukunft Pflege"
zu wenig Beachtung finde.
Abgeordnete Ursula Haubner (B) sprach im Zusammenhang mit der Pflegeamnestie von einem "Flickwerk", dem
ihre Fraktion nicht zustimmen könne. Ihrer Ansicht nach ist es nicht gelungen, eine Regelung zu finden, die
bei der Bevölkerung auf Vertrauen stößt. Haubner sieht viele offene Fragen, wobei sie etwa auf
die unterschiedlichen Vermögensgrenzen, die ungeklärten Befugnisse von Betreuungspersonen und mögliche
Regressforderungen gegenüber Angehörigen verwies. Ziel und Absicht seien zwar gut, meinte Haubner, es
würden aber immer neue Baustellen eröffnet.
Verteidigt wurde die umfassende Pflegeamnestie von Abgeordneten der Koalitionsparteien. So bekräftigte Abgeordneter
Werner Amon (V), dass durch die verfassungsrechtliche Verankerung der Amnestie größtmögliche Rechtssicherheit
gegeben sein werde. Ähnlich argumentierte auch Abgeordnete Christine Lapp (S). Sie gab allerdings zu bedenken,
dass 24-Stunden-Betreuung nur von einem geringen Prozentsatz pflegebedürftiger Menschen in Anspruch genommen
werde.
Abgeordneter Franz-Joseph Huainigg (V) wies darauf hin, dass durch den medizinischen Fortschritt viele behinderte
Menschen zu Hause betreut werden könnten. Er sieht es allerdings als Problem, dass die BetreuerInnen keine
Pflegetätigkeit ausüben dürfen. So sei es ihnen in seinem Fall etwa nicht erlaubt im Notfall die
Atemkanüle abzusaugen, wenn sie verschleime, skizzierte er. Huainigg kann sich eine Lösung des Problems
dahingehend vorstellen, dass Fachkräfte persönliche AssistentInnen einschulen. Die Rund-um-die-Uhr-Betreuung
durch diplomierte Krankenschwestern hält er jedenfalls für nicht leistbar.
Bei der Abstimmung wurde das Pflege-Verfassungsgesetz mit den Stimmen der Koalitionsparteien vom Sozialausschuss
gebilligt.
Mit dem Gesetz mitverhandelt wurden auch zwei Entschließungsanträge der FPÖ. Zum einen spricht
sich die FPÖ für eine bundesweite Streichung des "Angehörigen-Regresses" im Pflegebereich
aus ( 551/A[E]), zum anderen regt sie die Einrichtung einer Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreuung
an ( 552/A[E]). Die Genossenschaft soll nach Vorstellung der FPÖ die Anstellung von Pflegekräften für
betreuungsbedürftige Personen und damit in Zusammenhang stehende administrative Pflichten übernehmen
und auch für notwendige Urlaubsvertretungen sorgen.
Im Rahmen der Diskussion im Ausschuss zeigte Abgeordneter Norbert Hofer (F) kein Verständnis dafür, dass
in manchen Bundesländern zwischen zwei Gruppen von Pflegebedürftigen unterschieden werde: jener Gruppe,
die keine Kinder habe, und jener Gruppe, die Kinder habe. In einem Fall springe die öffentliche Hand ein,
wenn das Vermögen der Pflegebedürftigen aufgebraucht sei, im anderen müssten die Kinder mit Regressforderungen
rechnen.
Auch bei den Abgeordneten Erwin Spindelberger und Franz Riepl (beide S) stießen die unterschiedlichen Regressforderungen
auf Unverständnis. Spindelberger gab allerdings zu bedenken, dass diese Frage in den ausschließlichen
Kompetenzbereich der Länder falle und der Antrag der FPÖ im Sozialausschuss daher fehl am Platz sei.
Unterschiedliche Reaktionen gab es auf den zweiten Antrag der FPÖ. Während Abgeordnete Theresia Haidlmayr
(G) das Genossenschaftsmodell unterstützte und auf einen ähnlichen Antrag der Grünen verwies, lehnte
Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig den Vorschlag ab. Sie machte geltend, dass mit dem Hausbetreuungsgesetz
eine praxistaugliche Lösung für legale und leistbare 24-Stunden-Betreuung vorliege, die auch von zahlreichen
Hilfsorganisationen aufgegriffen worden sei. In diesem Sinn sieht sie keine Notwendigkeit für eine Pflegegenossenschaft.
Der FPÖ-Antrag betreffend Einrichtung einer Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreuung wurde schließlich
mit S-V-Mehrheit abgelehnt, der Antrag betreffend bundesweite Streichung des "Angehörigen-Regresses"
vertagt. |