Heftige Debatte um Regeln für die parlamentarische Arbeit
Wien (pk) - Ehe der Nationalrat nach der Aktuellen Stunde am 30.01. in die Tagesordnung eintrat,
wurde eine Einwendungsdebatte geführt, bei der es zu einem heftigen verbalen Schlagabtausch zwischen dem BZÖ
und den übrigen Fraktionen kam. Grund für die Einwendungsdebatte war der Wunsch der Abgeordneten des
BZÖ, den Sammelbericht des Petitionsausschusses statt unter Tagesordnungspunkt 21 (worauf sich die Klubdirektoren
im Vorfeld der Präsidiale geeinigt hatten) unter Punkt 3 zu behandeln.
Abgeordneter Ing. WESTENTHALER (B) griff erneut frontal die Nationalratspräsidentin an, indem er ihr vorwarf,
die Live-Übertragung des ORF über die Pflegedebatte und Einwendungsdebatte untersagt zu haben. Damit
betreibe sie Zensur und handle gegen die Medienfreiheit und die Oppositionsrechte. Das sei eine "Schande für
das Parlament", sagte er, und daher nehme er den Ordnungsruf während der Aktuellen Stunde gern auf sich,
denn er werde immer für diese Rechte kämpfen. ORF-Live-Übertragungen dürften kein Gnadenakt
sein, sagte Westenthaler weiter. Der Grund für die Einwendungsdebatte sei der Wunsch des BZÖ, den Sammelbericht
des Petitionsausschusses vorzureihen, weil es unverständlich sei, wichtige Anliegen der Bevölkerung,
die mittels direkt demokratischer Instrumente an das Parlament herangetragen werden, am Ende einer Tagesordnung
zu beraten. Die Vorgänge in der letzten Präsidiale betrachtete Westenthaler als einen "politischen
Erpressungsversuch", von Klubobmann Schüssel initiiert, von Klubobmann Cap unterstützt und von Präsidentin
Prammer umgesetzt. Das BZÖ sei für ein, wie er sagte, Husch-Pfusch-Verfahren bei der Ratifizierung nicht
zu haben, zumindest müsste das Votum in Irland und die Volksbefragung in Kärnten abgewartet werden. Westenthaler
kritisierte auch scharf die Einberufung des Nationalen Sicherheitsrats an dem Tag, an dem der Innenausschuss stattfindet,
sowie die Praxis, Oppositionsanträge zu vertagen.
Abgeordneter Dr. CAP (S) hielt dem entgegen, dass es um Spielregeln gehe, die einzuhalten sind. Bisher habe es
bei der Organisation der Abläufe im Hohen Haus immer das Konsensprinzip gegeben, und das sollte auch in Zukunft
so sein. Die Abgeordneten seien verpflichtet, dafür zu sorgen, dass das Haus arbeitsfähig ist, das BZÖ
wolle es aber dem Verfassungsausschuss unmöglich machen, zu arbeiten. Während das BZÖ dauernd in
der Öffentlichkeit den Vorwurf erhebe, das Parlament arbeite nicht, versuche es nun, die anderen vier Parteien
an der Arbeit zu hindern. Er versicherte Westenthaler, dass der BZÖ-Antrag auf Abhaltung einer Volksbefragung
über den EU-Reformvertrag abgestimmt werden wird, zuvor müsste aber der Ausschuss tagen. Was die ORF-Übertragung
der Plenarsitzung betrifft, so müssten auch hier Spielregeln gelten, über die es bis jetzt immer Konsens
gegeben habe. Live-Übertragungen seien aber kein Mittel der Oppositionspolitik, um Botschaften präsentieren
zu können. Die Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates werde so geregelt, dass es keine Kollisionen geben
wird. Was die Einwendungsdebatte betrifft, so sei der heutigen Tagesordnung eine Einigung aller fünf Klubdirektoren
vorgelegen.
Abgeordneter SCHEIBNER (B) stimmte zu, dass Spielregeln eingehalten werden müssen. Das gelte aber auch für
Gesetze, sagte er und übte scharfe Kritik an Bundeskanzler Gusenbauer, der ursprünglich den Nationalen
Sicherheitsrat nicht einberufen wollte, obwohl dazu ein ausreichend unterstützter Antrag vorlag. Er wehrte
sich auch gegen den Vorwurf, das BZÖ verhindere das Arbeiten im Parlament, und forderte dazu auf, den Wirtschaftsausschuss
zur Frage, wie man die Wirtschaft ankurbeln könne, oder den Budgetausschuss zur Frage der Steuerreform einzuberufen.
Scheibner sah aber keine Notwendigkeit, den Ratifizierungsprozess zum EU-Reformvertrag so rasch in Gang zu setzen,
da dies einer Missachtung der Instrumente der direkten Demokratie gleichkäme. Es gehe weniger um die Inhalte
als vielmehr um ein Signal dafür, dass man die Meinungsäußerung der Bevölkerung in die Entscheidung
mit einbezieht, betonte er. Auch Scheibner trat für die Vorreihung der Vorlagen des Petitionsausschusses ein,
da es auch hier um Instrumente der direkten Demokratie geht.
Abgeordneter Dr. SCHÜSSEL (V) wies auf die Praxis der Präsidiale hin, Fragen in ruhiger und konsensualer
Form zu klären. Der Vorschlag für die Tagesordnung sowie für die Redezeiten seien von den fünf
KlubdirektorInnen übereinstimmend festgelegt worden, plötzlich aber habe das BZÖ den Konsens verlassen.
Mit der Einwendungsdebatte wäre eine ganze Runde von RednerInnen zur Pflege für die ORF-Diskussion weggefallen.
Sein Vorschlag, mit der Sitzung früher zu beginnen, sei ebenfalls vom BZÖ abgelehnt worden. Der bisherige
Konsens hinsichtlich der Einberufung von Ausschüssen sei bislang außer Streit gestanden, und auch dieser
Plan sei von den fünf Klubdirektoren vorgelegt worden. Es sei daher höchst bedenklich, so Schüssel,
dass das BZÖ auch diesen Konsens verlasse und zum ersten Mal versucht werde, den Beginn von Verhandlungen
zu blockieren. Er unterstütze daher die Vorgangsweise des Ausschussvorsitzenden Wittmann, den Verfassungsausschuss
wie geplant einzuberufen. Man wolle seriös mit den Beratungen beginnen, sagte Schüssel, und wies darauf
hin, dass bereits zwei EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert haben und weitere neun Länder mit dem Ratifizierungsprozess
begonnen haben. Abschließend appellierte er an Abgeordneten Westenthaler, die Spielregeln des Hauses einzuhalten,
wozu auch der Respekt vor der Präsidentin zähle, bemerkte Schüssel.
Abgeordneter Mag. DARMANN (B) trat vehement dafür ein, die Vorlagen des Petitionsausschusses auf Punkt 3 vorzureihen,
da es die Bevölkerung ohnehin nicht leicht habe, Anliegen an das Parlament heranzutragen. Daher sollte man
diese wichtigen Themen zu einem frühen Zeitpunkt diskutieren. Dass die Regierungsfraktionen dies ablehnen,
lasse Rückschlüsse auf ihr Demokratieverständnis zu. In dieses Bild passe auch die Weigerung, vor
der Ratifizierung des EU-Vertrags die Volksbefragung in Kärnten abzuwarten. Das BZÖ betreibe keine Blockade,
so Darmann, sondern poche darauf, sich Zeit für die Debatte zu nehmen. Die oberste Spielregel laute, das Recht
geht vom Volk aus.
Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) räumte dem BZÖ-Klubobmann das Recht ein, eine Zusage der Klubdirektorin
zurückzunehmen. Heikel werde die Sache aber, wenn man damit auch von der konsensualen Redeordnung während
der Fernsehübertragung abgeht. Dieser Konsens bei Live-Übertragungen sei wichtig, und diesen dürfe
man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Er, Van der Bellen, hätte auch durchaus einer kurzen Einwendungsdebatte
zugestimmt. Es gehe jedoch nicht an, dass das BZÖ beim Verfassungsausschuss eine Blockade betreibt und anderen
Abgeordneten vorschreiben will, wann man in einem Ausschuss mit der Diskussion beginnen kann. Die bisherige Praxis,
Ausschüsse nur im Konsens einzuberufen, damit der Ausschussvorsitzende nicht willkürlich agiert, setze
Westenthaler nun aufs Spiel. Die Blockade würde die anderen Fraktionen zwingen, schlussendlich einen Fristsetzungsantrag
zu stellen, was dazu führe, dass man im Plenum ohne die vorherige Diskussion im Verfassungsausschuss abstimmt.
Der Vorwurf der Husch-Pfusch-Behandlung sei lächerlich, zumal man seit vier Jahren über die Reform der
EU diskutiere.
Abgeordneter Ing. HOFER (F) warf Abgeordnetem Westenthaler vor, die politische Unredlichkeit zum Prinzip zu erheben,
und erinnerte daran, dass das BZÖ für den ursprünglichen Verfassungsvertrag gestimmt hat. Die FPÖ
sei dafür, den Verfassungsausschuss einzuberufen, denn Demokratie funktioniere nur, wenn man über ein
Thema diskutieren kann. Die FPÖ wolle keine schnelle Ratifizierung im Parlament, sie wolle aber danach eine
Volksabstimmung. Er kritisierte auch, dass Klubobmann Westenthaler von der ursprünglichen Zustimmung zur Tagesordnung
wieder abgegangen ist, und bemerkte dazu, es könne nicht sein, dass sich vier Fraktionen in der Geiselhaft
einer Fraktion befinden. Abschließend stellte sich auch Abgeordneter Hofer hinter die Präsidentin des
Nationalrats. Sie übe eine hohe Staatsfunktion aus, und ihr gebühre Respekt, sagte er. Wenn man dies
nicht beachte, schade man dem Parlament selbst.
Abgeordneter Dr. WITTMANN (S) meinte, es sei Usus, dass es Vorberatungen durch die Klubdirektoren gibt und dann
ein gemeinsamer Weg vorgeschlagen wird, der unter Umständen in der Präsidiale im Konsensweg verändert
werden kann. Bedenklich sei, dass eine Fraktion bereit ist, diesen Konsens aufs Spiel zu setzen und die anderen
der "Undemokratie" bezichtigt. Man könne den Antrag auf Volksbefragung einbringen, man werde darüber
diskutieren und abstimmen, aber die Arbeit des Ausschusses solle nicht behindert werden; die Kärntner Volksbefragung
könne man nicht abwarten.
Abgeordneter Dr. STUMMVOLL (V) zeigt kein Verständnis dafür, wenn als medialer Flankenschutz zur heutigen
Einwendungsdebatte der BZÖ-Generalsekretär Klubobmann Schüssel als "minimalistische Reinkarnation
von Dollfuß" bezeichnet. Westenthaler solle sich für das Verhalten seines Generalsekretärs
entschuldigen. Sollte der Klubobmann des BZÖ nicht diesen letzten Rest von Anstand besitzen, dann sollte ein
anderes BZÖ-Mitglied diese Entschuldigung übernehmen. Demokratie könne nicht bedeuten, dass die
Minderheit bestimmt, was die Mehrheit zu machen habe. Eine Minderheit von 7 Abgeordneten könne nicht die Arbeit
des Parlaments blockieren!
Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG-PIESCZEK (G) meinte, es sei ein Armutszeugnis für das Hohe Haus, keinen Konsens
zu finden. Um im Parlament arbeitsfähig zu bleiben, brauche man Handschlagqualität. Wenn man sich nicht
mehr auf das verlassen könne, was Klubdirektoren vereinbaren, sei es ein Problem. Sie mutmaßte, der
Kärntner Wahlkampf werfe seine Schatten voraus. Das Parlament möge man aber mit dem Wahlkampf von Landeshauptmann
Haider verschonen, Westenthaler wirke wie "ferngesteuert aus Klagenfurt".
Die Einwendungen, den Sammelbericht als Tagesordnungspunkt 3 zu verhandeln, fanden keine Mehrheit; somit blieb
es bei der ausgegebenen Tagesordnung. |