|
||
Vom Jugendstil zum Art Déco |
erstellt am |
|
Die Sammlung der Fachschule für Schmuck und Edelsteine in Turnov Wien (kunstnet) - Vom 01. April bis 10. Mai 2008 präsentiert das WAGNER:WERK Museum Postsparkasse im Grossen Kassensaal die Ausstellung "Vom Jugendstil zum Art Déco. Die Sammlung der Fachschule für Schmuck und Edelsteine in Turnov". Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde in Nordböhmen das Schleifen von Edel- und Kompositionsteinen, das bereits eine lange Tradition hatte, zum wichtigsten Industriezweig. Zahlreiche Firmen hatten sich über die Jahrhunderte dort angesiedelt und Dutzende von Lohnarbeitern und Hunderte von Heimarbeitern beschäftigt. So wurde 1884 auch in Turnau, in der Blütezeit des Schleifens von Edelsteinen, im Zuge von Neugründungen von Fachschulen vom Kultus- und Unterrichtsministeriums der k.u.k. Monarchie die Fachschule für das Schleifen und Fassen von Edelsteinen ins Leben gerufen. Zu dieser Zeit gab es in Nordböhmen Glasgewerbeschulen und die Kunstgewerbeschule für Bijouterie in Gablonz an der Neiße, die wie die Turnauer Fachschule an die regionale Gewerbetradition anknüpften und zur Steigerung des kunsthandwerklichen Niveaus der heimischen Schmuckerzeugung beitragen sollten. Nach kurzer Zeit bereits hatte sich die Fachschule einen Namen gemacht und wurde u.a. 1904 mit künstlerischen Arbeiten zu der legendären Weltausstellung nach St. Lois (USA) eingeladen. Das WAGNER:WERK Museum Postsparkasse zeigt nun zum ersten Mal in Österreich Entwurfszeichnungen, Schmuck und Gerät aus der Blütezeit der bis heute bestehenden Fachschule. Für die Ausstellung wurden die besten Exponate aus der Sammlung, die mittlerweile Hunderte von Schmuckstücken umfaßt, ausgewählt - darunter auch die Granatbrosche im Stil des französischen floralen Jugendstils, die in St. Lois 1904 mit zwei Goldmedaillen ausgezeichnet wurde. Die Fachschule organisierte zunächst Fachvorlesungen, vor allem für Edelsteinschleifer und Goldschmiede, betrieb öffentliche Zeichenklassen und brachte eine Reihe von technischen Innovationen hervor. So wurden z. B. als erste in der Region die Schleifmaschinen in den Schulwerkstätten mit Strom betrieben und effizientere Karbonrundumschleifscheiben eingeführt. Im Unterschied zu den Fachschulen im nahegelegenen deutschsprachigen Grenzgebiet profilierte sie sich von vornherein als tschechische Schule, was sich nicht nur bei der Vergabe der Lehrerstellen zeigte, sondern auch die Schülerstruktur beeinflußte und die Orientierung an der Tradition des nationalen Kunsthandwerks betonte. Professoren, in der Regel Absolventen der Prager Kunstgewerbeschule oder der Akademie der bildenden Künste, aber auch aus den Reihen anerkannter Prager oder Turnauer Handwerker stammende Werkstattleiter sorgten von Anfang an für ein hohes fachliches Niveau des Unterrichts, obwohl sie sich lange mit einer unzureichenden Raumsituation auseinandersetzen mußten. Ein eigenes Gebäude mit ausreichend eingerichteten Werkstätten und Lehrräumen bekam die Schule erst im Jahre 1910. Die Schularbeiten aus den Anfangsjahren stehen im Zeichen der Stilkopien des Historismus, wurden aber anfangs des Schuljahres 1900 - 1901 sehr rasch vom Jugendstil abgelöst. Noch im selben Herbst fand im nordböhmischen Museum in Liberec eine Ausstellung mit Schmuckstücken dieser neuen Stilrichtung statt. Die Orientierung am französischen Art Nouveau verdankt die Schule einer Exkursion des Direktors Josef Mašek mit Professoren der Gablonzer Schule zur Pariser Weltausstellung, wo sie vor allem von den Arbeiten René Laliques beeindruckt waren. Eine wichtige Rolle als Inspirationsquellen spielten auch Fachzeitschriften. Am Ende der letzten Dekade beobachten wir zunehmende Einflüsse Prags und Wiens. In den Jahren 1906 - 1908 erweiterte sich der Lehrkörper um junge Gestalter, die schon im modernen Geist ausgebildet waren. Diese bezogen eigene Inspiration und Impulse aus der Kunstgewerbeschule (UMPRUM) in Prag und den Kunstgewerbemuseen in Prag und Liberec (Reichenberg), von innovativen tschechischen Produzenten wie der Werkstätte Franta Anýž sowie der Wiener Werkstätte und suchten diese mit der Turnauer Tradition und mit heimischen Materialien zu verbinden. Einzigartig unter den Fachschulen des damaligen Europas war die Zusammenarbeit der Schleifer-, Glyptik- und Goldschmiedewerkstätten innerhalb einer einzigen Institution. Dies führte zur Entstehung künstlerisch und handwerklich hervorragender Arbeiten, wie Schmuckstücke oder Steingravuren, sowie einzigartiger Gefäße, die aus Edelsteinen geschnitten wurden. Farblich akzentuierte Form, Fläche oder Detail wurden vor allem mittels des plastischen Schnitts in den Edelstein hergestellt. Das populäre Email hingegen ist selten zu finden, obwohl die erhalten gebliebener Schmuckstücke beweisen, dass man auch das Emaillieren in Turnau ausgezeichnet beherrschte. Das kulturelle Klima und die Demokratisierung der Gesellschaft der Tschechoslowakei zwischen den Kriegen unterstützte avantgardistische Kunstströmungen, die auf die moderne Mittelschicht hin orientiert waren, vor allem im Bereich Architektur und Wohnkultur. Eine Gruppe junger tschechischer Architekten, Bildhauer und Maler machte sich schon rund 1910 den Kubismus zu eigen und brachte ihn in Bauten, Möbel und Interieurstücke ein. Manche von ihnen, die mit der Kooperative Arte(l zusammenarbeiteten, wie František Kysela und hauptsächlich Rudolf Stockar, beschäftigten sich auch mit Schmuck. Diese plastische kubistische Erbschaft bildete in den 20er und 30er Jahren den robusten tschechischen Art déco. Selbstverständlich beeinflußten diese Impulse auch die Produktion der Kunstschulen, natürlich auch die der Turnauer Schule. Während Direktor Josef Mašek, der die Schule 1889 - 1920 führte, am Anfang des Jahrhunderts lediglich nach Paris gefahren war, um Erfahrungen zu sammeln, konnte sich sein Nachfolger Antonín Karc( (1879 - 1952) bereits über eine Auszeichnung für ein Set aus Granatsschmuck auf der Pariser Weltausstellung 1925 freuen. Mit Antonín Karc(, der die Schule von 1908 bis 1939 leitete, konnte die Schule ihre wohl anerkannteste Künstlerpersönlichkeit vorweisen: auf der Weltausstellung in Paris 1937 wurden weitere zwei Auszeichnungen vergeben. Zu dieser Zeit erweiterte die Schule ihr Lehrangebot um das neue Fach des Silberschmiedens, das die Zusammenarbeit der Schleifer und Glyptiker noch mehr förderte. Aus der Zusammenarbeit entstanden interessante Einzelstücke, wie Kerzenhalter, Schüsseln und Pokale mit plastisch geschliffenen Steinen oder Gravuren. Beeindruckend ist auch die Reihe von getriebenen Silberschmuckstücken, die mit den Stilleben der tschechischen Gegenwartsmalerei korrespondierten. Neben den bereits erwähnten Künstlern Josef Mašek und Antonín Karc( sind auch die Professoren für Fachzeichnen und Modellieren, František Kulhánek (tätig 1906 - 1939) und Josef Varcl (tätig 1908-39) verantwortlich für den hervorragenden Ruf der Schule. Von den Fachlehrern müssen die Goldschmiede Josef Cettl (1885-1913), František Valeš (1924-62), der Granatschmuckmacher Alfréd Bergmann (1894-1923), die Edelsteingraveure Karel Zapp (1886 - 1906), Viktor Sochor (1906 - 1917) und Karel Tuc(ek (1918 - 1953) sowie die Edelsteinschleifer Emil Horna (1885 - 1924) und Pavel Homola (1924 - 1944) namentlich genannt werden, die die Stilentwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an der Fachschule Turnau wesentlich prägten und die in der Ausstellung präsentierten Schmuckstücke und Geräte mit ihren Schülern realisierten. Diese besonders fruchtbare Epoche unterbrach auch die nazistische Okkupation nicht. Allerdings bekamen die Heimatmotive und Anklänge an die tschechische Kultur einen tieferen gefühlsvollen Akzent. In den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg, in einer Atmosphäre voller gespannter Erwartungen, versuchte die Schule an die erfolgreichen 30er Jahren anzuknüpfen. Traditionsverbunden im gewissermaßen konservativen Goldschmieden und Edelsteinschleifen, blieb der Lehrkörper der „Ersten Republik“ resistent gegenüber der Doktrin des sogenannten sozialistischen Realismus, den die kommunistischen Ideologen der tschechoslowakischen Kunst nach dem Jahre 1948 aufdrückten. Gleichzeitig jedoch zeigte sich der alte Lehrkörper unfähig, sich gegenüber neuen Kunsttendenzen und dem modernen industriellen Design zu öffnen. Erst seit dem Jahre 1947 realisierten die Schüler zur Abschlußprüfung eigene Entwürfe als Prüfungsaufgabe, während sie bis zu dieser Zeit lediglich Arbeiten nach Entwürfen der Professoren umzusetzen hatten. Bei einem Blick in das Archiv der Schule in Turnau tritt die Zeit von 1900 bis zum Ende der 40er Jahre deutlich als Glanzzeit hervor. Sie zeigt eine breite Ausdruckskala: Luxuriöse Muster des Sezessionssymbolismus, frische Applikationen des Art déco, rationalen Konstruktivismus, den optimistischen Geist der jungen Republik, existenzschwere Töne in den Jahren des Weltkrieges und auch die darauf folgende Nostalgie nach dem Erwachen aus dem Traum eines neuen Europas. Die Exponate dieser Ausstellung erzählen insofern nicht nur über die Schule in Turnau aus der Zeit der größten Erfolge, sondern spiegeln in besonderer Weise auch die künstlerische Atmosphäre der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider. Informationen: http://www.otttowagner.com/ |
||
zurück |