Paris (esa) - Das erste, „Jules Verne“ getaufte Automatische Transferfahrzeug (ATV) der Europäischen
Weltraumorganisation (ESA) wurde am Morgen des 09.03. mit einer Ariane-5 erfolgreich in eine niedrige Erdumlaufbahn
eingebracht.
In den kommenden Wochen wird der zur Versorgung und Anhebung der Bahnhöhe der Internationalen Raumstation
(ISS) konzipierte vollautomatische Raumtransporter eine Reihe von Manövern zum Anflug an die ISS und anschließenden
Andocken an der Raumstation durchführen, die er mit Frachtgut, Treibstoff, Wasser und Sauerstoff versorgen
soll.
Der Start erfolgte um 05.03 Uhr MEZ (01.03 Uhr Ortszeit) vom Raumfahrtzentrum Guayana, Europas Raumflughafen in
Kourou in Französisch Guayana, aus. Um das ATV - mit beinahe 20 Tonnen mehr als doppelt so schwer wie die
letzte von einer Ariane-5 gestartete Nutzlast - auf seine 51,6 Grad gegen den Äquator geneigte niedrige Kreisbahn
zu bringen, war eine neue Ausführung von Europas Schwerlastträger Ariane-5 erforderlich. Die speziell
auf den ATV-Start zugeschnittene Ariane-5 ES wurde mit einer besonderen, erneut zündbaren Oberstufe ausgestattet.
Die ungewöhnliche Flugbahn erforderte den Einsatz von zwei neuen Telemetrie- und Bahnverfolgungsstationen:
eine auf einem Schiff im Atlantik installierte mobile Station und eine weitere auf den Azoren. Das Oberstufentriebwerk
der Ariane-5 wurde ein erstes Mal für acht Minuten über dem Atlantik gezündet, anschließend
für einen 45-minütigen antriebslosen Flug über Europa und Asien wieder abgeschaltet und über
Australien zur Einbringung in die Kreisbahn 40 Sekunden lang erneut gezündet. Die von einer Bodenstation in
Neuseeland überwachte Trennung von Jules Verne und der Ariane-5-Oberstufe erfolgte um 06.09 Uhr MEZ (02.09
Uhr Ortszeit).
Europas bisher größtes und komplexestes Raumfahrzeug
Jules Verne umrundet nun die Erde auf derselben Flugbahn wie die ISS, allerdings nicht wie die Raumstation in 345
km, sondern nur in 260 km Höhe. Es wird nun rund um die Uhr von dem eigens hierfür eingerichteten ATV-Kontrollzentrum
in Toulouse (Frankreich) überwacht. Das auf dem Gelände der französischen Raumfahrtagentur CNES
eingerichtete Kontrollzentrum übernimmt in Abstimmung mit den ISS-Missionskontrollzentren in Moskau und Houston
die Flugkontrolle der ATV-Missionen. Nach der Demonstration verschiedener Sicherheitsmanöver im Freiflug wird
sich das ATV etappenweise der Umlaufbahn der ISS annähern, um am 3. April nach dem Abflug des Space Shuttles
„Endeavour“ ein erstes Andockmanöver durchzuführen.
Seinen Namen erhielt der Raumtransporter nach dem berühmten französischen Schriftsteller und Visionär
des 19. Jahrhunderts: Jules Verne. Das ATV - gleichzeitig frei fliegende autonome Plattform, manövrierbares
Raumschiff und Raumstationsmodul - ist das bisher größte und ausgefeilteste in Europa gebaute Raumfahrzeug.
Das 10 m hohe, im Durchmesser 4,5 m breite und beim Start exakt 19,357 Tonnen schwere ATV verfügt über
einen 45 m³ großen, auf den Konzepten des Columbus-Moduls beruhenden druckgeregelten Kammerbereich und
ein in Russland entwickeltes Kopplungssystem, das dem der Progress-Versorgungsfahrzeuge und der bemannten Sojuskapseln
ähnelt. An Größe und Frachtkapazität übertrifft das ATV die russischen Raumfahrzeuge
jedoch um das Dreifache.
Darüber hinaus ist das ATV das weltweit erste Raumfahrzeug, das vollautomatisch und den äußerst
strengen Sicherheitsanforderungen der bemannten Raumfahrt entsprechend andocken kann. Hierfür ist es mit hochpräzisen
Navigationssystemen und einer Flugsoftware ausgestattet, die wesentlich komplexer ist als etwa die auf der Ariane-5.
Ein weiterer Beitrag der ESA zur ISS
Die Entwicklung des ATV wurde von der ESA 1995 zur Abgeltung ihres Anteils an den gemeinsamen Betriebskosten der
ISS beschlossen. Die Arbeiten des Industrieteams unter der Leitung von EADS Astrium Space Transportation wurden
unter Mitwirkung von 30 Auftragnehmern aus 10 europäischen Ländern 1998 in Angriff genommen.
Bei diesem ersten ATV-Flug wird Jules Verne 4,6 Tonnen Nutzlast zur ISS bringen, darunter 1 150 kg Trockenfracht,
856 kg Treibstoff für das russische Swesda-Modul, 270 kg Trinkwasser und 21 kg Sauerstoff. Für die künftigen
ATV-Missionen ist jedoch eine Erhöhung der Nutzlastkapazität auf 7,4 Tonnen geplant.
Etwa die Hälfte der Nutzlast an Bord von Jules Verne entfällt auf den Treibstoff, mit dem das Antriebssystem
des ATV in regelmäßigen Abständen die Bahn der ISS anhebt, um den durch den Luftwiderstand in der
Atmosphäre verursachten natürlichen Höhenverlust auszugleichen.
Am Ende seiner viermonatigen Mission als Raumstationsmodul wird Jules Verne mit Stationsabfall beladen von der
ISS abgekoppelt, über dem Südpazifik aus seiner seiner Umlaufbahn gelenkt und kontrolliert in der Erdatmosphäre
verglühen.
Eröffnung neuer Perspektiven
„Jules Verne“ ist erst der Anfang einer ganzen ATV-Baureihe. Die ESA hat bereits Industrieverträge für
vier weitere bis 2015 zu startende ATV vergeben.
Mit den ATV der ESA, den russischen Progress-Versorgungsfahrzeugen und dem japanischen HTV (H-II-Transferfahrzeug)
wird der ISS-Betrieb auch nach Beendigung der amerikanischen Shuttle-Flüge im Jahr 2010 über zwei voneinander
unabhängige Versorgungssysteme gesichert sein - ein für den nachhaltigen und verlässlichen Einsatz
der Raumstation lebenswichtiger Faktor.
„Nachdem Europa letzten Monat mit der Montage von Columbus sozusagen seine eigene Wohnung in der ISS beziehen konnte,
haben wir mit dem Start des ersten ATV nun auch den dazugehörigen Versorgungslaster“, so Daniel Sacotte, ESA-Direktor
für Bemannte Raumfahrt, Schwerelosigkeitsforschung und Exploration. „Wir sind jetzt nicht nur Miteigentümer
der ISS, sondern auch vollwertige Partner beim Betrieb der Raumstation, den das ATV durch Frachtlieferungen und
Anhebung der Bahnhöhe unterstützen wird.“
„Jules Verne ist nicht nur das bisher schwerste und komplexeste von der ESA gebaute Raumfahrzeug, sein Start an
Bord einer Ariane-5 ES ist vielmehr ein entscheidender Meilenstein auf dem Weg der ESA, sich als unverzichtbarer
Partner für die ISS zu etablieren“, gab ESA-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain zu Wort. „Zu verdanken haben
wir dies der engen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, der europäischen Industrie, Arianespace, dem
CNES, den Bediensteten der ESA und den internationalen Partnern. Jules Verne wird jedoch noch einige wichtige Etappen
meistern müssen, nämlich die automatischen Anflug- und Andockmanöver an die ISS, die vom ATV-Kontrollzentrum
in Toulouse aus gesteuert werden. Wenn auch dieses Ziel erreicht ist, werden wir einen Riesenschritt für die
Stärkung der Rolle der ESA im Hinblick auf die künftige internationale Exploration des Sonnensystems
vollbracht haben.“ |