Altägyptische Funde liefern Hinweise zur Domestikationsgeschichte
München (idw) - Er ist vielleicht nicht so treu wie der Hund oder so rassig wie das Pferd. Der
Esel begleitet den Menschen aber auch schon seit Tausenden von Jahren und leistet dabei wertvolle Dienste. Ein
internationales Forscherteam, dem auch Professor Joris Peters, Vorstand des Instituts für Paläoanatomie
und Geschichte der Tiermedizin an der Ludwig- Maximilians-Universität (LMU) München, angehört, konnte
jetzt die Domestikationsgeschichte dieser Spezies anhand von etwa 5.000 Jahre alten Eselsknochen aus dem Alten
Ägypten nachvollziehen. Wie in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)"
berichtet, weisen die Ergebnisse der Studie den ersten Gebrauch des Esels als Transporttier nach sowie frühe
Phasen seiner Haustierwerdung. Die Funde zeigen auch, dass sich der Esel in seiner körperlichen Erscheinung
noch deutlich veränderte und die Domestizierung langsamer und weniger geradlinig verlief als bisher angenommen.
Auch die Körpergröße reduzierte sich wohl viel langsamer als vermutet - was zu einer Revision der
Erkenntnisse zu anderen Nutztierarten führen könnte. Denn oft gilt die Verminderung der Körpergröße
als wichtigstes Kriterium für die Datierung einer Domestizierung. "Ein solches Projekt erfordert immer
ein hohes Maß an Interdisziplinarität - und zwar vor allem zwischen Geistes- und Naturwissenschaften",
betont Peters. "In unserem Fall sind dies die Archäologie, die Ägyptologie, die Mathematik, die
Archäozoologie und die Tiermedizin."
Es war eine prunkvolle letzte Ruhestätte für die bescheidenen Grautiere: Angrenzend an den Grabkomplex
eines frühen Pharaos in Abydos in Mittelägypten wurden die Skelette in eigenen Grabkammern gefunden.
"Grundsätzlich ist eine Ansammlung von zehn Eselskeletten in einem solch frühen Kontext bisher einmalig",
berichtet Peters. "Die Anbindung an den Königsfriedhof der Gründerdynastie in Altägypten vor
etwa 5.000 Jahren bezeugt die Bedeutung der Tiere für den König. Denn diese Eselherde sollte ihm in seinem
nächsten Leben weiterhin gute Dienste leisten, so die Interpretation aus Sicht unserer Ägyptologen."
Als erste Besonderheit fiel den Forschern auf, dass es sich um die Knochen recht stattlicher Tiere handelte, die
ohne den Kontext des Pharaonengrabes möglicherweise als Überreste von Wildeseln gedeutet worden wären.
Für den Status als Haustier spricht aber, dass die Skelette spezifische pathologisch-anatomische Veränderungen
an bestimmten Körperstellen aufweisen. Konkret bedeutet dies, dass diese Schäden wohl von der Nutzung
der Esel als Lasttiere herrühren.
Bisher galt als gesichert, dass Wildtiere schon zu Beginn ihrer Domestizierung kleiner werden, weil der Mensch
in ihren Lebenszyklus - also die Ernährung und die Partnerwahl bei der Fortpflanzung - eingreift. Unter diesen
veränderten Lebensbedingungen würde ihre Körpergröße signifikant abnehmen, so die herrschende
Meinung. "Doch unsere Funde widerlegen dies", sagt Peters. "Der Wildesel wurde nämlich bereits
vor etwa 6.000 Jahren in den Haustierstand überführt, ohne dass er tausend Jahre später tatsächlich
kleiner geworden ist, wie unsere Funde zeigen. Möglicherweise muss man jetzt auch die Erkenntnisse zu anderen
Nutztierarten revidieren. Denn bei Schafen, Ziegen, Rindern und Schweinen wurde die Veränderung der Körpergröße
als wichtigstes Kriterium genutzt, um ihre Domestizierung zu datieren. Es ist denkbar, dass die bisher angenommenen
Domestikationszeitpunkte um Jahrhunderte zu spät angesetzt wurden - wenn nämlich die bereits domestizierten
Tiere tatsächlich an Körpergröße verloren haben."
Der Mensch begann vor etwa 11.000 Jahren mit der Domestikation von Pflanzen und Tieren. Der Esel ist dabei ein
besonders spannendes Beispiel, weil er möglicherweise mehrmals in derselben geografischen Region, in Nordostafrika,
domestiziert wurde. Zudem war bislang sehr wenig über den Ablauf seiner Haustierwerdung bekannt. "Bemerkenswert
ist auch, dass der Esel als vormaliger Fleischlieferant sehr schnell nach erfolgter Domestikation für Handel
und Transport eingesetzt wurde - bis dann sehr viel später das Dromedar wichtiger wurde", so Peters.
Doch zuerst hat noch die Nutzbarmachung des Esels die ländlichen Gesellschaften und frühen Staaten verändert:
Die Tiere sind zähe Wüstenbewohner und können schwere Lasten durch trockenes Gebiet tragen. Das
wiederum erlaubte den Hirtenvölkern, häufiger als bisher noch längere Strecken zurückzulegen
und dabei ihren Haushalt mit den Herden zu transportieren. "Die Nutzung des Esels dehnte den Handel in Afrika
und im westlichen Asien merklich aus", meint Peters.
Am Lehrstuhl von Professor Joris Peters werden mehrere internationale Projekte verfolgt, in denen die Haustierwerdung
eine zentrale Rolle spielt. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sind Teil einer internationalen Kooperation
zur Aufklärung der Domestikationsgeschichte des Esels in Nordostafrika. Als nächster Schritt ist vorgesehen,
Knochenproben von Eseln aus vor- und frühgeschichtlichen Siedlungen molekularbiologisch zu analysieren, um
tiefere Einblicke in die Verwandtschaft der beiden Unterarten des Wildesels, des Nubischen Wildesels und des Somaliwildesels
sowie der domestizierten Form zu gewinnen. "Mithilfe dieser Ergebnisse und im Zusammenspiel mit den Überresten
aus archäologischen Ausgrabungen wollen wir die Ursprungs- und Verbreitungsgeschichte dieser für die
Entwicklungsländer wichtigen Nutztierart rekonstruieren", meint Peters. "Denn noch heute sind Esel
und Maultiere in trockenen, schlecht erschlossenen und armen Regionen der Welt als Lasttiere unverzichtbar." |