WIFO-Prognose für 2008 und 2009
Wien (wifo) - Das Wachstum der österreichischen Wirtschaft schwächt sich heuer auf real
2,1% ab. Dies ist primär die Folge der Krise des internationalen Finanzsystems, die von den Immobilienmärkten
der USA ausgegangen ist. Dauer und Ausmaß der Krise können derzeit noch nicht vollständig abgeschätzt
werden. Deshalb ist auch die Prognose für den Anstieg des BIP im Jahr 2009 (+1,7%) mit sehr hohen Risken verbunden.
Das Wachstum von Export, Industrieproduktion und Investitionen schwächt sich erheblich ab. Die Zunahme der
Konsumnachfrage beschleunigt sich nicht, auch wegen des starken Preisauftriebs (+2,9%). Heuer nimmt die Beschäftigung
noch deutlicher zu als erwartet, für 2009 muss bereits wieder mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit gerechnet
werden.
- Die österreichische Wirtschaft wuchs 2006 und 2007 real um fast 3½% pro Jahr. Auch Anfang 2008
entwickelte sie sich günstig, die Unternehmen wiesen eine hohe Auslastung auf, und die Beschäftigungszuwächse
waren außerordentlich groß. Für das 1. Halbjahr kann deshalb noch ein Anstieg des BIP um real
etwa 2½% gegenüber dem Vorjahr erwartet werden. Doch die Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft haben
sich nachhaltig verschlechtert:
- Ausgehend vom Einbruch der Immobilienmärkte entstand in den USA eine schwere Bankenkrise, für die
derzeit trotz massiver Bemühungen der Wirtschaftspolitik keine Entspannung absehbar ist. Das Wirtschaftswachstum
kam beinahe zum Erliegen, es dürfte im Jahresdurchschnitt 2008 real nur 1% betragen. Damit fehlt der Weltwirtschaft
ein wichtiger Nachfragemotor.
- Dies kann durch die lebhafte Expansion in den Schwellenländern nicht ausgeglichen werden, deren Inlandsnachfrage
sich zwar merklich erhöht hat, die aber ebenso unter der internationalen Nachfrageabschwächung leiden.
Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft dürfte sich von real 11½% (2007) auf 8½% (2009) verlangsamen.
- Die Liquiditäts- und Solvenzkrise hat auch das europäische und das asiatische Finanzsystem erfasst.
Die Kreditkonditionen wurden ungünstiger, und im Unternehmenssektor erhöhte sich die Unsicherheit. Im
Euro-Raum wirkt die markante Aufwertung, für die sich noch kein Ende abzeichnet, besonders dämpfend.
Das Wirtschaftswachstum wird im Prognosezeitraum zwar höher sein als jenes der USA, allerdings real nur 1,6%
(2008) bzw. 1,3% (2009) betragen.
Aufgrund der deutlichen Verschlechterung der internationalen Rahmenbedingungen erwartet das WIFO, dass sich das
Wachstum nach günstigem Jahresbeginn auch in Österreich verlangsamt. Der Anstieg des Exports von Gütern
und Dienstleistungen dürfte sich auf real 5% abschwächen. Damit wird auch der mehr als zwei Jahre dauernde
Boom in der heimischen Industrie abflauen. Die Ausrüstungsinvestitionen entwickelten sich schon im Konjunkturaufschwung
der letzten Jahre viel weniger dynamisch als erwartet, nun wachsen sie kaum noch. Etwas stärker steigen die
Bauinvestitionen; sie profitieren in den Bereichen Infrastruktur und Wohnbau von der Nachfrage der öffentlichen
Hand. An die zur Überhitzung neigende Expansion der letzten zwei Jahre schließt allerdings auch dieser
Sektor nicht an.
Die Konsumnachfrage der privaten Haushalte kann die Konjunktur nicht stabilisieren. Sie wächst seit sieben
Jahren schwächer als gewohnt, doch trotz höherer Lohnrunden kann neuerlich keine Beschleunigung erwartet
werden. Die Einkommenszuwächse werden durch den Preisauftrieb kompensiert. Die Inflationsrate erreicht heuer
+2,9%, getragen von der kräftigen Verteuerung von Energie und Nahrungsmitteln (sie sind jeweils für etwa
ein Drittel des Preisauftriebs verantwortlich). Die Nettorealeinkommen je Beschäftigten sinken deshalb leicht
(–0,1%). Für die unteren Einkommensgruppen ergeben sich wegen des hohen Anteils von Nahrungsmitteln, Wohnen
und Energie an ihrem Warenkorb und der schwächeren Nominallohnzuwächse deutliche Realeinkommensverluste.
Zusammen mit der hohen "gefühlten Inflation" – die Preise der Güter des täglichen Bedarfs
steigen rascher als jene dauerhafter Güter – bewirkt dies eine merkliche Dämpfung der Konsumausgaben.
Diese steigen real um 1,6%, und zwar nur unter der optimistischen Annahme eines leichten Rückgangs des Sparanteils
am verfügbaren Einkommen.
Zu Jahresbeginn wurde die Zahl der Beschäftigten ungewöhnlich kräftig ausgeweitet (+90.000 gegenüber
dem Vorjahr). Darin spiegeln sich verzögerte Auswirkungen der guten Konjunkturlage von Mitte 2007 und die
günstigen Wetterverhältnisse, die eine rege Bautätigkeit und eine gute Wintersaison im Tourismus
ermöglichten, allerdings auch administrative Veränderungen: Seit 1. Jänner müssen Beschäftigte
bereits vor Arbeitsbeginn bei der Sozialversicherung gemeldet werden. Aus diesem Grund könnte in manchen Branchen
die Zahl der offiziell Beschäftigten sprunghaft gestiegen sein; eine Quantifizierung dieses Effekts ist aber
nicht möglich. Mit dem starken Anstieg der Beschäftigung ging ein weiterer Rückgang der Arbeitslosigkeit
einher. Im Jahresverlauf wird sich die Abschwächung der Konjunktur auch auf dem Arbeitsmarkt niederschlagen.
Für den Winter 2008/09 muss bereits wieder mit einer Zunahme der saisonbereinigten Arbeitslosenzahl gerechnet
werden. Im Jahr 2009 dürfte die Zahl der registrierten Arbeitsuchenden durchschnittlich 224.000 erreichen,
um 12.000 mehr als heuer. Die Arbeitslosenquote wird laut Eurostat 4,3% der Erwerbspersonen bzw. 6,2% der unselbständigen
Erwerbspersonen laut traditioneller österreichischer Berechnungsmethode betragen.
Das kräftige Wirtschaftswachstum der letzten zwei Jahre hatte eine Halbierung des Budgetdefizits zur Folge:
Der Maastricht-Saldo lag im Jahr 2007 allerdings noch bei –0,7% des BIP. Die bevorstehende Konjunkturabschwächung
wird das Wachstum der Abgabeneinnahmen mit Verzögerung dämpfen und damit keine weitere Verringerung des
Budgetabgangs erlauben. Reaktionen der öffentlichen Haushalte auf Konjunkturschwankungen in Form einer Verbesserung
des Budgetsaldos bei guter Konjunktur und einer Ausweitung des Budgetdefizits in Phasen schwacher Wirtschaftsentwicklung
bilden ein unverzichtbares Element einer stabilisierungsorientierten Budgetpolitik.
Derzeit können Ausmaß und Dauer der Krise des internationalen Finanzsystems nicht abgeschätzt werden,
die vorliegende Prognose ist deshalb mit besonders hoher Unsicherheit behaftet. Sie unterstellt eine Stabilisierung
der Wirtschaftsentwicklung zu Jahresende und eine vorsichtige Erholung im Jahr 2009. Das Wachstum des BIP wird
2009 schwächer als real 1,7% ausfallen, falls die Liquiditäts- und Solvenzkrise im internationalen Finanzsystem
länger anhält und die Realwirtschaft sich erst mit Verzögerung belebt. Von der starken Wirtschaftsdynamik
in den asiatischen Schwellenländern, die auch eine hohe Sparquote aufweisen, könnte hingegen ein stabilisierender
Effekt auf die Weltwirtschaft ausgehen.
Quelle: WIFO
Autor: Markus Marterbauer
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