Neues Modell vorgestellt
Berlin (idw) - Mobile Krebsstammzellen sind nach einem von Prof. Thomas Brabletz von der Universitätsklinik
Freiburg entwickelten Modell die Ursache für Metastasen beim Dickdarmkrebs und vielen anderen bösartigen
Geschwüren. "Die mobilen Krebsstammzellen sind die gefährlichsten Zellen für den Krebspatienten,
denn sie sind nach unserem Modell der Hauptursprung von Metastasen", sagte er auf dem internationalen Kongress
"Invasion and Metastasis" des Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch.
Bisher ging die Forschung davon aus, dass jede einzelne Tumorzelle Metastasen bilden kann.
An Dickdarmkrebs, nach dem Lungenkrebs die zweithäufigste Todesursache unter den Krebserkrankungen, sterben
in Deutschland nach Angaben des Robert-Koch-Instituts jährlich mehr als 25.000 Menschen. Er geht aus den Drüsen
der Dickdarmschleimhaut hervor und bleibt im Anfangsstadium häufig unentdeckt. Da betroffene Patienten anfangs
selten Schmerzen oder andere Symptome zeigen, wird der Tumor oft erst bemerkt, wenn er bereits gefährliche
Tochtergeschwülste, Metastasen, gebildet hat.
Krebsstammzellen entstehen, so Prof. Brabletz, aus den Stammzellen des Dickdarms (Kolon). Die Stammzellen sorgen
normalerweise dafür, dass die Zellen des Darms, die nur eine begrenzte Lebensdauer haben, regelmäßig,
das heißt einmal am Tag, erneuert werden. Wird solch eine Stammzelle zur Krebsstammzelle, kann sie sich anschließend
unbegrenzt teilen und weitere Krebsstammzellen hervorbringen. In einem weiteren Schritt löst sich die Krebsstammzelle
vom Ursprungstumor ab und kann sich über die Blutgefäße im Körper verbreiten.
"Die speziellen Krebsstammzellen aktivieren längst stillgelegte Signalwege", erklärte Prof.
Brabletz, "die der Körper während seiner Entwicklung als Embryo nutzte." Die fälschlicherweise
aktivierten Signalwege machen die ursprüngliche Stammzelle unabhängig von Signalen ihres Umfeldes. Diese
Signale kontrollieren normalerweise streng die Tätigkeiten der Stammzelle. "Doch diese stationären,
unbeweglichen Krebsstammzellen können noch keine Metastasen bilden", so Prof. Brabletz. Dazu müssen
sie erst mobil werden. Auch dabei spielen Veränderungen in wichtigen Signalwegen der Zelle oder ihrer Umgebung
eine entscheidende Rolle. Das heißt, die Krebsstammzellen verändern sich weiter und verlieren dadurch
auch den Kontakt zu ihren Nachbarn und werden nicht mehr im Zellverband gehalten. Diesen Prozess nennen Forscher
epitheliale-mesenchymale Transition, kurz EMT.
Dringt eine beweglich gewordene Krebsstammzelle in das Blutsystem ein, kann sie so andere Körperregionen erreichen,
die vom ursprünglichen Tumor weit entfernt sind. Dort angekommen, kann sie sich in einem anderen Organ ansiedeln
und eine Metastase bilden. Beim Kolonkarzinom siedeln sich Metastasen meist in der Leber an.
Mit dem Modell der mobilen Krebsstammzelle vereint Prof. Brabletz erstmals alle aktuellen Theorien zur Entstehung
von Metastasen - genetische Veränderungen, Veränderungen im Tumorumfeld, Krebsstammzellen und die EMT.
"Oft gab es Einzelaspekte, die beispielsweise durch das Konzept der Krebsstammzelle allein nicht zu erklären
waren", merkte Prof. Brabletz an. Von Bedeutung dabei sei, dass die wichtigen Schritte der Metastasenbildung
umkehrbar sind und nicht nur durch unwiderruflich veränderte Gene erklärt werden könnten. Erreicht
eine mobile Krebsstammzelle ihr Ziel, im Fall des Dickdarmkrebses die Leber, verwandelt sie sich wieder zurück
in eine stationäre Krebsstammzelle. "Demnach muss es eine Komponente geben, die den Anstoß für
die Verwandlung dieser Zellen in die eine oder die andere Richtung gibt", führte er weiter aus. So könnten
Wachstumsfaktoren aus dem Umfeld des Tumors für die Umwandlung der stationären Krebsstammzelle in eine
mobile Krebsstammzelle verantwortlich sein.
Sollte sich das neue Modell der Entstehung von Metastasen in den nächsten Jahren bestätigen, wird dies
nach Auffassung von Prof. Brabletz weitführende Konsequenzen für die Grundlagenforschung, aber auch für
die Klinik haben. "Die mobilen Krebsstammzellen wären optimale Ziele in der Krebstherapie", hofft
Prof. Brabletz. "Sie sind die gefährlichsten Zellen für den Krebspatienten, denn sie sind nach unserem
Modell der Hauptursprung von Metastasen." |