Paris (esa) - Das erste Versorgungs- und Bahnanhebungsraumschiff der ESA, das ATV "Jules Verne",
hat sein automatisches Andockmanöver an der Internationalen Raumstation (ISS) erfolgreich gemeistert. Damit
beginnt nun die eigentliche Mission von "Jules Verne", d. h. die Versorgung der ISS mit Fracht, Treibstoff,
Wasser, Sauerstoff und Antriebskapazität; darüber hinaus stößt die ESA in den exklusiven Club
der Partner vor, die in der Lage sind, die ISS aus eigener Kraft anzufliegen.
Das 19 Tonnen schwere unbemannte Raumfahrzeug näherte sich in einem vierstündigen Manöver von einer
Warteposition in 39 km Entfernung nach und nach der 275 Tonnen schweren ISS an, wobei es zwecks Überprüfungen
zahlreiche Zwischenstopps an Referenzpositionen einlegte. Es berechnete selbständig seinen Standort mittels
relativer GPS-Positionierung (Vergleich der von seinen eigenen GPS-Empfängern und den Empfängern auf
der ISS erfassten Daten) und verwendete, als es in unmittelbarer Nähe der ISS angelangt war, auf an der ISS
angebrachte Laserreflektoren gerichtete Videometer, um seine Entfernung vom und seine Ausrichtung zum Ziel zu bestimmen.
Die letzte Phase des Anflugs erfolgte mit einer relativen Geschwindigkeit von 7 cm/s und einer Zielgenauigkeit
von weniger als 10 cm, während "Jules Verne" und die ISS mit etwa 28 000 km/h in rund 340 km Höhe
über das östliche Mittelmeer rasten. Um 16.45 Uhr MESZ schließlich wurde die Andockvorrichtung
des ATV vom Greifmechanismus des Konus am hinteren Ende des russischen Moduls Swesda erfasst; mit dem Einrasten
der Haken um 16.52 Uhr MESZ war das Andockmanöver abgeschlossen.
Erstes automatisches Andockmanöver
Erstmals wurde damit in Europa unter Wahrung der äußerst strengen mit der bemannten Raumfahrt verbundenen
Sicherheitsanforderungen ein automatisches Andockmanöver durchgeführt. Die gesamte Anflug- und Andockphase
wurde - unter der aufmerksamen Beobachtung der Teams der ESA, der französischen Raumfahrtagentur, CNES, und
des Hauptauftragnehmers, Astrium, im ATV-Kontrollzentrum beim CNES in Toulouse sowie der ISS-Bordmannschaft im
Swesda-Modul - von den Bordcomputern des ATV gesteuert. Bei einer Anomalie hätten beide Seiten programmierte
Manöver für ein Verharren der ATV auf seiner Position, seine Rückführung auf die letzte Referenzposition
oder seine Beförderung in eine sichere Entfernung auslösen können.
Das Verhalten des ATV stand außerdem unter der Beobachtung seiner eigenen, unabhängigen Notfall-Software
(Monitoring and Safing Unit, MSU), die mit einer separaten Reihe von Sensoren und Rechnern den sicheren Verlauf
des Anflugmanövers überwachte. Bei einer größeren Anomalie wäre die MSU in der Lage gewesen,
die Flugsteuerung zu übernehmen und mittels einer eigenen Avionik- und Schubdüsenvorrichtung ein Ausweichmanöver
(Collision Avoidance Manoevre, CAM) durchzuführen.
Da alles nach Plan verlief, waren während des Anflugs und des Andockens heute Nachmittag keine dieser Sicherheitsmanöver
notwendig.
Das ATV "Jules Verne" wurde am 9. März mit einer Ariane-5 von Europas Raumflughafen in Kourou, Französisch-Guayana,
gestartet. Drei Tage später demonstrierte es seine autonome CAM-Fähigkeit und erhielt daraufhin die Genehmigung
für den Flugbetrieb in ISS-Nähe. Das ATV wurde anschließend für die Dauer der ISS-Mission
des Space Shuttles Endeavour in eine Warteposition befördert. Am 29. und 31. März wurde das heutige Andockmanöver
probeweise durchgeführt; dabei flog das ATV bis auf 11 Meter an die ISS heran.
Neuer Versorgungsdienst
Nun, da es mit der ISS verbunden ist, wird "Jules Verne" für etwa vier Monate als zusätzliches
ISS-Modul fungieren. Die Astronauten werden 1 150 kg Trockenfracht, darunter Lebensmittel, Kleidung und Ausrüstung,
sowie zwei Originalmanuskripte von Jules Verne und eine bebilderte Version seines Romans "Von der Erde zum
Mond" aus dem 19. Jahrhundert aus dem druckgeregelten Frachtmodul holen und in der ISS verstauen. Außerdem
werden sie 856 kg Treibstoff, 270 l Trinkwasser und 21 kg Sauerstoff in die Tanks des Swesda-Moduls pumpen.
Das ATV kann rund dreimal mehr Nutzlast mitführen als die russischen Progress-Frachtschiffe. Bei diesem Flug
hatte es allerdings hauptsächlich Treibstoff für die regelmäßigen Manöver zur Anhebung
der ISS-Flugbahn mittels seines eigenen Antriebssystems an Bord; diese Manöver sind notwendig, um das durch
die Restatmosphäre verursachte Absinken dieser Bahn auszugleichen. Die erste Bahnanhebung durch das ATV ist
gegenwärtig für den 21. April geplant. Falls erforderlich, kann das ATV auch zusätzliche Lageregelungskapazität
für die ISS bieten und die Station durch Ausweichmanöver sogar aus der Flugbahn potenziell gefährlicher
Weltraumtrümmer befördern.
"Das ATV ist viel, viel mehr als ein einfacher ‚Lastwagen'. Es ist ein intelligentes und vielseitiges Raumschiff,
das gerade seine außergewöhnlichen Fähigkeiten unter Beweis gestellt hat", freute sich Daniel
Sacotte, der Direktor der ESA für Programme für Bemannte Raumfahrt, Schwerelosigkeitsforschung und Exploration.
"Das ATV ist das größte und komplexeste Raumfahrzeug, das Europa bis dato entwickelt hat, und nach
dem Space Shuttle der NASA das zweitgrößte Raumfahrzeug, das die ISS anfliegt. Mit Columbus und dem
ATV sind wir in die Topliga der ISS aufgestiegen."
"Das Andocken des ATV ist eine weitere spektakuläre Etappe bei der Demonstration der Fähigkeiten
Europas auf der internationalen Bühne der Weltraumexploration", sagte ESA-Generaldirektor Jean-Jacques
Dordain. "Diese phantastische Etappe ist in erster Linie das Ergebnis gemeinsamer Arbeit sowohl in Europa,
d. h. auf der Ebene der ESA-Mitgliedstaaten, der Industrie unter der Leitung des Hauptauftragnehmers, Astrium,
und der Bediensteten des CNES und der ESA, als auch zwischen den ISS-Partnern, insbesondere den USA und Russland.
Nach dem Start des ESA-Weltraumlabors Columbus werden wir nun die Früchte unserer Investitionen ernten, indem
wir zum einen die einzigartigen Kapazitäten der ISS nutzen und zum anderen mit der Vorbereitung der Exploration
des Sonnensystems beginnen. Jetzt, da das ATV seinen Einsatz aufgenommen hat, freue ich mich, bekanntgeben zu können,
dass die ESA in den nächsten Wochen ein Verfahren zur Einstellung neuer europäischer Astronauten in die
Wege leiten wird." |