Zweitägiges Symposion im Palais Epstein
Wien (pk) - Die europäische Geschichte ist auch eine Geschichte von Feindbildern. Manche dieser
Feindbilder gehören heute, wie etwa die "Erbfeindschaft" zwischen Österreichern und Italienern,
längst der Vergangenheit an und sind für die meisten Menschen gar nicht mehr nachzuvollziehen. Andere
Feindbilder sind aber nach wie vor Quelle von gewaltsamen Konflikten. Wie entstehen Feindbilder? Wie können
sie abgebaut und überwunden werden? Mit diesen auch heute noch für Europa aktuellen Fragen beschäftigt
sich ein zweitägiges Symposion, zu dem Nationalratspräsidentin Barbara Prammer gemeinsam mit dem Sir
Peter Ustinov Institut ins Palais Epstein eingeladen hat. Experten aus dem In- und Ausland werden dabei in Referaten
und Diskussionen konkrete Beispiele beleuchten und sich auch mit jenen Fällen auseinandersetzen, in denen
es gelungen ist, "Erbfeindschaften" beizulegen. Ziel der Fachtagung ist es, Anstöße für
weiterführende Bemühungen auf europäischer Ebene zu gewinnen.
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer betonte in ihren Begrüßungsworten, die Auseinandersetzung
mit Feindbildern, Vorurteilen und Rassismus könne nur auf einer sachlichen Ebene vernünftig geführt
werden. Nichts wäre fataler, als in der Frage des Zusammenlebens nationaler, ethnischer, religiöser und
kultureller Vielfalt das Feld den politischen Extremismen zu überlassen. Wir müssen uns von jenem Trugschluss
abwenden, der darin besteht, heikle Themen oft nicht offensiv auszusprechen, warnte Prammer. Vielmehr gelte es,
der Verfestigung von Feindbildern ehestmöglich entgegenzutreten, unterstrich die Nationalratspräsidentin
und sah darin eine Bringschuld der politisch Verantwortlichen.
Prammer appellierte in diesem Zusammenhang auch an eine größere Sensibilität im Umgang mit der
Sprache als wichtigem Element der Politik und gab zu bedenken, gerade in der parlamentarischen Auseinandersetzung
werde Sprache oft sehr sorglos und undifferenziert verwendet. Besonders gefährlich sei es, wenn aus handfesten
politischen Interessen kollektive Verhetzung geschürt werde und wenn dabei Bilder erzeugt werden, die einen
so genannten Feind überhaupt erst erzeugen.
In einem zusammenwachsenden Europa werde sich niemand hinter Einzelgrenzen zurückziehen können, die Frage
der Feindbilder sei vielmehr grenzübergreifend und versachlicht zu diskutieren, mahnte Prammer. Es gelte vor
allem, das Bewusstsein für das Wesen und die Gefahren von Feindbildern zu stärken. Von der Veranstaltung
erwartete sich Prammer, wie sie sagte, Impulse und die eine oder andere konkrete Handlungsperspektive zur Überwindung
von Feindbildern.
Friedrich Gehart (Vorstand des Sir Peter Ustinov Instituts) erklärte, dem Institut gehe es mit der heutigen
Veranstaltung vor allem darum, die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Umstand zu lenken, dass es trotz großer
Fortschritte bei der europäischen Integration, die man sich früher nicht erwartet hätte, noch immer
Feindbilder gebe, durch die Gruppen der europäischen Bevölkerung ausgegrenzt, stigmatisiert und benachteiligt
werden.
Gehart gab einen Überblick über die Arbeit des Instituts und erinnerte daran, dass Sir Peter in den Feindbildern
und Vorurteilen Störfaktoren für eine friedliche und harmonische Gesellschaft gesehen hatte. In den vergangenen
Jahren habe sich das Institut in seinen Veranstaltungsreihen schwerpunktmäßig mit den Themen Anti-Amerikanismus,
Konflikt zwischen dem Westen und dem Islam, Vorurteilen in der Kindheit auseinandergesetzt. Über die heutige
Fachtagung werde ebenso wie dies bezüglich der Symposien der letzten drei Jahre geschehen ist, ein Buch herausgegeben
werden, kündigte er an.
Anton Pelinka meinte grundsätzlich, Politik habe immer etwas mit Gegenläufigkeit und Konflikt zu tun,
unterschiedliche Positionen als Ausdruck von Vielfalt und Pluralität seien legitim, müssten deshalb aber
nicht als Feindschaften angesehen werden. Die Demokratie sei nicht die Lehre der absoluten Konfliktfreiheit, sie
biete vielmehr ein System, wie man mit vorhandenen Gegenläufigkeiten umgehen kann.
Gesellschaften und Parteien würden ihre Identität durch Fokussierung auf Differenzen gewinnen, dies führe
automatisch auch zur Ausschließung, gab Pelinka zu bedenken. Je schärfer diese unvermeidlichen Differenzen
konstruiert werden, je unüberbrückbarer die Unterschiede gesehen werden, desto eher werden "die
anderen" als Feindbilder gezeichnet. Pelinka interpretierte Feindbilder vor allem auch als Ausdruck der eigenen
Schwäche und eines übersteigerten Bedürfnisses nach Identität, wobei er meinte, schwache Identitäten
verlangten nach kräftigen Feindbildern. Wer also Feindbilder abbauen möchte, der müsse über
die Stärkung von Identitäten nachdenken.
Feindbilder können nicht einfach überwunden und aufgelöst, sie können nur relativiert werden,
stand für Pelinka fest. Dies sei nur als Ergebnis von zwei Strategien möglich, die sich am Beispiel Deutschlands
nach dem Zweiten Weltkrieg manifestieren. Kurzfristig gehe es darum, durch Schaffung von Anreizen, etwa Wohlstand,
die Feindbilder zurückzudrängen. Langfristig müsse versucht werden, durch Erziehung zu einer Relativierung
der nationalen Besonderheiten beizutragen. Pelinka sah bei diesem Prozess vor allem auch die Demokratie gefordert.
Deren Aufgabe sei es, nicht Antworten in "schwarz" und "weiß" zu geben, sondern auf das
Phänomen der Feindbilder in "grau" zu reagieren und zu helfen, diese Feindbilder zu relativieren.
Wolfgang Benz (Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung TU Berlin) stellte grundsätzlich fest,
die Aufklärung habe ihre Grenzen, wenn es um Vorurteile und Feindbilder geht, die sich rationaler Argumentation
entziehen. Feindbilder wie jenes von den Juden als "unser Unglück" oder etwa jenes der Afrikaner
als "grausame, unzivilisierte Wilde" seien immer wieder für Rassenkriege und Völkermord instrumentalisiert
worden. Das Feindbild der "Russen" und "Asiaten" habe im Zweiten Weltkrieg als Rechtfertigung
für deutsche Gräueltaten im Osten gedient. Das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen wiederum
sei von Vorurteilen und Feindbildern geprägt gewesen.
Wenn man nun die Gespenster der Vergangenheit bannen will, müsse man an einer langen Perspektive arbeiten,
war für Benz klar. Es gelte dabei, sich mit den Gründen für das Entstehen von Feindbildern auseinanderzusetzen,
die der Redner in Selbstbestätigung und Ausgrenzung, Schadenszuweisung und Sinnstiftung sowie Ängsten
und Realitätsverweigerung ortete. Hochkonjunktur hätten Feindbilder immer in Situationen vermeintlicher
oder tatsächlicher Bedrohung, sie würden häufig aus Frustration entstehen und die Voraussetzungen
für die Lösung von Konflikten mit Gewalt schaffen. Ein Charakteristikum von Feindbildern sei darüber
hinaus auch ihre Austauschbarkeit.
Im Anschluss an die Einleitungsstatements gaben Referate von Heinz Fassmann über Migration als Verstärker/Auslöser/Überwinder
von Feindbildern und Elisabeth Brainin zum Thema "Bedürfnis nach Feindbildern, Ausgrenzung, Stigmatisierung,
Mobilisierung" Anstoß für eine Diskussion. Der Nachmittag ist dem Komplex "Konsequenzen von
Feindbilder" gewidmet, wobei sich Staatssekretär Wladyslaw Bartoszewski mit Polen und Deutschland auseinandersetzen
und Udo Steinbach (Deutsches Orient Institut Hamburg) den "Feindbildern" Islam und Westen nachgehen wird.
Der zerstörerischen Kraft von Feindbildern an den Beispielen Jugoslawiens bzw. Belgiens widmen sich Referate
von Henriette Riegler (Österreichisches Institut für internationale Politik) und Wichard Woyke (Universität
Münster), während Brigitte Mihok und Peter Widmann vom Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin
den Themenkreis der Dynamik von Angstbildern am Beispiel der Phantasien über "den Zigeuner" behandeln
werden.
Für den Abend steht eine Paneldiskussion über Feindbilder als mögliche Störfaktoren der weiteren
Entwicklung der Europäischen Integration auf dem Programm. Als Diskutanten werden Rita Süssmuth (Deutsche
Bundestagspräsidentin a.D.), Gunter Hofmann ("Die Zeit"), Jan Jarab (Kabinett von EU-Kommissar Spidla),
Hannes Swoboda (EU-Abgeordneter) und Staatssekretär Hans Winkler erwartet. Sie wollen dabei auch der Frage
auf den Grund gehen, was die Europäische Politik zur Überwindung der Feindbilder beitragen kann.
Der zweite Tag wird dann im Zeichen des Abbaus der Feindbilder stehen. In Referaten werden dabei die Bereiche Erziehung
(Dietmar Larcher, Universität Bozen), Menschenrechte (Manfred Nowak, Ludwig Boltzmann-Institut für Menschenrechte)
sowie Power-Sharing am Beispiel Nordirlands (Franz Valandro, Politologe und Historiker) als Möglichkeiten
zur Überwindung der Feindbilder thematisiert. Den Ausklang bildet ein Diskussionsblock, der die erfolgreiche
Beilegung von "Erbfeindschaften" in Europa an den Beispielen Frankreich – Deutschland (Michel Cullin)
sowie Österreich – Italien (Josef Berghold) zum Inhalt hat und die Frage aufwirft, was das heutige Europa
aus der Überwindung dieser alten Feindschaften lernen kann. |