Die österreichische Identität im Spiegel des Diskurses rund um den Fall der Berliner
Mauer 1989
Wien (idw) - Die ÖsterreicherInnen stehen zu ihrer Nation: Ein kürzlich abgeschlossenes
Forschungsprojekt des Instituts für Geschichte der Universität Wien ergab, dass die österreichische
Identität sehr viel gefestigter ist als häufig angenommen wird. Ausgangspunkt der Studie war die Untersuchung
von westdeutschen und österreichischen Printmedien rund um den Fall der Berliner Mauer 1989.
In dem vom Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank finanzierten Projekt untersuchten Univ.-Prof.
Dr. Wolfgang Schmale vom Institut für Geschichte der Universität Wien und Prof. Dr. Rainer Gries vom
Jena Center für Geschichte des 20. Jahrhunderts das Bild der "Ostdeutschen" in westdeutschen und
österreichischen Medien vor und nach dem Berliner Mauerfall 1989. Wie Medien über andere schreiben, sagt
auch viel über die eigene Befindlichkeit aus. Sogenannte Alteritätsdiskurse - eben das Sprechen über
Andere - sind also immer auch Identitätsdiskurse.
Minderwertigkeitskomplexe gegenüber Deutschland sind unbegründet
Die österreichischen Reaktionen auf die Deutsche Wiedervereinigung waren viel schwächer als jene
in den westdeutschen Medien. Aus der Untersuchung geht deutlich hervor, dass die ÖsterreicherInnen eine gefestigte,
nationale Identität besitzen. "Der Aufbau einer kollektiven, österreichischen Identität nach
dem Zweiten Weltkrieg war ein nachhaltiger und erfolgreicher Prozess, der selbst durch das gravierende Ereignis
von 1989 nicht mehr aufgehalten werden konnte. Man hätte erwarten können, dass diese Identitätsdiskussion
zu tiefgreifenden Verunsicherungen führt, aber das war nicht der Fall. Das ist eine beruhigende Botschaft:
Die Minderwertigkeitskomplexe gegenüber Deutschland, die man manchmal in den Medien heraushören kann,
sind unbegründet", so Wolfgang Schmale von der Universität Wien.
Neben Neugier und Euphorie auch Angst und Befürchtungen
Vor allem in den österreichischen Medien wurden aber neben Neugier, Freude und Euphorie auch Befürchtungen
artikuliert, etwa die Angst vor einem neuen Krieg. "Viele ÖsterreicherInnen befürchteten eine Destabilisierung
des eigenen Landes; manche hatten Angst, von den deutschen Nachbarn vereinnahmt zu werden", sagt Kommunikationswissenschafter
Rainer Gries.
Deutschland nach wie vor gespalten
Was die nationale Identität der Deutschen betrifft, so ist der Prozess der Wiedereingliederung der
DDR mental - also in den Köpfen der Menschen - noch immer nicht vollendet. Rainer Gries: "Es gibt nach
wie vor ein 'Wir-Gefühl' des Westens und getrennt davon ein 'Wir-Gefühl' des Ostens."
Das Projektteam rund um Schmale und Gries untersuchte die Berichterstattung in westdeutschen und österreichischen
Printmedien über die DDR im Zeitraum von 1989 bis 1999. Untersucht wurden u.a. "Bild", "Frankfurter
Allgemeine Zeitung", "Tageszeitung" und "Spiegel" für Deutschland sowie "Standard",
"Kurier", "Profil" und "Kronenzeitung" für Österreich. |