Linz (universität) - Absprachen zwischen Beschuldigtem, Verteidiger,
Staatsanwalt und Gericht gelten in Österreich als unzulässig und sogar als strafbarer Amtsmissbrauch.
Dennoch scheinen absprachenähnliche Vereinbarungen im Gerichtsalltag eine nicht unwesenlichte Rolle zu spielen.
Die Vorteile liegen scheinbar auf der Hand: Die Justiz erspart sich langwierige Beweiserhebungen und damit wichtige
Ressourcen im Verfahrensalltag; Verfahren können so schneller abgewickelt werden. Problematisch wird das Ganze,
wenn beispielsweise Beschuldigte einem Druck zur Kooperation ausgesetzt werden, um ein faires Verfahren zu erreichen.
Über Sinn und Unsinn solcher Absprachen diskutierte eine ausgewählte Expertenrunde am 18.04. an der Johannes
Kepler Universität Linz.
In Österreich als Amtsmissbrauch eingestuft, gelten Absprachen in Deutschland als zulässig und werden
sogar eher positiv eingeschätzt, erklärte Univ. Prof. Dr. Petra Velten, Vorstand des Instituts für
Strafrechtswissenschaften an der JKU. Als Hauptgründe dafür sind die "Prozessökonomie"
und schnelle Abwicklung von Verfahren sowie die Betonung von Konsens anstelle der autoritären Entscheidung
zu nennen. Gleichzeitig ergibt sich aber das Problem der Geständnisse, deren Grundlage oft fragwürdig
ist: "Viele Mandanten sagen im Nachhinein: ‚Mein Anwalt hat mir zum Geständnis geraten, daher habe ich
gestanden'. Das hat sich mittlerweile eingebürgert und ist ein negativer Beigeschmack". Auch beim Strafmaß
gebe es mittlerweile Relationen, die nicht mehr passen. Wirtschaftskriminelle kämen oft mit bedingten Strafen
davon, während Handtaschendiebe die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. "Es darf nicht
sein, dass manche Leute anders büßen als andere", betonte Velten.
Klar gegen solche Absprachen ist Claudia Bandion-Ortner, Richterin am Straflandesgericht Wien und momentan mit
dem BAWAG-Prozess betraut. Wegen der momentanen Prozessflut und dem Richtermangel sei es für die Justiz aber
möglicherweise verführerisch, ein Verfahren vereinfachen und abkürzen zu wollen, sie sei dafür
aber nicht zu haben: "Als Richterin habe ich bei jedem Fall die Verpflichtung, die Wahrheit herauszufinden."
Durch Absprachen im Vorhinein werde dieser Prozess der Wahrheitsfindung gestoppt. Außerdem seien solche Absprachen
oder gar Zusagen im Vorhinein aus ihrer Sicht nicht möglich, im Laufe der Hauptverhandlung könne ein
Fall ja auf einmal in einem völlig anderen Licht erscheinen. Die Legalisierung von Absprachen lehnt sie ab.
Besser wäre es, die Ressourcen der Gerichte zu verbessern, dann könnte die "Massenabfertigung"
besser bewältigt und der Wunsch nach Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung eingedämmt werden.
Rückendeckung bekommt sie von Guido Mairunteregg, Leitender Staatsanwalt in Steyr. Auch er warnt vor Absprachen,
weil sie nicht durchführbar, nicht verbindlich und darüber hinaus nicht mit einem fairen Prozess in Einklang
zu bringen seien.
Für die Möglichkeit, Absprachen gesetzlich zu erlauben, plädiert hingegen der Wiener Rechtsanwalt
Rudolf Mayer. Die Kommunikation zwischen Richter, Staatsanwalt und Verteidiger sei unbedingt notwendig. Es gehe
nicht darum, etwas "unter der Tuchent", also heimlich auszuverhandeln, sondern offen darüber zu
sprechen. In einigen Fällen könnten Absprachen durchaus Sinn machen und ein Verfahren erheblich abkürzen,
was die Prozesskosten deutlich senken würde. Ärgerlich für alle seien Verfahren, die lange dauern,
viel kosten und wo letztlich das gleiche Urteil gefällt werde, das es wahrscheinlich bei einer Absprache auch
geben würde.
Diesen Einwand lässt Mairunteregg nicht gelten: "Staatsanwälte sind ohnehin verpflichtet, Verfahren
kurz zu halten." Ein Prozess werde sicher nicht künstlich in die Länge gezogen. Zur Notwendigkeit
der Kommunikation zwischen Richter, Staatsanwalt und Verteidiger bekennt sich Mairunteregg auch, "aber nicht
in Form von Absprachen".
Verschiedene Diskussionsbeiträge aus dem Publikum bestätigten den Eindruck, dass trotz vielseitiger gegenteiliger
Beteuerungen Prozessabsprachen in der Praxis häufig stattfinden. Dabei wurde als Defizit erlebt, dass es keine
gesetzliche Regelung und eine Verdammung durch die Höchstgerichte gäbe. Dadurch werde an der Realität
vorbei gegangen. Breite Zustimmung gab es für Vorschläge, Prozessabsprachen in engem Rahmen durch eine
Gesetzesänderung zuzulassen.
Am Ende der Veranstaltung betonte Alois Birklbauer, Professor am Institut für Strafrechtswissenschaften der
JKU, den weitgehenden Konsens, dass trotz der knappen Ressourcen der Justiz die Suche nach der Wahrheit "keinesfalls
an den Kosten scheitern darf". |