"Stabilitätsorientierte Politik – Erfolgsfaktor für Wirtschafts- und Währungsunion"
Nationalbank-Gouverneur Dr. Liebscher zieht positive Bilanz
Wien (oenb) - Die Schaffung der WWU war und ist die richtige Antwort Europas auf die Herausforderungen
der Globalisierung und die Teilnahme Österreichs von Beginn an war der einzig logische Schritt, stellte der
Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank und Mitglied des EZB-Rates, Dr. Klaus Liebscher, bei der Eröffnung
der Volkswirtschaftlichen Tagung der OeNB am 28.04. fest. Ein auch währungspolitisch geeintes Europa stärkt
die Wettbewerbsfähigkeit und trägt dazu bei, dass wir in der globalen Arbeitsteilung des 21. Jahrhunderts
erfolgreich bestehen. „Aber der Erfolg wird sich auch weiterhin nicht automatisch einstellen“, setzte Gouverneur
Liebscher fort. Er setzt voraus, dass die gemeinsame Geldpolitik wie im EU-Vertrag festgeschrieben, eine stabilitätsorientierte
ist. „Dauerhafte Geldwertstabilität ist der Humus, der den Boden für erfolgreiches Wirtschaften aufbereitet“,
so der Gouverneur.
„Wir sind mit dieser stabilitätsorientierten Politik in den vergangenen 10 Jahren sehr gut gefahren“, hielt
der Gouverneur fest. Die Inflationsrate lag in diesem Zeitraum im Euroraum durchschnittlich knapp über 2 %
und in Österreich knapp unter 2 %. Ein großer Erfolg, wenn man berücksichtigt, dass die letzten
Jahre durch wiederholte externe, aber zuletzt auch durch teils ‚hausgemachte’ Preisschocks gekennzeichnet waren.
Die stark gestiegenen Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise, wie auch Anhebungen der administrierten Preise und indirekten
Steuern durch die öffentliche Hand und die damit verbundene Gefahr für Zweitrundeneffekte erfordern besondere
Aufmerksamkeit und vorausschauendes Handeln des EZB-Rates, so der Gouverneur. Nur so kann dauerhaftes, inflationsfreies
Wachstum mit seinen positiven Auswirkungen auf Investitionen und Beschäftigung gesichert werden. Die einheitliche
Geldpolitik des Eurogebietes darf im Interesse der Glaubwürdigkeit und Stabilisierung der Inflationserwartungen
weder kurzfristige Konjunktur- oder beschäftigungspolitische Ziele, noch einzelne Länder- oder Brancheninteressen
verfolgen.
Nicht minder wichtig für die Funktionsfähigkeit der Währungsunion ist ein stringentes und klares
fiskalisches Regelwerk, wie auch eine dynamische Strukturpolitik. Die Anstrengungen zur Budgetkonsolidierung wie
auch die teils sehr ambitionierten Strukturreformen haben in den letzten Jahren die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
der einzelnen Länder des Euroraums bzw. der EU stimuliert, Beschäftigung und Wachstum geschaffen sowie
resistenter gegen externe Schocks gemacht.
Das reale Wirtschaftswachstum im Euroraum betrug seit Beginn der Währungsunion 2,2% p.a. Die Zahl der Beschäftigten
wuchs seit 1999 um rund 18 Mio, die Arbeitslosenquote verringerte sich von 10 % (1998) auf zuletzt 7,1 %. Dies
ist der niedrigste Stand seit mehr als 25 Jahren. Der Budgetsaldo ging von seinem Höchststand von -3,1 % im
Jahr 2003 auf -0,6 % des BIP 2007 zurück.
Gouverneur Liebscher stellte fest, dass die seit 1999 bestehende Mitgliedschaft Österreichs in der Währungsunion
auch in unserem Land beträchtliche Wohlstandsgewinne generiert hat. Bei Wettbewerbsfähigkeit und Standortqualität
nimmt Österreich eine Spitzenposition ein. Das Wirtschaftswachstum ist robust und war in den letzten Jahren
durch einen stabilen Wachstumsvorsprung von rund ½ Prozentpunkt gegenüber dem Durchschnitt des Euroraums
gekennzeichnet. Die Arbeitslosenquote ist international gesehen sehr niedrig, die Beschäftigung wuchs dynamisch.
Die hohe Preisstabilität in Österreich, die dadurch hervorragende preisliche Wettbewerbsfähigkeit
und die wirtschaftliche Integration haben auch zur herausragenden außenwirtschaftlichen Performance Österreichs
beigetragen, so der Gouverneur. Die Leistungsbilanz wies in den letzten Jahren ein steigendes Aktivum von über
3 % des BIP im Jahr 2007 auf. Die Direktinvestitionen Österreichs im Ausland haben sich von 8 % (1998) auf
rund 32 % des BIP (2007) vervierfacht.
Die Erweiterung der WWU bezeichnete der Gouverneur als eine der zentralen künftigen Herausforderungen. Waren
es beim Start 1999 elf Mitgliedstaaten die den Euro einführten, folgten 2001 Griechenland, 2007 Slowenien
und am 1.1.2008 Malta und Zypern. Das Eurosystem ist auch weiterhin offen für neue Beitritte zur Währungsunion,
hielt Dr. Liebscher fest. „Die Anwendung der Konvergenzkriterien für die neuen EU-Mitgliedstaaten darf jedoch
keineswegs schwächer, aber auch nicht schärfer als für die bestehenden Euro-Teilnehmerstaaten erfolgen“,
stellte der Gouverneur klar.
Abschließend zitierte Gouverneur Liebscher den berühmten österreichischen Ökonom Joseph Schumpeter,
der einst zu dem Urteil kam: „Der Zustand des Geldwesens eines Volkes ist ein Symptom aller seiner Zustände“.
So gesehen, meinte der Gouverneur, ist das erfolgreiche Projekt der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion
viel mehr als nur ein wirtschaftliches Projekt – es ist auch ein gesellschafts- und sicherheitspolitisches Projekt
mit dem Ziel der Friedenserhaltung und Wohlstandsvermehrung in Europa! |
Der Euro in der erweiterten Union aus Österreichischer Sicht
Rede von Bundeskanzler Gusenbauer anlässlich der Eröffnung der Volkswirtschaftlichen-Tagung
der Österreichischen Nationalbank
Sehr geehrter Herr Gouverneur!
Meine Damen und Herren!
Ich freue mich sehr, heute hier zum Thema „Der Euro in der erweiterten EU“ sprechen zu können. Vieles ist
gelungen, der Euro funktioniert und hat sich international großartig behauptet. Er ist eine – auch von vormaligen
Kritikern - weltweit anerkannte Erfolgsgeschichte, auch dank der hervorragenden Arbeit der Notenbanken und der
Europäischen Zentralbank, die im Juni ihr zehnjähriges Bestehen feiert.
Doch vieles hat sich in diesen zehn Jahren auch verändert, und dass es keine Währungsunion aus einem
Guss gibt, sondern dass sie, um erfolgreich zu sein, Zeit braucht, ist für niemanden von Ihnen etwas Neues.
Wesentlich für die europäische Erfolgsgeschichte ist nicht nur die Vertiefung der Europäischen Union,
sondern auch deren Erweiterung. Der 1. Mai 2004 war ein historisches Datum, an dem die Teilung Europas beendet
wurde. Die Vereinigung unseres Kontinents machte eines klar: Stabilität, Wachstum und Wohlstand können
langfristig nur garantiert werden, wenn Solidarität und nicht Abgrenzung in den Vordergrund gerückt werden.
Und es ist mir auch wichtig hier festzuhalten, dass der Euroraum keine geschlossene Gesellschaft ist und sich auch
nicht den Anschein geben darf, ein exklusiver Klub zu sein. Denn von Anfang an war es erklärtes Ziel der Gemeinschaft,
dass letzten Endes alle Mitgliedsländer den Euro einführen sollen. Dabei dürfen wir nicht vergessen,
dass die WWU unter Ausgangsbedingungen entworfen wurde, die den Herausforderungen der 90-er Jahre des vorigen Jahrhunderts
entsprachen: relativ hohe Budgetdefizite und Staatsverschuldung sowie Inflationsraten, die über dem heutigen
Preisstabilitätsziel liegen. Die Kriterien für den Eintritt in die Eurozone spiegeln diese Herausforderungen
wider und sie wurden – mangels anderer historischer und ökonomischer Erfahrungen – für die Industrieländer
Westeuropas konzipiert.
Diese Situation hat sich jedoch geändert. Die Länder, die nun vor einem Beitritt zur WWU stehen, sind
dynamische, rasch aufholende Volkswirtschaften und unterscheiden sich damit vom Kern der Gründungsmitglieder
der Eurozone. Ausgehend von niedrigeren Niveaus der Wirtschaftsleistung sind sie durch höhere Wachstumsraten
gekennzeichnet, welche vor allem auf ein hohes Produktivitätswachstum und eine robuste Binnennachfrage zurückzuführen
sind. Nur drei Staaten ist es daher bisher gelungen, die Eintrittkriterien zu erfüllen: Slowenien, Malta und
Zypern.
Unser Nachbar, die Slowakei, hat sich zum Ziel gesetzt, mit 1. Jänner 2009 den Euro einzuführen. Die
makroökonomischen Indikatoren zeigen, dass die Slowakei auf einem guten Weg ist. Die abschließende Bewertung
der slowakischen wirtschaftlichen Konvergenz obliegt der Europäischen Kommission – auch der EZB. Ich bin zuversichtlich,
dass der Europäische Rat im Juni die Aufnahme der Slowakei in den Euroraum beschließen wird.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich möchte nun ein paar Überlegungen zur Stärkung der Union und der Währungsunion im Besonderen
darlegen; die Themen, die ich ansprechen werde, sind:
1) Soziale Dimension der Union;
2) Wirtschaftspolitische Koordinierung;
3) Wechselkurspolitik;
4) Internationale Finanzarchitektur und die Rolle, die die Eurogruppe dabei spielen könnte; und abschließend
ein paar Überlegungen zur
5) Finanztransaktionssteuer, deren Einführung ein besonderes Anliegen der österreichischen Bundesregierung
ist.
1. Zunächst zur Sozialen Dimension der Union
In der EU, insbesondere im Euroraum, wird gerne der Mangel an Strukturreformen kritisiert. Tatsache ist aber, dass
hier beachtliche Fortschritte erzielt wurden: Die Steuer- und Sozialleistungssysteme wurden und werden reformiert,
um stärkere Anreize zum Verbleib im beziehungsweise zum Eintritt in den Arbeitsmarkt zu schaffen. Lohnflexibilität
wird erhöht und die so genannten „verkrusteten Strukturen“ werden am Arbeitsmarkt aufgebrochen. Die Postulate
der modernen Arbeitswelt heißen Flexibilisierung und Deregulierung.
Die mit den Reformen verbundenen sozialen Kosten für betroffene Bevölkerungsgruppen bleiben allerdings
in der Lissabon Strategie zu wenig sichtbar. Wir diskutieren heute bereits über eine Post-Lissabon Strategie
und ich bin davon überzeugt, dass wir dabei das Europäische Sozialmodell und die soziale Dimension der
Integration nicht als 5. Rad abhandeln sollten, sondern als Reformstrategie, die eine laufende Absenkung der Lohnquoten
nicht als unabänderliches Beiwerk der Globalisierung sieht, sondern Rahmenbedingungen setzt, die einzuhalten
sind: etwa Mindestlöhne, soziale Mindeststandards oder die Einschränkung eines exzessiven Steuerwettbewerbs.
2. Zur Wirtschaftspolitischen Koordinierung
Die Koordinierung der Wirtschaftspolitik hat in den letzten Jahren doch erhebliche Fortschritte gemacht
– gestärkt durch die Eurogruppe, den Makroökonomischen Dialog und den reformierten Stabilitäts-
und Wachstumspakt. Was Letzteres betrifft, so haben wir die viel kritisierte Inkonsistenz dieses Pakts mit der
Lissabonner Strategie zum Teil beseitigen können. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir noch mehr brauchen.
Es schwächt die Glaubwürdigkeit der Union, dass wir in der Wirtschaftspolitik einerseits über ein
für die Menschen undurchsichtiges Netz an Koordinationsverfahren – mit dutzenden Arbeitsgruppen, Gremien und
Foren zu den verschiedensten Detailbereichen – verfügen und gleichzeitig keinerlei politischen Willen zeigen,
unsere Instrumente der makroökonomischen Koordinierung effektiver zu gestalten.
Wie würden wir handeln, wenn die Gefahr im Raum steht, dass die Arbeitslosigkeit im Zuge eines konjunkturellen
Einbruchs wieder steigt? – auf erforderliche Strukturanpassungen, Lohnmäßigungen, automatische Stabilisatoren
und die Lissabon Strategie im Allgemeinen verweisen? Können wir so etwas mit ruhigem Gewissen verantworten?
Ich denke, wenn der globale Konjunkturmotor – diese Rolle wurde in den letzten Jahren wesentlich von den USA eingenommen
– ins Stocken gerät, so liegt es an den übrigen Ländern, im Rahmen einer koordinierten Reaktion
die Weltkonjunktur zu stimulieren. Ansonsten wird der Ausgleich der Leistungsbilanzen durch einen globalen Konjunktureinbruch
erzwungen, der die Importausgaben der Defizitländer ebenso vermindert wie die Exporteinnahmen der Überschussländer.
Die Konsequenz wäre eine Destabilisierung der Weltwirtschaft.
Im Rahmen eines Ausblicks auf die nächsten zehn Jahre kann ich nicht umhin, hier ein Umdenken einzufordern.
Der Euroraum muss in Zukunft in der Lage sein, auf Krisen wirksamer zu reagieren. Dabei wird es sicherlich notwendig
sein, überkommene Dogmen im Interesse eines nachhaltigen Wachstums und dauerhaft hoher Beschäftigung
über Bord zu werfen.
3. Zur Wechselkurspolitik
Ein weitere Herausforderung, der wir uns stellen müssen, ist der aktuelle Euro-Wechselkurs. Zuletzt
ging die Euroaufwertung mit einer dynamischen Weltnachfrage einher, diese kühlt sich nun ab – der Euro wertet
weiter auf. Das trifft die Wirtschaft am kritischen Punkt. Bereits im März haben die europäischen Staats-
und Regierungschefs im Rahmen des Frühjahrsgipfels ihre Besorgnis über zu hohe Wechselkursbewegungen
zum Ausdruck gebracht und deutlich festgestellt, dass übermäßige Volatilität und ungeordnete
Wechselkursschwankungen für das Wirtschaftswachstum nicht wünschenswert sind.
Daher kann ich mich nur der Aussage des Präsidenten der Eurogruppe, Ministerpräsident Jean-Claude Juncker
anschließen, dass es nicht nur die Aufgabe der Zentralbank sei, die Wechselkurse zu beobachten. Ich glaube,
wir brauchen letztendlich eine multilaterale Wechselkurspolitik, die unkontrollierten Wechselkursschwankungen entgegenwirkt.
4 Internationale Finanzarchitektur und die Rolle, die die Eurogruppe dabei spielen könnte
Mit der Einführung des Euro vor zehn Jahren war auch die Erwartung verbunden, eine aktivere Rolle in internationalen
wirtschafts- und währungspolitischen Angelegenheiten zu spielen sowie in Zukunft international mit einer Stimme
zu sprechen.
Gerade im Vorfeld der IWF - Frühjahrstagung ist eine langjährige österreichische Forderung wieder
zur Sprache gekommen: die Forderung nach einer gemeinsamen Außenvertretung, einem Sitz der Eurogruppe in
internationalen Finanzinstitutionen, im Besonderen im IWF. Eine verbesserte Außenvertretung der Eurogruppe
würde dem Euroraum jenes wirtschaftspolitische Gewicht geben, das ihr aufgrund ihrer wirtschaftlichen Größe
zusteht.
Auch die Finanzmarktturbulenzen haben den Stellenwert der Eurogruppe in der internationalen Finanzwelt auf bezeichnende
Weise veranschaulicht. Obwohl der Euroraum von der Finanzkrise betroffen ist, brachte die Eurogruppe nicht die
notwendige Geschlossenheit auf, gemeinsame Interessen zu formulieren und durchzusetzen. Das schwächt das Außenbild
des Euro als internationale Großwährung, hinter der die Wirtschaftskraft von mittlerweile 15 Ländern
steht.
Meine Damen und Herren!
Es gibt nun Gewissheit darüber, dass sich die USA in einer Rezession befindet, ausgelöst durch eine Finanzkrise,
die doch die tiefgreifendste seit Jahrzehnten, zu sein scheint. Auch der Euroraum wird – mit der üblichen
Zeitverzögerung – davon betroffen sein.
Als Weltwährung müssen wir Interesse daran haben, dass wir Verbindlichkeit in die bestehenden, überwiegend
freiwilligen globalen Mechanismen bringen. Bei den derzeit diskutierten Reformvorschlägen zur Finanzmarktregulierung
dominieren wieder Selbstregulierung, Marktdisziplin sowie das Vertrauen in von den Finanzmarktakteuren selbst definierten
Prinzipien. Diese Maßnahmen sind wichtig, aber sie reichen nicht aus.
Ich möchte daher folgende These in den Raum stellen: Wir brauchen eine wesentlich stärkere internationale
Finanzarchitektur. Über kurz oder lang müssen wir dem globalen Finanzsystem eine mit rechtlich verbindlichen
Möglichkeiten versehene Weltfinanzorganisation gegenüberstellen. Es ist nicht notwendig, hier eine neue
Institution zu schaffen. Es wäre möglich, die Bretton Woods Institutionen mit dem Setzen von Regulierungsstandards
und der Koordinierung der globalen Aufsicht zu betrauen. Der Internationale Währungsfonds verfügt bereits
jetzt über wesentliche Kompetenzen in diesem Bereich.
Von der Konzeption her wäre eine Weltfinanzorganisation vergleichbar mit der 1995 gegründeten Welthandelsorganisation
WTO, der Nachfolgeorganisation des GATT, deren Mitgliedländer völkerrechtlich verbindlichen Regeln für
den Handel unterliegen. Die Weltfinanzorganisation soll und kann nicht die Aufsicht durch bestehende Institutionen
ersetzen, ihre Aufgabe bestünde vielmehr darin, internationale Standards für die Finanzmarktregulierung
und –aufsicht zu formulieren und deren Durchsetzung zu überwachen. Sie sollte auch damit betraut werden, Bedingungen
für eine höhere Transparenz, zum Beispiel durch die Einrichtung eines internationalen Kreditregisters
zu schaffen sowie bessere Frühwarnsysteme und Krisenmanangement-Instrumente zu entwickeln.
Letztlich geht es auch darum, in Zukunft zu unterbinden, dass die Staaten im Wettlauf um Finanzvermögen gezwungen
sind, die Regulierung der Finanzmärkte auf Kosten der Allgemeinheit und der Steuerzahler sukzessive zu lockern
oder erst gar nicht zu regulieren, wie das zum Beispiel bei Hedge Fonds der Fall ist. Die regulatorische Arbitrage,
die wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten vor allem bei der Regulierung außerhalb des Bankensektors beobachtet
haben, ist ja auch ein Teil des heutigen Problems. Allein aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit müssen
alle Teile des Finanzmarktes durch angemessene Regulierung erfasst werden. Nur Banken zu regulieren, während
das Kreditrisiko bei unregulierten Hedge Fonds landet oder von unregulierten Ratingagenturen bewertet wird, ist
fahrlässig. Spätestens in diesen Tagen ist es bittere Gewissheit, dass ein liberalisierter Kapitalverkehr
und ein globales Finanzsystem erst dann ihren vollen Nutzen entfalten können, wenn in allen Ländern sanktionierbare
regulatorische Mindeststandards gelten.
5. Abschließend zur Finanztransaktionssteuer
Die österreichische Bundesregierung spricht sich in ihrer Stellungnahme an die Europäische Kommission
zur Review des EU Haushalts ab 2014 für eine Finanztransaktionssteuer aus. Bereits mit einer minimalen Transaktionssteuer,
zum Beispiel von 0,01 Prozent, kann man ein beachtliches Steueraufkommen erzielen, ohne die Allokationseffizienz
der Finanzmärkte zu beeinträchtigen. Wer in der Wirtschaft sein Geld verdient, Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer ebenso wie Unternehmerinnen und Unternehmer tut sich schwer, die steuerliche Sonderstellung des schnellen
Geldes zu verstehen.
Die steuerliche Behandlung der Finanztransaktionen – keine Umsatzsteuer, nationale Transaktionssteuern oder Gebühren
wurden in der EU zurückgefahren - muss neu überdacht werden. Die Bevorzugung des schnellen Geldes zulasten
des in der Realwirtschaft erarbeiteten Einkommens ist auch unfair, wenn einerseits in guten Zeiten mit Fundamentaldaten
nicht mehr zu erklärende Wertsteigerungen auf den Finanzmärkten erzielt werden, und anderseits in schlechten
Zeiten eine Sozialisierung von Verlusten stattfindet, sei es durch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, oder
in Form von Wachstums- und Beschäftigungsverlusten in der Realwirtschaft.
Meine Damen und Herren!
Ich habe die Gelegenheit hier genutzt, meine Überlegungen zu einer langfristig erfolgreichen Wirtschafts-
und Währungsunion darzulegen. Zu deren Umsetzung ist sicher eine neue Orientierung auf europäischer aber
auch auf nationaler Ebene notwendig. Doch sagte nicht schon Aldous Huxley: „Tatsachen schafft man nicht dadurch
aus der Welt, dass man sie ignoriert.“? Und Tatsache ist, dass von uns Politikern mehr denn je sowohl mutige Visionen
als auch konkrete Konzepte gefordert sind, die die Menschen ansprechen. Ebenso sind klare Bekenntnisse zum europäischen
Miteinander gefordert. Denn wie kann man von den Bürgerinnen und Bürgern der Union erwarten, von einem
politischen Projekt begeistert zu sein, wenn den Regierenden selbst die Euphorie fehlt. Jedes Jubiläum bleibt
bedeutungslos, wenn keiner die Gründe kennt oder versteht, die man feiert. Deshalb ist ein neues Selbstbewusstsein
erforderlich. Ein neues Selbstbewusstsein heißt, Schritte zu setzen, die unser Europa stärken und spürbarer
machen.
Ich möchte daher mit einer Ausführung von Navid Kermani schließen, der zu Europas Realisten Folgendes
angemerkt hat: „Den Gegensatz zwischen den Schwärmern, welche die Universalität der europäischen
Idee beschwören, und den Pragmatikern, welche national Partikularinteressen über allgemeine Werte stellen,
hat es gegeben, seit Europa in seiner heutigen Verfasstheit zum ersten Mal angedacht worden ist. Und das Erstaunliche
ist: Recht behalten haben nicht die Pragmatiker, sondern die Schwärmer.“ |