Kassamärkte folgen spekulativen Notierungsschwankungen nur mit Abstand
Wien (bmlfuw/aiz) - Während weiterhin dramatisch gestiegene Getreidepreise als Verursacher gestiegener
Lebenshaltungskosten angeprangert werden und jahrelange Forderungen nach Deregulierung der Agrarmärkte in
solche nach mehr Regulierung mutieren, sinken mit einer sich weltweit abzeichnenden Rekordernte 2008/09 die Getreidepreise
seit Wochen wieder stetig und deutlich.
Die Kassamärkte folgen zwar den spekulativen, hoch volatilen Schwankungen der Terminmärkte, aber in deutlichem
Abstand. Weder die zwei Notierungsspitzen von nahezu Euro 300,- pro t für Weizen im September 2007 und März
2008 waren die Kassamärkte auch nur annähernd bereit mitzumachen, ebenso wie den gegenwärtigen Absturz
der Terminkurse um nahezu Euro 100,- pro t binnen weniger Wochen, wie etwa an der Pariser euronext.liffe (ehemals
MATIF) von Euro 290,- pro t für den vordersten Weizentermin im März auf aktuell Euro 197,25 pro t.
Auch ist die vermeintliche Rekordernte noch nicht eingefahren. Wetteranomalien können noch immer einen Strich
durch diese Rechnung machen. Die Hedge-Fonds ziehen sich dennoch aus den Getreideterminmärkten zurück,
nachdem sie die Aussichten für die Ernte im Sommer für so gut halten. Sie lassen die Post dafür
jetzt beim Reis abgehen.
"Wetterbörsen" bestimmen spekulative Notierungen - Versorgungslage bleibt dennoch eng
Die Bärenstimmung und Preisbaisse an den internationalen Warenterminbörsen haben damit als "Wetterbörse"
genauso spekulativen Charakter wie zu Beginn des Wirtschaftsjahres die Bullenstimmung als Auslöser der Preishausse.
Denn, so der Internationale Getreiderat IGC, in seiner jüngsten Prognose für die Getreideversorgungsbilanzen
der Welt 2008/09, gestern, Donnerstag: Selbst wenn die Welt 2008/09 mit 645 Mio. t Weizen um 7% mehr Weizen erntet
als 2007/08 (604 Mio. t), werde sich der Lagerstand am Ende von 2008/09 wenig signifikant nur von 114 Mio. t (Ende
2007/08) auf 128 Mio. t erholen, weil gleichzeitig 2008/09 der weltweite Weizenverbrauch von 611 Mio. t (2007/08)
auf 630 Mio. t zunehme.
Rückläufige Weizenpreise ließen nämlich in den Entwicklungsländern eine größere
Weizennachfrage erwarten. Vor allem für Pakistan und die Länder des Nahen Ostens sieht der IGC wachsenden
Importbedarf, während die Weizenreserven am deutlichsten in den USA wieder anwachsen sollten. Alleine 10 Mio.
t der erwarteten 14 Mio. t Lagerbestandsaufbau sollen sich demnach in den fünf größten Weizenexportnationen
der Welt anhäufen. Seine Schätzung für die kommende Weltweizenernte 2008/09 revidierte der IGC sogar
geringfügig um 1 Mio. t gegenüber seiner Vormonatsprognose nach unten.
IGC: Trotz neuer Rekordernte 2008/09 global vierte negative Getreidebilanz in Folge
Noch enger sieht der Getreiderat die Versorgungsbilanz im kommenden Wirtschaftsjahr bei Mais: Er setzt die weltweite
Maisproduktion 2008/09 mit 762 Mio. t um 13 Mio. t niedriger an als im Vorjahr (2007/08: 775 Mio. t). Wohl korrigierte
er gegenüber dem März seine Ernteschätzung um 14 Mio. t nach oben, aber bei einer Verbrauchszunahme
um 10 Mio. t von 774 auf 784 Mio. t würden die Endbestände um 21 Mio. t von 114 Mio. t (Ende 2007/08)
auf 93 Mio. t (Ende 2008/09) schmelzen. Die Maislager würden kommende Saison vor allem in den USA abgebaut.
Ursachen sind der wachsende Maisverbrauch für die Ethanolerzeugung in den Vereinigten Staaten und das Umsatteln
der Farmer von Mais auf Soja, weil diese Kultur wegen des rasant zunehmenden Durstes nach Pflanzenöl vor allem
in China zurzeit die höheren Erlöse verspricht.
Für Gerste rechnet der IGC mit einer Produktionssteigerung von etwa 10% auf global 149 Mio. t. Bei niedrigen
Preisen deute sich zwar ein Mehrverbrauch von 6 Mio. t an, doch könnten sich die Endbestände von dem
sehr niedrigen Niveau des vergangenen Jahres etwas, wenn auch ebenfalls nicht signifikant, erholen.
Insgesamt steuere die Welt in ihrer Versorgungsbilanz über alle Getreidearten hinweg gerechnet 2008/09 neuerlich
und im vierten Wirtschaftsjahr seit 2005/06 in Folge auf eine Versorgungslücke zu. Denn, so der IGC, die Welt
werde zwar nach 2007/08 (1.669 Mio. t) auch in der kommenden Saison mit 1.706 Mio. t wiederum eine Rekordernte
einfahren und ihre Produktion um weitere 37 Mio. t (2%) steigern, doch laufe der Verbrauch von 1.710 Mio. t (plus
29 Mio. beziehungsweise 2% von 1.681 Mio. t 2007/08) der Erzeugung neuerlich davon. Damit sieht der IGC auch 2008/09
global eine, wenn auch etwas kleiner werdende Versorgungslücke mit Getreide von minus 3 Mio. t (2007/08: minus
12 Mio. t) - und dies auch noch, nachdem der IGC seine Ernteprognose gegenüber dem März noch um 5 Mio.
t nach oben korrigierte.
"Hohe Preise stimulierten den Weizenanbau", heißt es in der Analyse des in London ansässigen
Weltgetreiderates für das weltweite Anbauverhalten der Landwirte zur Ernte 2008/09, doch seien gleichzeitig
etliche Landwirte wegen der Produktionskosten vom Anbau von Futtergetreide auf Ölsaaten umgestiegen.
Laut Statistics Canada zum Beispiel würden die Farmer des Landes die Weizenflächen für die diesjährige
Ernte um mehr als 16% auf 10,2 Mio. ha ausweiten, davon die für den in Kanada dominierenden Sommerweizen um
9% auf 6,7 Mio. ha.
Getreidenotierungen sinken zurzeit dennoch - Kassamärkte folgen in Abstand
An der europäischen Warentermin-Leitbörse euronext.liffe (ehemals MATIF) in Paris durchstießen
am Donnerstag dieser Woche erstmalig seit Juli 2007 die Weizenfutures für alle Liefertermine wieder die Schallmauer
von Euro 200,- pro t und trugen damit wieder eine Eins an erster Stelle. Auch an den US-Börsen geben die Weizennotierungen
weiter nach, berichtete die Europäische Kommission diesen Donnerstag im Verwaltungsausschuss in Brüssel.
Soft red winter schwächte sich von USD 352,86 (Euro 226,44) pro t fob Golf am 10.04. auf nur noch USD 329,55
(Euro 211,48) pro t am 24.04. ab; hard red winter von USD 400,56 (Euro 257,05) pro t fob Golf auf USD 369,81 (Euro
237,32) pro t.
Diesem Trend folgt auch der österreichische Weizenmarkt, wenngleich auch deutlich langsamer und auf immer
noch spürbar höherem Niveau. Dies erklären Marktbeteiligte nicht zuletzt damit, dass die Restbestände
an Weizen der Ernte 2007 in Österreich schon weitgehend abgebaut seien. Damit sehe kein Anbieter Anlass dafür,
da und dort noch vorhandene Restmengen zu "verschleudern", heißt es.
Viel Fantasie für die Preise in der auslaufenden Saison sieht niemand mehr, es sei denn, einige Mühlen
würden den Anschluss an die neue Ernte doch nicht schaffen. Allgemein aber, so hört man, zeigen sich
die Mühlen gut mit Rohstoff gedeckt und beklagen angesichts des Verlaufs der Preiskurve über das bisher
gelaufene Wirtschaftsjahr eher lautstark, zu früh zu sehr hohen Preisen eingekauft zu haben.
Dokumentiert wird dies dadurch, dass diesen Mittwoch aus der vergangenen Woche keine neuen Umsätze mit Premiumweizen
mehr zur Notierung an der Börse für landwirtschaftliche Produkte in Wien gelangten. Der heimische Spitzenweizen
notiert nur mehr "nominell". Die Notierung von Qualitätsweizen, von dem noch Restmengen vermarktet
wurden, sank diese Woche dem internationalen Trend folgend um Euro 9,50 pro t auf Euro 247,50 pro t. Damit vergrößerte
die Wiener Qualitätsweizennotierung sogar noch ihren Abstand zum Mai-Futures an der Pariser MATIF auf Euro
50,25 pro t. Dieser schloss am Donnerstag nur mehr bei Euro 197,25 pro t.
Einen Tick nach unten machte diese Woche in Wien auch die Futtergerstennotierung. Ölsaaten gaben sogar deutlicher
nach.
Nachfrage nach Weizen alter Ernte am Weltmarkt weiter rege - EU profitiert mit Exporten
Im Mittelmeerraum wird weiterhin viel Getreide nachgefragt. Europäische Händler können sich zunehmend
an Geschäften mit Nordafrika und dem Nahen Osten beteiligen. Exporteure aus der EU fragten laut EU-Kommission
in den vergangenen beiden Wochen Ausfuhrlizenzen für 531.357 t Weizen in Brüssel nach. Den Lizenzen nach
zu urteilen, haben sich die Exporte aus der EU damit gegenüber den Vorwochen noch weiter gesteigert. Das Lieferpotenzial
aus den USA ist erschöpft und die Europäer können einspringen. Von den 531.357 t Weizen kamen Anträge
für 175.500 t aus Frankreich, 153.700 t aus Deutschland, 66.000 t aus den Niederlanden, 40.800 t aus Litauen,
36.100 t aus Ungarn und 16.370 t aus Österreich.
Die EU-Kommission berichtete im Verwaltungsausschuss konkret von einem Geschäft über 109.000 t Mahlweizen
an Tunesien zu USD 398,49 (Euro 255,72) pro t cif zur Lieferung im Juni und Juli. Die Ware soll aus der Schwarzmeerregion
und aus der EU kommen. Gleicher Herkunft soll die Türkei 100.000 t Mahlweizen zu USD 468,05 bis 474,- (Euro
300,36 bis 304,18) pro t cif gekauft haben. Den hohen Preisunterschied zum Tunesiengeschäft erklärte
die Kommission mit besserer Qualität und dem Liefertermin April/Mai. Händler aus den USA und aus Russland
sollen 205.000 t Mahlweizen an Ägypten zu USD 380,33 (Euro 244,07) pro t cif zur Lieferung im Juli verkauft
haben.
Zum ersten Mal in dieser Saison zogen damit die Getreideexporte aus der EU mit dem Stand des Vorjahres gleich.
Bisher lagen sie darunter. 14,9 Mio. t Getreide wurden zwischen dem 01.07. und dem 17.04. aus der EU ausgeführt,
berichtete die EU-Kommission. Im Vorjahr waren es zu diesem Zeitpunkt 14,8 Mio. t Getreide. Die Weizenausfuhren
erreichen mit 6,8 Mio. t noch nicht die 7,4 Mio. t im Vorjahr. Dafür liegen die Exportmengen für Gerste,
Mehl und Malz höher. Dennoch bleibt die EU aber 2007/08 ungewöhnlicherweise Nettoimporteur von Getreide,
weil sie große Mengen Futtermais und Sorghum vom Weltmarkt einführen muss.
Die Ukraine habe laut Kommission ihr Exportverbot praktisch aufgehoben. In Kasachstan soll das Verbot dagegen noch
bis zum 01.09. bestehen bleiben und auch Argentinien habe sein Moratorium für die Ausstellung von Weizenexportlizenzen
bis auf Weiteres verlängert. Die argentinischen Landwirte säen wegen des Ausfuhrverbotes weniger Weizen
aus, schätzt man im US-amerikanischen Landwirtschaftsministerium. Argentiniens Weizenernte soll daher von
15,4 Mio. t in diesem Wirtschaftsjahr auf 14,7 Mio. t in 2008/09 zurückgehen. Die Kommission schätzt
den Getreideeinfuhrbedarf bis zu Jahresende im Iran auf 2 Mio. t, in Pakistan auf 1,5 Mio. t und im Irak auf
2,5 bis 3 Mio. t.
EU importiert gleichzeitig große Mengen Mais
Zwischen dem 09.04. und dem 22.04. wurden Lizenzen für die Einfuhr von 627.000 t Mais in die EU beantragt.
Im Rahmen der Ausschreibung von Mais für den Binnenmarkt gab die Kommission in dieser Woche 2.746 t den Zuschlag
zu Euro 177,02 pro t. An der Börse in Budapest notierte Mais bei Euro 185,- pro t, aber die Kommission gewährte
einen Abschlag für die Interventionsware. In der Ausschreibung sind noch knapp 128.000 t Mais übrig.
Maismarkt in Österreich wieder etwas in Bewegung gekommen
Bewegung scheint nun doch in den Maismarkt gekommen zu sein. Es werde wieder Mais gehandelt, heißt
es, wenn auch nur zögerlich. Die Wiener Produktenbörse notierte dementsprechend nach etlichen Wochen
wiederum interventionsfähigen Futtermais. Mit Euro 200,50 pro t hielt sich die Notierung sogar noch über
der magischen Marke von Euro 200,- und ebenfalls über den aktuellen Notierungen an der MATIF. Gemessen an
den Marktpreisen in Ungarn, das für den österreichischen Maismarkt eher die Latte legt, seien diese Preise
aber "durchaus angemessen", verlautet aus Branchenkreisen.
Russland: Keine Verlängerung der Sonderexportzölle auf Getreide geplant
In Russland sollen weder die bis 01.07.2008 geltenden praktisch prohibitiven Exportzölle auf Getreide noch
die bis 01.05.2008 ausgelegte angeblich freiwillige Einfrierung der Einzelhandelspreise für "sozial bedeutende"
Lebensmittel über diese Fristen hinaus verlängert werden. Bei guten Ernteerwartungen wäre die weitere
Exporteinschränkung sinnlos, daher sei diese in einem vom Wirtschaftsministerium vorbereiteten Entwurf des
Maßnahmenkatalogs zur weiteren Inflationsbekämpfung nicht vorgesehen, erklärte der stellvertretende
Ressortchef, Andrej Klepatsch, vor Journalisten in Moskau. Was den mit der Industrie und dem Handel ausgehandelten
Preisstopp für ausgewählte Lebensmittel betrifft, sei dieser nach Worten von Klepatsch nicht mehr so
wirksam wie einst.
Ukraine hebt Einschränkung der Getreideexporte auf
Nach langem Zögern hob die ukrainische Regierung am Mittwoch die Kontingentierung der Getreideausfuhren auf.
Dies betrifft Weizen, Gerste und Roggen, nachdem die Exporte von Körnermais schon Anfang April gänzlich
freigegeben worden sind. Zugleich wurde das Ende März eingeführte Exportkontingent für Sonnenblumenöl
um 200.000 auf 500.000 t aufgestockt. Ministerpräsidentin Julia Timoschenko stellte die siebenmonatige Kontingentierung
der Getreideausfuhren als "vorübergehende Maßnahme" dar. Angesichts der guten Ernteerwartungen
2008 könne nunmehr darauf verzichtet werden. Wie der stellvertretende Landwirtschaftsminister Jaroslaw Gadsalo
erläuterte, fallen die Exporteinschränkungen jedoch nicht sofort, sondern werden nach ihrer Befristung
bis Ende April nicht mehr verlängert. Da die Getreideexportkapazität der ukrainischen Häfen auf
monatlich rund 1,2 Mio. t eingeschränkt seien, könnten bis zum Beginn des neuen Wirtschaftsjahres (01.07.2008)
nur höchstens 2,5 Mio. t verschifft werden. Laut Gadsalo gefährde diese Menge auch nicht die Inlandsversorgung.
Die Ukraine exportierte aus der Ernte 2007 bisher nur rund 1,2 Mio. t Getreide bei einem gesamten Exportpotenzial
von 3,8 Mio. t.
Agrarproduzenten und Getreidehandel in der Ukraine haben zuvor von der Regierung ultimativ die Aufhebung der Exportkontingentierung
gefordert. Auch Weltbank-Geschäftsführerin Ngozi Okonjo-Iweala forderte dies in einem Gespräch mit
Staatspräsident Viktor Juschtschenko in Kiew. Zuvor hatte die Ukrainische Agrar-Konföderation (UAK) mit
scharfen Protestaktionen gedroht.
Exportbeschränkungen nach dem Muster der Ukraine, Russlands oder Argentiniens kamen zuletzt auch in den Verhandlungen
zur Doha-Entwicklungsrunde der Welthandelsorganisation WTO zunehmend in Diskussion und in die Kritik. |