Menschheit in 3D   

erstellt am
22. 04. 08

Methoden der virtuellen Anthropologie
Wien (universität) - 3D Bilder aus dem Inneren von lebenden Menschen, gefrorenen Mumien oder versteinerten Fossilien existieren mittlerweile wie Sand am Meer. Ob als statische Photos oder in aufwändigen Animationen präsentiert ändert nichts an der Tatsache, dass wir am Beginn


Foto: Universität Wien
des 21. Jahrhunderts lernen müssen, mehr Informationen aus den 3D Daten zu extrahieren, als die bloße Betrachtung zunächst offenbart. Neue Herangehensweisen sind gefragt, und darüber hinaus neue Wege zur Ausbildung von jungen Forschern.

Das Department für Anthropologie an der Universität Wien hat sich zum Ziel gesetzt hat, genau dies zu versuchen. Neben der eigenen Forschung hat Prof. Gerhard Weber, Leiter der Abteilung für "Virtuelle Anthropologie" ein Netzwerk gegründet, um die Methoden der virtuellen Anthropologie in Europa weiterzuentwickeln und zu verbreiten. Dazu präsentieren Forscher des "European Virtual Anthropology Network (EVAN)" aus sechs EU Staaten eine Sonderausstellung im Naturhistorischen Museum (22. April bis 15. Juni 2008) um die Besucher in die Welt der "Menschheit in 3D" einzuführen.

Virtuelle Anthropologie ist eine neue Forschungsrichtung, die erst durch die Zusammenarbeit von Experten aus verschiedensten Bereichen möglich wird. Anthropologen, Mathematiker, Mediziner, Physiker und Computerwissenschaftler tauschen in EVAN ihr Know-how aus, um z.B. fossile Vorfahren und Mumien zu untersuchen und zu rekonstruieren, Krankheiten früher zu erkennen, Implantate in der Zahnmedizin zu verbessern oder das Wachstum bei Menschen und Großaffen zu besser zu verstehen.

3D-Oberflächen-Scanning, Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) gelten in der medizinischen, anthropologischen und biologischen Forschung bereits als gängige Untersuchungsmethoden. Gescannte Objekte liegen dann im Computer als "virtuelle Objekte" vor und können dort in allen Dimensionen vermessen und auch durchdrungen werden. Um jedoch die komplexen räumlichen Verhältnisse von biologischen Strukturen wie z.B. von Schädeln auf Basis dieser gemessenen Zahlenwerte vergleichen zu können, bedarf es einer aufwändigen Mathematik und Statistik, die im Hintergrund die Analysen begleitet. Algorithmen und Software müssen meist erst entwickelt werden, weil die verfügbaren Routinen nicht das Gewünschte leisten.

Hat man die Geometrie der Objekte erst einmal "mathematisch" im Griff, lassen sich erstaunliche Dinge damit tun. Zum Beispiel können am Computer fehlende Skelettteile ergänzt werden und unvollständige oder zerbrochene Fossilien nehmen wieder ihre ursprüngliche anatomische Gestalt an. Es ist dadurch auch möglich, seltene Knochen von menschlichen Vorfahren am Computer zu vergleichen, ohne die wertvollen Originale durch ständige Berührungen in Mitleidenschaft zu ziehen.

In der Evolutionsforschung, sowie in der Medizin finden diese Weiterentwicklungen der digitalen Methoden Anwendungen. So können nicht nur Mumien und Fossilien am Computer untersucht, sondern auch chirurgische Eingriffe mit dreidimensionalen Patientendaten genau geplant werden. Computermodelle von Schädeln geben Aufschluss darüber, wie sich unsere Vorfahren entwickelt haben und wie sich die Schädelproportionen vom Kind zum Erwachsenen verändern.

Mikrocomputertomografie erlaubt z.B. auch die Feinarchitektur von Zähnen zu untersuchen. Auf den digitalen Zahnoberflächen lässt sich sogar herausfinden wie unsere Vorfahren gekaut haben und wie wir heute für den Patienten Zahnersatz gestalten sollten, damit er präziser funktioniert. Das Gehirnfaltungsmuster oder die Form der inneren Brücke zwischen den Gehirnhälften können Aufschluss über vorliegende Erkrankungen geben. Nach Unfällen müssen genau sitzende Implantate geplant und gebaut werden, um fehlende Schädelteile zu ersetzen. Diese und weitere Anwendungen werden in der Ausstellung vorgestellt und erklärt, wie die virtuelle Anthropologie versucht, mehr Informationen aus den 3D Daten herauszuholen.

Das European Virtual Anthropology Network besteht aus 15 Partnern aus Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Österreich und Spanien. Das Netzwerk aus Forschungsinstitutionen, Museen und Firmen bildet junge Nachwuchswissenschaftler im Bereich der virtuellen Anthropologie aus und etabliert neue europäische infrastrukturelle Ressourcen wie ein digitales Datenarchiv und eine Open-Source Software für Analysen.

Das Projekt ist finanziell gefördert durch die EU FP6 Marie Curie Actions MRTN-CT-2005-019564.


Informationen: http://www.evan.at
 
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