Prammer: Familiäre Gewalt ist keine Privatangelegenheit
Wien (pk) - Ende 2006 hat der Europarat eine Kampagne gegen häusliche Gewalt gestartet. Alle
Mitgliedstaaten waren aufgefordert, der Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen verstärktes
Augenmerk zu widmen und sich etwa Maßnahmen für einen besseren Schutz der Opfer oder strengere gesetzlichere
Bestimmungen zu überlegen.
Auch die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat sich verstärkt dieses Themas angenommen und ein Netzwerk
nationaler ParlamentarierInnen initiiert. Den Schlusspunkt der zahlreichen Aktivitäten setzt nun eine internationale
Konferenz, die am 30.04. von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer im österreichischen Parlament eröffnet
wurde. ParlamentarierInnen aus mehr als 30 Ländern beraten gemeinsam mit VertreterInnen von NGOs über
die Auswirkungen der Kampagne, weitere notwendige Schritte, die Rolle der Abgeordneten und die wichtige Einbeziehung
von Männern im Kampf gegen häusliche Gewalt.
Nationalratspräsidentin Prammer wies in ihren Eröffnungsrede auf die Bedeutung des Themas hin und wandte
sich strikt dagegen, familiäre Gewalt als Privatangelegenheit zu betrachten. Frauenrechte seien ein unverzichtbarer
Teil der Menschenrechte, bekräftigte sie. Ziel der Europarats-Kampagne sei es nicht zuletzt gewesen, häusliche
Gewalt als Verletzung der Grundrechte zu brandmarken und eine öffentliche Debatte über dieses Thema zu
initiieren.
In Bezug auf die gesetzliche Ebene verwies Prammer auf die internationale Vorreiterrolle Österreichs und erinnerte
in diesem Zusammenhang an die Verabschiedung des Gewaltschutzgesetzes 1997, das eine Wegweisung gewalttätiger
Männer aus ihrer Wohnung ermöglicht. Damals wurde der Schutz des Opfers bewusst höher bewertet als
der Schutz des Eigentums, betonte die Präsidentin, und diese Prioritätensetzung habe – trotz mancher
skeptischer Stimmen – auch rechtlich gehalten. Gemäß den Plänen von Justizministerin Maria Berger
ist laut Prammer nunmehr daran gedacht, die Wegweisung zu verlängern und den Strafrahmen für permanente
Gewaltausübung zu erhöhen.
Besondere Bedeutung misst Prammer, wie sie ausführte, aber auch der Frage der wirtschaftlichen Unabhängigkeit
von Frauen bei. Frauen, die berufstätig sind, sei es leichter möglich, sich aus einer Gewaltbeziehung
zurückzuziehen, konstatierte sie.
Der Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, Lluis Maria de Puig, unterstrich, häusliche
Gewalt sei eine schwere Menschenrechtsverletzung. Mit seiner Bewusstseinskampagne gegen häusliche Gewalt habe
der Europarat seine Rolle als Hüter der Menschenrechte in Europa wahrgenommen. Triebfeder der Kampagne war
de Puig zufolge die Parlamentarische Versammlung, ParlamentarierInnen aus allen Ländern Europas seien in die
Kampagne eingebunden gewesen.
Steingrimur Sigfusson, Vorsitzender des Ausschusses für Chancengleichheit von Männern und Frauen der
Parlamentarischen Versammlung des Europarats, erklärte, eines der Ziele der Kampagne gegen häusliche
Gewalt sei es gewesen, das Schweigen über dieses Thema zu brechen. Der Europarat hat ihm zufolge sieben Schlüsselmaßnahmen
formuliert, die es in den Mitgliedstaaten umzusetzen gelte. Dazu gehören etwa die Aufnahme von häuslicher
Gewalt (inklusive Vergewaltigung) als Straftatbestand, die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl sicherer Zufluchtsorte
für Gewaltopfer, die Wegweisemöglichkeit von Gewalttätern durch einstweilige Verfügung, ein
effizienter Zugang zu Gerichten für die Opfer und ausreichende budgetäre Ressourcen für den Opferschutz.
"Hinter der Fassade" – Begleitende Ausstellung zur Konferenz
Begleitet wird die Parlamentarierkonferenz von einer Ausstellung, die sich unter dem Titel "Hinter der Fassade"
intensiv mit häuslicher Gewalt auseinander setzt und im vergangenen Jahr bereits an mehreren Orten gezeigt
wurde. Die Ausstellung informiert nicht nur über die vielen Gesichter der Gewalt in der Familie, sondern beleuchtet
auch Mittel und Wege, Gewalt in Beziehungen vorzubeugen und die Opfer zu schützen. Frauen harren oft lange
in Gewaltbeziehungen aus, es ist notwendig, die Gewaltspirale zu durchbrechen und klar aufzuzeigen, dass häusliche
Gewalt kein Kavaliersdelikt und keine Privatangelegenheit sind, lautet die klare Botschaft.
Gestaltet wurde die Ausstellung von der Medienpädagogin und Bildenden Künstlerin Ursula Kolar-Hofstätter
in Zusammenarbeit mit Mitarbeiterinnen verschiedener Interventionsstellen und Gewaltschutzzentren. Eingebettet
in eine vermeintlich heile Wohnwelt werden nicht nur zahlreiche Daten und Fakten zum Thema präsentiert. Es
sind vor allem die auf Video aufgezeichneten Interviews mit betroffenen Frauen und Kindern, die Gespräche
mit ÄrztInnen und die Kinderzeichnungen, die die Dimension und die Auswirkungen familiärer Gewalt deutlich
sichtbar machen. Auch die Gewalttäter selbst kommen zu Wort: Ihre Drohungen werden den einschlägigen
Bestimmungen des Strafgesetzbuchs – etwa schwere Körperverletzung, Kindesentziehung, beharrliche Verfolgung,
Hausfriedensbruch, geschlechtliche Nötigung – gegenüber gestellt.
Ausdrücklich macht die Ausstellung auch darauf aufmerksam, dass familiäre Gewalt in allen sozialen Schichten
passiert. Jede dritte bis fünfte Frau wird, so die Vermutung, im Laufe ihres Lebens mindestens einmal Opfer
männlicher Gewalt. Überdies wird auf die hohen Folgekosten von familiärer Gewalt für die Gesellschaft
hingewiesen.
Ein österreichischer Meilenstein im Kampf gegen familiäre Gewalt war die im Jahr 1997 erfolgte Verabschiedung
des Gewaltschutzgesetzes. Das Gesetz erlaubt es der Polizei, gewalttätige Männer aus der Wohnung zu weisen
und ihnen für 10 Tage die Rückkehr zu verbieten. Diese Frist kann durch Antrag bei Gericht weiter verlängert
werden. Begleitend dazu werden betroffene Frauen durch die in jedem Bundesland eingerichteten Interventionsstellen
betreut. Innenminister Günther Platter weist in einer Begleitbroschüre zur Ausstellung auf die gute Kooperation
zwischen der Exekutive und den Interventionsstellen hin und betont, dass das österreichische Gewaltschutzgesetz
mittlerweile internationales Vorbild ist.
Zuletzt hat in Österreich eine von Frauenministerin Doris Bures unterstützte Initiative für Aufregung
gesorgt, die unter dem Slogan "Verliebt. Verlobt. Verprügelt." für die FrauenHelpline warb.
Unter der kostenlosen Telefonnummer 0800/222 555 wird rund um die Uhr Hilfe für Frauen angeboten, die von
familiärer Gewalt betroffen sind. |