München (idw) - Eine unglaubliche Vielfalt an Antikörpern ermöglicht
uns, im täglichen Kampf mit Krankheitserregern zu bestehen. Bei Autoimmunerkrankungen attackieren Antikörper
jedoch irrtümlicherweise Zellen des eigenen Körpers - Nervenzellen im Fall der Multiplen Sklerose. Doch
woher stammen diese Antikörper? Wissenschaftler der Ludwig-Maximilians- Universität (LMU) München
und der Max-Planck-Institute für Neurobiologie und Biochemie haben ein neues Nachweisverfahren entwickelt,
mit dem Antikörper ihren Ursprungszellen zugeordnet werden können. Wie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift
"Nature Medicine" berichtet, kann die Methode auch bei anderen Autoimmun- und Entzündungskrankheiten
angewandt werden und bereitet den Weg zur Identifizierung der Ziele, die von den Antikörpern angegriffen werden.
Die Studie wurde im Rahmen des Sonderforschungsbereichs (SFB) 571 "Autoimmune reactions: from manifestations
and mechanisms to therapy" durchgeführt.
Unser Körper wird ständig von einem ganzen Heer von Krankheitserregern angegriffen. Je nach Art des Erregers
kann ein erfolgreicher Angriff schlimme Konsequenzen haben: Grippe, Aids und Malaria sind nur einige Beispiele,
die jährlich über sechs Millionen Menschen das Leben kosten. Dass wir jedoch nur ganz wenige dieser täglichen
Angriffe überhaupt wahrnehmen verdanken wir vor allem dem anpassungsfähigen Immunsystem. Weltweit gibt
es viele tausend Erreger, die zum Teil ihre äußere Form nahezu kontinuierlich verändern, um dem
Immunsystem zu entgehen. Dagegen wehrt sich der Körper mit mehreren Waffen: Neben relativ unspezifischen Abwehrmechanismen
bekämpfen auch erregerspezifische T- und B-Zellen die Eindringlinge. Letztere produzieren die ungeheure Menge
von mehreren Milliarden verschiedener Antikörper, von denen jeder eine andere Zielstruktur erkennt. Die Bindung
von Antikörper/Zielstruktur-Komplexen führt dazu, dass andere Teile des Immunsystems den so markierten
Krankheitserreger angreifen und vernichten.
Da der Körper nicht im Voraus weiß, mit welchen Erregern er künftig in Kontakt kommen wird, werden
die Antikörper-produzierenden Zellen zuerst nach dem Zufallsprinzip hergestellt. Die große Vielfalt
dieser sogenannten B-Zellen entsteht durch die Kombination verschiedener Gene und spontaner Veränderungen
im Erbgut. Erkennt eine B-Zelle einen Krankheitserreger, beginnt sie zu "lernen". Sie teilt sich sehr
schnell und verändert ihren Antikörper durch Mutationen so, dass er seine Zielstruktur noch besser erkennen
kann. Wie jedes komplexe System ist aber auch das Immunsystem nicht unfehlbar. Da B-Zellen nach dem Zufallsprinzip
entstehen, erkennen manche von ihnen auch körpereigene Strukturen. Normalerweise werden diese Zellen abgefangen,
bevor sie Schaden anrichten. Die Kontrolle versagt jedoch bei den sogenannten Autoimmunkrankheiten wie zum Beispiel
der Multiplen Sklerose - hier attackiert das Immunsystem irrtümlicherweise Zellen im Gehirn und Rückenmark.
Schon lange ist bekannt, dass die Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit (der Liquor) bei Patienten mit Multipler
Sklerose eine große Menge Antikörper enthält. Der Nachweis dieser Antikörper ist ein Kriterium
für die Diagnose der Krankheit. Doch woher kommen diese Antikörper? Werden sie von den relativ wenigen
B-Zellen im Liquor gebildet, oder passieren sie die Blut-Hirnschranke und stammen aus dem Blut oder lymphatischen
Organen wie Milz, Lymphknoten und Knochenmark, wo sich der Großteil der Antikörper-produzierenden B-Zellen
befindet? Obwohl diese Fragen bedeutend zum Verständnis der Multiplen Sklerose beitragen können, blieben
sie bislang unbeantwortet. Wissenschaftler der LMU und des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie, die bisher
vorwiegend die Rolle der T-Zellen bei der Pathogenese der Multiplen Sklerose untersucht haben, haben jetzt in Zusammenarbeit
mit ihren Münchner Kollegen ein neues Verfahren entwickelt, mit dem Antikörper und B-Zellen einander
zugeordnet werden können.
Hierbei machten sie sich die enorme Vielfalt der B-Zellen und ihrer Antikörper zu Nutze: Zum einen analysierten
sie den für die Antikörper zuständigen genetischen Code der B-Zellen, die sie aus dem Liquor isoliert
hatten. Mit diesen Daten konnten die Wissenschaftler am Computer errechnen, wie groß bzw. schwer bestimmte
Fragmente des von der B-Zelle gebildeten Antikörpers wären. Zum anderen reinigten sie die Antikörper
direkt aus dem Liquor und bestimmten ebenfalls die Gewichte ihrer Fragmente. Der Vergleich dieser beiden Datensätze
war eindeutig: die Antikörper im Liquor werden von den dort ebenfalls vorhandenen B-Zellen produziert. Mehr
noch - die hohe genetische Vielfalt bestimmter Bereiche des Erbguts zeigte, dass die vorhandenen B-Zellen ihre
Zielstruktur im Nervensystem bereits gefunden und kontaktiert hatten.
"Der nächste Schritt ist nun, die Fragmente der Antikörper zu ganzen Antikörpern zusammenzusetzen,
um so die attackierten Zielstrukturen im Nervensystem zu identifizieren", erklärt Dr. Klaus Dornmair,
der Leiter der Studie. Denn woran die Antikörper genau binden, ist in den meisten Fällen nach wie vor
unbekannt. Langfristig könnte die Klärung dieser Frage zum Beispiel ermöglichen, die schädlichsten
B-Zellen aus dem Liquor zu entfernen und so den Verlauf der Multiplen Sklerose abzuschwächen. "Besonders
spannend an unserem neuen Verfahren ist auch, dass es sich nicht auf den Einsatz bei der Multiplen Sklerose beschränkt",
berichtet Dornmair. Das relativ leichte und schnelle Verfahren sollte auch die Zuordnung von Antikörpern und
B-Zellen in anderen Entzündungs- und Autoimmunkrankheiten ermöglichen.
Publikation: "Matching of oligoclonal immunoglobulin transcriptomes and proteomes of cerebrospinal fluid
in multiple sclerosis", Birgit Obermeier, Reinhard Mentele, Joachim Malotka, Josef Kellermann, Tania Kümpfel,
Hartmut Wekerle, Friedrich Lottspeich, Reinhard Hohlfeld, Klaus Dornmair, Nature Medicine, 18. Mai 2008 |