13 österreichische Überlebende der Shoah erinnern sich
Wien (pk) - "Wenn meine Eltern überlebt hätten und meine Geschwister, dann hätten
wir gesagt: Das war eine schlimme Zeit, aber sie ist vorbei. So aber kann ich das nicht vergessen!" Der Mann,
der diese Worte sprach, hieß Oskar Schiller. Er wurde 1918 in Eisenstadt geboren, verlor seine Eltern und
Geschwister während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im Konzentrationslager und überlebte
die Verfolgung selbst nur knapp. Mittlerweile ist Oskar Schiller selbst nicht mehr am Leben. Aber wir kennen seine
Geschichte, weil sie gemeinsam mit den Erinnerungen von 50.000 anderen Holocaust-Überlebenden im Archiv der
von Stephen Spielberg gestifteten Shoah Foundation in Los Angeles aufbewahrt ist.
Da die Zahl der Menschen abnimmt, die als Zeitzeugen des Nationalsozialismus in den Schulen authentisch Auskunft
über die nationalsozialistische Vernichtungspolitik geben können, hat ein Expertenteam mit Pädagogen
und Historikern aus dem Fundus der Shoah Foundation unter dem Titel "Das Vermächtnis" eine DVD mit
Ausschnitten aus Interviews mit 13 ausgewählten Holocaust-Überlebenden hergestellt. Am Nachmittag des
13.05. wurde diese DVD auf Einladung von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und Bildungsministerin Claudia
Schmied im Parlament präsentiert. Kim Simon vertrat die Shoah Foundation, für das österreichische
Expertenteam sprachen Werner Dreier und Markus Barnay. Univ-Prof. Albert Lichtblau leitete ein Gespräch der
Zeitzeuginnen Helga Feldner-Busztin, Sophie Haber und Elisabeth Scheiderbauer mit den Wiener Gymnasiastinnen Camilla
Kaiser und Sahila Chandihok.
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer begrüßte ein zahlreich erschienenes Publikum, namentlich
die Vizepräsidentin des Bundesrates Susanne Neuwirth sowie Abgeordnete und Bundesräte, die Generalsekretärin
des Nationalfonds Hannah Lessing, Vertreter der Lagergemeinschaft Mauthausen, von Opferverbänden und nicht
zuletzt die anwesenden Zeitzeugen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
"Das Vermächtnis" würdigte die Präsidentin als ein wichtiges und interessantes Projekt,
weil es LehrerInnen ermöglichen werde, die Erfahrungen von Menschen, die den Holocaust überlebt haben,
an die SchülerInnen weiterzugeben. Die DVD zeige, dass es für viele Menschen nicht leicht gewesen sei,
aus ihrem Schweigen herauszutreten und über ihre Erlebnisse als Kinder und Jugendliche zu erzählen. Ihnen
sei zu danken, dass sie sich immer wieder zur Verfügung stellen, um jungen Menschen über den Schrecken
zu berichten, den sie erleben mussten. Das Projekt sei auch deshalb so wichtig, betonte Prammer, weil wir uns auf
eine Zeit vorzubereiten haben, wo wir im Zeitgeschichteunterricht und in der politischen Bildung kommender Generationen
nicht mehr direkt auf Zeitzeugen Bezug nehmen können.
Die Nationalratspräsidentin lobte das große Engagement der GeschichtelehrerInnen bei der Aufklärung
über die Verbrechen des Nationalsozialismus und begrüßte es, dass Österreich heute ein anderes
Bild seiner Vergangenheit habe als noch vor 20 Jahren. "Es war nicht so, das Österreich am 12. März
1938 überrollt worden ist, der Boden dafür war schon aufbereitet", sagte Prammer und machte auf
den großen Anteil aufmerksam, den Österreich an der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hatte.
"Wir haben daher Anlass, am Vertrauen der Menschen in die Demokratie zu arbeiten und es stark zu erhalten",
sagte die Nationalratspräsidentin und zeigte sich besorgt über Umfragen, die ein Abnehmen dieses Vertrauens
anzeigten. "Die Demokratie ist die einzige politische Form, in der Konflikte zwischen unterschiedlichen Interessen
und Meinungen friedlich ausgetragen und gelöst werden können", betonte Barbara Prammer. Zudem gelte
es, die Bewältigung der Vergangenheit nicht als abgeschlossen zu betrachten - rassistisches oder antisemitisches
Verhalten dürfen niemals hingenommen werden oder unwidersprochen bleiben.
Bildungsministerin Claudia Schmied begrüßte die DVD "Das Vermächtnis" als ein innovatives
Unterrichtsmittel, das es den ZeitgeschichtelehrerInnen erleichtern werde, aufmerksam und kritisch mit dem Erbe
umzugehen, das uns die Zeitzeugen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft mit ihren Erfahrungen und Erinnerungen
hinterlassen haben.
Kim Simon (Shoa Foundation) erinnerte an die Vision Steven Spielbergs, die Erfahrungen und Erinnerungen der Überlebenden
des Holocaust in Form von Interviews festzuhalten, für nachkommende Generationen zu dokumentieren und so einen
Beitrag zum Kampf gegen Vorurteile und Gewaltherrschaft zu leisten. Kim Simon dankte den tausenden Mitarbeitern,
die weltweit an der Suche nach Holocaust-Überlebenden und an der Herstellung der Interviews mitgewirkt haben
und dankte auch dem österreichischen Projektteam für die Herstellung ihrer DVD mit Material aus dem Archiv
des Institute for Visual History and Education.
Die Leiter des Projekts "Das Vermächtnis" Werner Dreier und Markus Barnay berichteten von ihrer
Arbeit und erklärten ihre Absicht, über die Lebensgeschichten und Erinnerungen der Zeitzeugen hinaus,
zusätzliche Informationen und Lehrmaterialen, nämlich Unterrichtsmodule zu insgesamt acht Themen zur
Verfügung zu stellen. Denn letztlich gehe es darum, aus dem Vermächtnis der Zeitzeugen Lehren aus der
Vergangenheit für die Zukunft zu ziehen.
Univ.-Prof. Albert Lichtblau stellte die anwesenden Zeitzeugen Ilse Aschner, Elisabeth Jäger, Kurt Rosenkranz,
Helga Feldner-Busztin, Sophie Haber und Elisabeth Scheiderbauer mit kurzen Lebensbeschreibungen vor.
Auf Fragen der Wiener Gymnasiastinnen Camilla Kaiser und Sahila Chandihok gaben Helga Feldner-Busztin, Sophie Haber
und Elisabeth Scheiderbauer Auskunft über ihre Erfahrungen in den Jahren 1938 bis 1945, berichteten von traumatischen
Erlebnissen, vom Verlust der Freunde, dem Hunger, der Angst vor der Verschleppung und Problemen, im Exil Beschäftigung
zu finden. Die Zeitzeuginnen erzählten auch von den Schwierigkeiten, die sie nach der Befreiung Österreichs
hatten, als es für sie darum ging, sich wieder in den normalen Alltag einzuleben. Es habe viele Jahre lang
gedauert, bis es ihnen möglich wurde, über die Erinnerungen aus ihrer Kindheit zu sprechen.
Die DVD "Das Vermächtnis"
Die DVD "Das Vermächtnis. Verfolgung, Vertreibung und Widerstand im Nationalsozialismus" stellt
13 österreichische Überlebende des Holocaust in Form von Kurzbiographien vor und gibt ihre historischen
Erfahrungen zu folgenden Themen wieder: Kindheit und Jugend vor 1938, Schule um 1938, "Anschluss" und
Novemberpogrom, "Anschluss" und Folgen, "Novemberpogrom" und Folgen, Flucht und Vertreibung
von Interviews, Fluchtvorbereitung, Kindertransport England, Shanghai, Lettland/Sowjetunion, Schweiz, Deportation,
Lager Massenmord, Auschwitz, Ravensbrück, Theresienstadt, Rückkehr nach 1945. |