Europainformation im Hohen Haus: Ringen um Grundrechte   

erstellt am
13. 05. 08

Experten zwischen Skepsis und Hoffnung
Wien (pk) - Die dritte Veranstaltung der parlamentarischen Diskussionsreihe "Der Vertrag von Lissabon - Fakten und Einschätzungen" ging am 09.05. im Hohen Haus über die Bühne. Die Dritte Präsidentin des Nationalrates Eva Glawischnig-Piesczek begrüßte die Anwesenden und ging auf die Genese der Veranstaltungsreihe ein. Man habe beschlossen, die Aufgabe des Parlaments, Information zum Vertrag von Lissabon zu bieten, ernst zu nehmen und widme sich in der nunmehrigen dritten Veranstaltung zum Thema dem Aspekt der Grundrechte.

Konkret gelte es der Frage nachzugehen, was die Charta der Grundrechte den Bürgerinnen und Bürgern bringe, wo etwa einklagbare Rechte bestünden, wie man Zugang zu den europäischen Gerichten finde und wie man die Charta konkret nutzen könne. Ihr selbst seien dabei Transparenz, Partizipation und soziale Grundrechte ein besonderes Anliegen.

Transparenz der Verwaltung und Partizipation: Nicht zu viel erwarten
Der Vizepräsident des Verwaltungsgerichtshofes Rudolf Thienel beleuchtete sodann den Aspekt "Transparenz der Verwaltung und Partizipation". Habe sich die EU in ihren Verträgen ursprünglich darauf beschränkt, sich auf die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit zu berufen, so habe vor allem die Judikatur im Laufe der Zeit entsprechende Maßstäbe mit dem Ziel gesetzt, die Gemeinschaftsorgane der Union entsprechend zu binden. Ergebnis dieser Bemühungen sei die Charta der Grundrechte, die derzeit allerdings noch nicht unmittelbar anwendbar sei und "die Eierschalen ihrer Genese immer noch am Haupte" trage. Nun solle sie Teil des Primärrechts werden, wobei sie allerdings die Mitgliedsstaaten nur insofern binde, als diese Gemeinschaftsrecht umzusetzen haben.

Thienel ging sodann auf die Artikel 41 und 42 des Vertrags ein, die ein Recht auf eine gute Verwaltung und ein Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Unionsorgane festschreiben. Der Artikel 11 regle zudem die Möglichkeit von Bürgerinitiativen. Thienel wies jedoch darauf hin, dass hier einige Beschränkungen zu orten seien, da diese Möglichkeit nur für Bereiche gelte, für welche direkt die Union zuständig ist, und es derzeit keine Sanktionsmöglichkeiten gebe, falls die Union untätig bleibe. Daher brauche es dringend entsprechende Ausführungsbestimmungen. Vieles, was der Vertrag enthalte, sei, so Thienel, zudem nicht neu, man dürfe sich daher auch hinsichtlich der angeführten Regelungen nicht allzu viel erwarten. Man könne es freilich auch positiv formulieren, schloss Thienel: "Das EU-Gemeinschaftsrecht ist bereits weiter, als man glauben mag."

Neue Politikfelder: Energie, Tourismus und Katastrophenschutz
Universitätsprofessor Bernhard Wegener von der Universität Erlangen-Nürnberg, der sich in seinem Vortrag mit den Themen Umwelt- und Gesundheitsschutz befasste, dehnte seine Betrachtungen auf den Vertrag von Lissabon aus, weil erst dadurch die Regelungen in der Charta der Grundrechte verständlich gemacht werden können. Wegener ging zunächst auf den Bereich Umweltschutz ein, der – außer einer Zielbestimmung - vergleichsweise wenig bringe. Wichtiger seien die primärrechtlichen Änderungen in den EU-Verträgen, weil auf diese Weise neue Politikfelder für die Gemeinschaft hinzugekommen sind, und zwar Energie, Tourismus und Katastrophenschutz. Besonders das Kapitel Energie würde der Union Möglichkeiten bieten, ihre Tätigkeit auszuweiten, erläuterte er. Außerdem gebe es eine wichtige Ergänzung im AEUV, nämlich die Förderung von Maßnahmen insbesondere zur Bekämpfung des Klimawandels. Was den Gesundheitsbereich betrifft, der in zwei Artikeln der Charta festgeschrieben wurde, so seien vor allem die Formulierungen im Artikel 3 als verunglückt zu bezeichnen. Damit werden die Juristen mehr Arbeit als Freude haben, urteilte Wegener abschließend.

Starker Trend in Richtung Gleichbehandlung der Partnerschaftsmodelle

Universitätsprofessor Bernd-Christian Funk (Uni Wien) befasste sich näher mit dem Artikel 21 der Grundrechtscharta und wies darauf hin, dass im Absatz 1 ein allgemeines Diskriminierungsverbot statuiert und u.a. "insbesondere" Diskriminierungen wegen der sexuellen Ausrichtung untersagt werden. Dabei handle es sich um ein "astreines Grundrecht", auf das alle Menschen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit Anspruch haben. Er verwies sodann auf die aktuelle Rechtssache Tadao Maruko, in der der EuGH im Zusammenhang mit der Hinterbliebenenversorgung klar gestellt habe, dass gleich gelagerte Situationen in lebenspartnerschaftlichen homosexuellen Lebensverhältnissen gleich wie eheliche Rechtsverhältnisse zu behandeln sind. In den Schlussanträgen des Generalanwaltes sei in diesem Zusammenhang auf Artikel 21 Grundrechtscharta Bezug genommen worden.

Es stelle sich nun die Frage, ob es eine Verpflichtung zur Schaffung von lebenspartnerschaftlichen Rechtseinrichtungen gebe, erklärte Funk. Er sehe zwar keine generelle Gleichbehandlungspflicht, aber einen starken Trend in diese Richtung. Je mehr Mitgliedsstaaten solche Partnerschaftsmodelle realisieren, desto höher werde der Druck auch auf die anderen Länder werden, argumentierte Funk. Was den "Mehrwert" der Charta anbelangt, so sehe er ihn in einer Veränderung des Vorrats an juristischen Argumentationsmustern und deren Einwirkung auf die Entwicklung rechtlicher Prozesse.

Den Wert der sozialen Grundrechte wird die Rechtssprechung zeigen
Michael Holoubek von der Wirtschaftsuniversität Wien befasste sich in seinem Statement auf die in der Charta formulierten sozialen Grundrechte. Es sei sehr viel da, so sein Resümee, aber es könne auch sehr viel eingeschränkt werden. Was die sozialen Grundrechte wirklich wert sind, werde die Rechtsprechung der Gerichte zeigen.

Holoubek sah jedenfalls "das Glas halb voll", wie er sich ausdrückte. Die Charta sei schon deshalb ein wesentlicher Schritt nach vorne, weil in ihr die Grundrechte nicht "kurz und unklar" ausformuliert seien, sondern wesentlich genauer und technischer.

Das "Recht auf Arbeit" heiße selbstverständlich nicht, dass jeder Recht auf einen konkreten Arbeitsplatz hat, betonte Holoubek, sondern beziehe sich auf das Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Unternehmen sowie auf das Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen. Weiters werde darunter das Recht auf Zugang zu einem Arbeitsvermittlungsdienst und der Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung normiert. Das "Recht auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen" habe einen engen Konnex mit den Bestimmungen der Charta zur Menschenwürde. Denn darunter sei das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen, auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub zu verstehen. Auch das Verbot von Kinderarbeit und der Schutz der Jugendlichen sowie ein Anspruch auf bezahlten Mutterschafts-, bzw. Elternurlaub falle darunter. Unter dem "Recht auf soziale Sicherheit" halte die Charta das Recht auf Zugang zu den Leistungen der sozialen Sicherheit und zu den sozialen Diensten, den Anspruch auf Leistungen der sozialen Sicherheit und die Anerkennung und Achtung des Rechts auf soziale Unterstützung für Wohnung fest. Schließlich bedeute "das Recht auf infrastrukturelle Grundversorgung" die Anerkennung und Achtung des Zugangs zu Dienstleistungen von allgemeinen wirtschaftlichen Interessen, zur so genannten Daseinsvorsorge.

Holoubek machte aber darauf aufmerksam, dass diese Grundrechte in zweifacher Hinsicht eingeschränkt werden. Einerseits liege ein Ausgestaltungsvorbehalt der einzelnen EU-Mitgliedstaaten vor und andererseits gebe es den allgemeinen Beschränkungsvorbehalt des Artikel 52.
 
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