Würzburger Forscher beobachten kleinste Strukturen der Synapse im lebenden Organismus
Würzburg (idw) - Wissenschaftler vom Rudolf-Virchow-Zentrum der Universität Würzburg
haben kleinste Strukturen von Nervenzellen der Fruchtfliege, die für Lernen und Gedächtnis zuständig
sind, bei der Entwicklung unter dem Mikroskop beobachtet. Sie konnten zeigen, dass der Umbau einzelner Proteine
ein grundlegender Schritt bei Lernvorgängen und der Gedächtnisbildung ist. Gemeinsam mit Kollegen der
Universität Göttingen und Leipzig veröffentlichen sie ihre Ergebnisse heute online in der renommierten
Fachzeitschrift Nature Neuroscience. Sie liefern damit einen wichtigen Baustein für das Verständnis dieser
Prozesse.
Erst seit einigen Jahren ist bekannt, dass unser Gehirn beim Lernen stark verändert wird. Ein ganzes Netzwerk
an Nervenzellen ist daran beteiligt, das stark dynamisch ist. Nervenzellen werden aus- und umgebaut, neue Verbindungen
geknüpft oder bereits vorhandene effizienter gemacht. Dabei wird jede einzelne Nervenzelle, die aus vielen
Strukturen besteht, umgestaltet. Diese Prozesse sind bisher nur wenig verstanden, unter anderem deswegen, weil
sie mit bisherigen Mikroskoptechniken im lebenden Organismus gar nicht sichtbar waren. Wissenschaftler um Prof.
Dr. Manfred Heckmann und Prof. Dr. Stephan Sigrist konnten jetzt direkt im lebenden Organismus beobachten, wie
einzelne Bestandteile der Synapsen, der Kontaktstellen zwischen Nervenzellen, verändert werden.
Die Wissenschaftler untersuchten dazu Kontaktstellen bei Larven der Fruchtfliege. An diesen Kontaktstellen werden
Signale von einer Nervenzelle auf die andere weitergeleitet. Dies geschieht dadurch, dass Proteine in der nachgeschalteten
Zelle von der vorgeschalteten aktiviert werden und diese die Nervenzelle dann erregen. In der nachgeschalteten
Zelle markierten die Forscher ganz bestimmte Proteine, die bei Nervenzellen für das Lernen und die Gedächtnisbildung
zuständig sind: Glutamat-Rezeptoren. Untersuchungen im Reagenzglas deuteten bereits darauf hin, dass Glutamat-Rezeptoren
beim Lernen vermehrt gebildet werden und auch kleinste Veränderungen im Aufbau der Rezeptoren bei dem Vorgang
wichtig sind. Das wollten die Forscher nun im lebenden Organismus beobachten.
Veränderungen im Aufbau der Rezeptoren konnten die Forscher im Fluoreszenzmikroskop durch verschiedenfarbige
Markierungen erkennen. Der Rezeptor besitzt verschiedene Bausteine, die er individuell verändern kann. Je
nach Baustein ändert sich die Intensität, mit der ein Signal weitergeleitet wird. Die Forscher verfolgten
die Entwicklung der Kontaktstellen über einen Zeitraum von 24 Stunden. Währenddessen konnten sie deutliche
Veränderungen im Aufbau der Glutamat-Rezeptoren sehen. Zu Beginn der Entwicklung wird ein Subtyp in den Glutamat-Rezeptor
eingebaut, der Signale besonders effektiv weiterleitet, am Ende ihrer Entwicklung wird er durch einen anderen ausgetauscht,
der Signale weniger effektiv leitet. Dieser Prozess wird stark reguliert.
"Das macht Sinn. Zu Beginn der Entwicklung der Nervenzelle müssen wenige Rezeptoren jeweils sehr effektiv
arbeiten. Mit der Zeit bilden sich an den Kontaktstellen immer mehr dieser Rezeptoren, die dann in Summe ein gleiches
Signal mit weniger Intensität erreichen können. Ist das ankommende Signal groß genug, so wird nur
noch der langsame Typ eingebaut. Das wird von der Zelle selbst reguliert," so Stephan Sigrist.
Die Ergebnisse sind auf den Menschen übertragbar, da wir ähnliche Rezeptoren besitzen und liefern einen
wichtigen Baustein nicht nur zum Verständnis von Lernen und Gedächtnisprozessen. Auch zu biomedizinischen
Fragestellungen: Wie Signale durch Glutamat- Rezeptoren weitergeleitet werden scheint bei Epilepsie, Schizophrenie
und Alzheimer eine wichtige Rolle zu spielen.
"Activity-dependent site-specific changes of glutamate receptor composition in vivo" A.Schmid, S.
Hallermann, R.J. Kittel, O. Khorramshahi, A. Frölich, C. Quentin, T. Rasse, S. Mertel, M. Heckmann, S.J. Sigrist,
2008, Nature Neuroscience. Published online 11 May 2008; | doi:10.1038/nn.2122. |