Bessere Epilepsie-Therapie dank Prävention
München (idw) - Epileptische Anfälle werden durch unkontrollierte Entladungen bestimmter
Nervenzellen im Gehirn ausgelöst. Krampfunterdrückende Medikamente können dem vorbeugen - wenn die
Patienten auf die Behandlung ansprechen. "Bis zu 40 Prozent der Epilepsiepatienten sind aber therapieresistent",
berichtet Professor Heidrun Potschka von der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität
(LMU) München. Unter ihrer Leitung konnte ein internationales Forscherteam nun eine mögliche Ursache
dieser Resistenz auf molekularer Ebene aufklären. Wie in der aktuellen Ausgabe Fachzeitschrift Molecular Pharmacology
berichtet, setzen epileptische Anfälle einen Botenstoff frei, der letztlich die Produktion des Moleküls
P-Glycoprotein initiiert. "Dieser bereits bekannte Arzneimitteltransporter verhindert wohl die Aufnahme der
Medikamente in das Gehirn und damit auch deren Wirkung", sagt Potschka. "Unsere Ergebnisse könnten
helfen, eine präventive Strategie für Epilepsiepatienten zu entwickeln, um die Therapie effektiver zu
machen. Möglicherweise profitieren davon auch Patienten mit Schlaganfall, Infektionen wie HIV und anderen
Erkrankungen des Zentralnervensystems. Es gibt nämlich Hinweise, dass P-Glykoprotein auch in diesen Fällen
Resistenz verursachen kann."
Therapieresistente Bakterien machen derzeit viel von sich reden. Nicht immer aber sind es nur die Krankheitserreger,
die Medikamente wirkungslos machen. Bei vielen Epilepsiepatienten etwa leitet der Körper selbst die unerwünschte
Reaktion ein. "Dieses Problem hat eine erhebliche Relevanz", meint Potschka. "Es leiden ein bis
zwei Prozent der Bevölkerung an Epilepsie." Bis zu fünf Prozent erleiden wenigstens eine vorübergehende
epileptische Episode. Von einer Epilepsie spricht man aber erst, wenn wiederholt Anfälle aufgetreten sind.
Dennoch ist die Epilepsie die häufigste chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems. In Deutschland
alleine sind rund eine halbe Million Menschen betroffen.
Charakteristisch für das Leiden sind sekunden- oder minutenlange Krampfanfälle, die im schlimmsten Fall
den gesamten Körper betreffen und zur Bewusstlosigkeit führen. Möglich sind auch unkontrollierte
Zuckungen einzelner Muskelpartien, Halluzinationen oder eine so genannte Aura, also ein unbestimmtes negatives
Gefühl, das von Missempfindungen begleitet sein kann. Ursache dieser und anderer Symptome der Epilepsie ist
eine plötzliche Entladung von Neuronenverbänden - gewissermaßen ein Kurzschluss im Gehirn. Epilepsie
als Erkrankung kann einerseits vererbt werden und kann andererseits als Folge einer Gehirnschädigung auftreten.
So können zum Beispiel ein Schädelhirntrauma, ein Schlaganfall oder Tumoren Auslöser der Erkrankung
sein.
In der Regel werden Medikamente in der Therapie eingesetzt. Die so genannten Antikonvulsiva sollen Krampfanfällen
vorbeugen. Doch erreichen sie dieses Ziel nicht immer - dank der Blut-Hirn-Schranke. Diese physiologische Barriere
verhindert den Eintritt von Fremdstoffen in das Gehirn. "Wir konnten zeigen, dass dieser Schutzmechanismus
während eines epileptischen Anfalls noch verstärkt wird", berichtet Potschka. "Dabei wird der
Neurotransmitter Glutamat in hohen Konzentrationen freigesetzt, was eine Kaskade an Reaktionen auslöst, die
auch bei Entzündungen eine Rolle spielt. In einem letzten Schritt wird dann der Arzneimitteltransporter P-Glykoprotein
produziert, der den Übertritt der Therapeutika in das Gehirngewebe verhindert. Damit konnten wir einen wesentlichen
Teil der Kaskade aufklären, die im epileptischen Gehirn Pharmakoresistenz vermitteln kann."
Die Ergebnisse könnten nun ein erster Schritt sein hin zu einer präventiven Strategie, um Resistenzen
dieser Art zu verhindern. So gelang es bereits, durch die Hemmung des Enzyms Cyclooxygenase die Induktion von P-Glykoprotein
durch epileptische Anfälle zu verhindern. Inhibitoren des Enzyms gibt es bereits, nicht zuletzt auch frei
erhältliche Enzündungshemmer wie die Acetylsalicylsäure - besser bekannt als Aspirin - gehören
dazu. Möglicherweise kann eine Präventionsstrategie damit sogar kurzfristig umgesetzt werden, wobei mögliche
Nebenwirkungen zu berücksichtigen sind und zu klären ist, wie gut Epilepsiepatienten diese Medikamente
vertragen.
"Das ist ein wichtiges Einsatzgebiet, aber vielleicht nicht das einzige", meint Potschka. "Denn
auch bei anderen Erkrankungen des Zentralnervensystems, etwa Schlaganfall, Schädelhirntrauma, Gehirntumoren
und auch Infektionen wie HIV kommt es zu einer erhöhten Produktion von P-Glykoprotein und zu Pharmakoresistenz.
Vermutlich laufen in diesen Fällen dieselben Mechanismen ab. Wir wollen daher zunächst klären, welche
Moleküle genau an der Kaskade beteiligt sind, die zur überhöhten Produktion von P-Glykoprotein im
epileptischen Gehirn führt. Vielleicht können wir dann weitere Zielstrukturen für eine Präventionsstrategie
identifizieren. Langfristig arbeiten wir an der Möglichkeit, Patienten zu identifizieren, die von derartigen
Strategien dann auch tatsächlich profitieren - also letztlich an einer individualisierten Anwendung der neuen
Behandlungsoptionen." |