Schweizerisches Zentrum für radiopharmazeutische Wissenschaft: Erste klinische Studie soll
Mitte Juni beginnen
Zürich (idw) - Zellen, die darauf programmiert sind, sich rasch zu vermehren, haben einen hohen
Bedarf an Vitamin B12. Dies trifft insbesondere auf Krebszellen zu. Krebsforschern ist dies wohl bekannt, und so
hat es in der Vergangenheit schon mehrere Ansätze gegeben, sich diesen Umstand zunutze zu machen. Die grundlegende
Idee ist, Vitamin B12 radioaktiv zu markieren. In die menschliche Blutbahn gebracht, wird es von körpereigenen
Transportersystemen zum Tumor befördert, dringt dort ein und verrät somit - über seine diagnostische
Strahlung - den Medizinern die Existenz und die Lage des Tumors. Bisher scheiterten diese Versuche jedoch stets
an der komplexen Gesamtsituation. So wird das B12, die Mediziner verwenden den Fachbegriff "Cobalamin",
von den Transportersystemen nicht nur zu den Tumorzellen geschleust, sondern auch zu gesunden Zellen, die das Vitamin
natürlich ebenfalls benötigen.
Ein Beispiel für das Scheitern eines im Prinzip klugen Ansatzes ist die Studie der Mayo Klinik in Rochester,
USA aus dem Jahr 2000. Die Verbindungsneigung von Vitamin B12 zu seinem Haupttransportersystem "Transcobalamin
II", einem Protein, wurde von den Forschern genutzt, um in einer grösseren Patientenstudie mittels radioaktivem
Vitamin B12 primäre Tumoren und Metastasen abzubilden. Leider war aber auch in vielen normalen Organen eine
hohe Anreicherung der Radioaktivität zu erkennen, sodass die Studie nicht weitergeführt wurde.
Die Forscher am Zentrum für radiopharmazeutische Wissenschaft, einer Einrichtung, die gemeinsam vom Paul Scherrer
Institut in Villigen, der ETH Zürich und dem Universitätsspital Zürich betrieben wird, haben sich
für einen anderen Ansatz entschieden. Dabei machten sie sich das Wissen zunutze, dass Cobalamin neben seinem
Haupttransportersystem Transcobalamin II noch einen weiteren "Chauffeur" durch die Blutbahn benutzt,
das Protein Transcobalamin I. So lehrt denn auch die Fachliteratur, dass Transcobalamin II hauptsächlich dem
Transport von Vitamin B12 zu den Zellen (und damit zu allen möglichen Organen) dient, während Transcobalamin
I hauptsächlich dem Transport von "überschüssigem" Vitamin B12 zur Leber dient.
In Versuchen fanden die Forscher um Robert Waibel ebenfalls heraus, dass bestimmte Tumoren solch einen aggressiven
Hunger nach Cobalamin zeigen, dass sie sogar in der Lage sind, Vitamin B12 über das Transportprotein Transcobalamin
I in ihre Zellen aufzunehmen und nicht auf ein vorbeifahrendes Transcobalamin II warten müssen. Die Wissenschaftler
haben daher in einem ersten Schritt das Vitamin B12 radioaktiv markiert und in einem zweiten Schritt so manipuliert,
dass es zwar noch vollwertig die Eigenschaften des Vitamins hat, aber andererseits seine molekulare Struktur so
verändert ist, dass es nur noch von Transcobalamin I transportiert werden kann, jedoch nicht mehr von Transcobalamin
II. In anschliessend durchgeführten Tierversuchen zeigte sich, dass tatsächlich einerseits die Aufnahme
im Normalgewebe drastisch reduziert wurde, aber andererseits die Anreicherung im Tumorgewebe hoch genug war, um
den Tumor in bildgebenden Verfahren sichtbar zu machen.
In einem nächsten Schritt möchten die Forscher im Rahmen einer klinischen Studie am Universitätsspital
Zürich klären, ob sich die bis anhin in Tierexperimenten gezeigten Ergebnisse auch auf Menschen übertragen
lassen. Sollten die Bemühungen auch hier von Erfolg beschieden sein, könnte das modifizierte B12 nicht
nur zum Aufspüren von bestimmten Tumoren benützt werden, sondern auch zu deren gezielter Zerstörung.
Bemerkenswert an dieser vorläufigen Erfolgsgeschichte sind nicht nur die Ergebnisse, sondern auch der konsequent
interdisziplinäre Ansatz der Forscher sowie die Zusammenarbeit von Grundlagenforschung, Industrie und Spital:
Am Institut für Anorganische Chemie der Universität Zürich wurde die gezielte Veränderung am
Vitamin B12-Molekül synthetisiert. Die Forscher des Paul Scherrer Instituts markierten die veränderten
Moleküle mit dem Radionuklid 99mTc und führten dann langwierige und eingehende Tests zur Bestimmung der
pharmakologischen Eigenschaften des Moleküls durch. Dabei kamen auch die in der Schweiz einzigartigen Grossforschungseinrichtungen
des PSI, vom Hochenergie-Zyklotron bis zu den abgeschirmten Laborarbeitsplätzen (sogenannten Hotzellen) zum
Einsatz. Der industrielle Partner, die Solidago AG aus Bern, lieferte das hochgereinigte B12-Ausgangsmolekül,
die biologischen Testsysteme und finanzielle Unterstützung. Und aufgrund der Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital
Zürich (Onkologie und Pathologie) konnte der mögliche Mechanismus der gezielten Tumoraufnahme gefunden
werden. Schliesslich wurde in aufwendiger Arbeit am Paul Scherrer Institut und am Universitätsspital Zürich
(Onkologie, Nuklearmedizin) die für klinische Versuche nötige pharmazeutische Präparation hergestellt,
mit allen Dokumenten, die zur Bewilligung einer ersten Studie am Menschen durch die Behörden (SwissMedic und
BAG) erforderlich sind.
Das Paul Scherrer Institut entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der
nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Festkörperforschung
und Materialwissenschaften, Elementarteilchenphysik, Biologie und Medizin, Energie- und Umweltforschung. Mit 1300
Mitarbeitenden und einem Jahresbudget von rund 260 Mio. CHF ist es das grösste Forschungsinstitut der Schweiz. |