Heißt "Profil schärfen" zurück an den Start?   

erstellt am
16. 06. 08

Wien (öj) - Schon unzählige Male haben wir an dieser Stelle auf Regierungs- bzw. Koalitionskrisen hingewiesen, ebenso unzählig sind die Szenarien, die sich durch Zuspitzungen von Debatten innerhalb der SPÖ-ÖVP-Koalition angeboten hatten, meist mit gipfelnd in eine bevorstehende Neuwahl. Die Doppelmühle, in der sich aber Bundeskanzler Alfred Gusenbauer nun wiederfindet, könnte fast automatisch zu einem Ende der Koalition führen. Gusenbauer und Bundesgeschäftsführer Werner Faymann haben nämlich vom SP-Präsidium den Auftrag, die SPÖ müsse ihr soziales Profil stärken.

Zurück an den Start? Zurück an den Beginn der Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP? Allein aus der Tatsache heraus, daß weder die SPÖ noch die ÖVP die Nationalratswahl vom Oktober 2006 gewonnen haben und daher beide ihre Wahlversprechen nicht umsetzen konnten, ist ein Großteil des Unmutes erwachsen, der Gusenbauer vor allem aus der SP-Basis entgegenschlägt. Kaum jemand denkt heute daran, daß alle Wahlversprechen (nämlich aller Parteien) gemacht wurden, um mit konkreten Forderungen die Stimmen möglichst vieler Wähler und damit Wahl zu gewinnen. Nur: unter dieser Voraussetzung gemachte Versprechen, so sollte doch wohl jedem klar sein, sind in einer zusammengezwungenen Koalition mit gerade dem härtesten Konkurrenten nur nach Maßgabe dessen umsetzbar, was dieser der andere zugestehen kann oder will. Um nämlich seine eigenen Versprechen seinen eigenen Wählern gegenüber möglichst wenig zu brechen, hütet sich jeder vor zu großen Zugeständnissen.

Alfred Gusenbauer wird vor allem zum Vorwurf gemacht, er könne die SPÖ-Wahlversprechen nicht einlösen. Das hat dazu geführt, daß viele bereits heute mit einer Ablöse als Bundeskanzler gerechnet hatten, andere wiederum sehen diesen Zeitpunkt erst im Herbst. Die ÖVP hält sich noch bedeckt, man wolle sich die neue Situation erst anschauen. Eines hat aber Vizekanzler Molterer schon vorausgeschickt: ein Wechsel an der Regierungsspitze, sollte sich Gusenbauer im Herbst wirklich zurückziehen müssen, würde eine Neubewertung der Koalitionsarbeit erforden.

Interessant ist auch, daß Wiens Bürgermeister Michael Häupl - er hat eine sehr gewichtige Stimme innerhalb der SPÖ - sich vor Kurzem erst massiv gegen eine Trennung von Regierungs- und Pareitchef ausgesprochen hat, offenbar im Präsidium überstimmt wurde.

In den kommenden Wochen wird also zu beobachten sein, ob es Alfred Gusenbauer und Werner Faymann gelingen wird, das Profil der SPÖ zu schärfen und der ÖVP (größere) Zugeständnisse zu entlocken, für die diese bisher - eben der eigenen Wähler wegen - keinesfalls machen wollte. (mm)
 
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