Wien (öj) - Schon unzählige Male haben wir an dieser Stelle auf Regierungs- bzw. Koalitionskrisen
hingewiesen, ebenso unzählig sind die Szenarien, die sich durch Zuspitzungen von Debatten innerhalb der SPÖ-ÖVP-Koalition
angeboten hatten, meist mit gipfelnd in eine bevorstehende Neuwahl. Die Doppelmühle, in der sich aber Bundeskanzler
Alfred Gusenbauer nun wiederfindet, könnte fast automatisch zu einem Ende der Koalition führen. Gusenbauer
und Bundesgeschäftsführer Werner Faymann haben nämlich vom SP-Präsidium den Auftrag, die SPÖ
müsse ihr soziales Profil stärken.
Zurück an den Start? Zurück an den Beginn der Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP? Allein aus der
Tatsache heraus, daß weder die SPÖ noch die ÖVP die Nationalratswahl vom Oktober 2006 gewonnen
haben und daher beide ihre Wahlversprechen nicht umsetzen konnten, ist ein Großteil des Unmutes erwachsen,
der Gusenbauer vor allem aus der SP-Basis entgegenschlägt. Kaum jemand denkt heute daran, daß alle Wahlversprechen
(nämlich aller Parteien) gemacht wurden, um mit konkreten Forderungen die Stimmen möglichst vieler Wähler
und damit Wahl zu gewinnen. Nur: unter dieser Voraussetzung gemachte Versprechen, so sollte doch wohl jedem klar
sein, sind in einer zusammengezwungenen Koalition mit gerade dem härtesten Konkurrenten nur nach Maßgabe
dessen umsetzbar, was dieser der andere zugestehen kann oder will. Um nämlich seine eigenen Versprechen seinen
eigenen Wählern gegenüber möglichst wenig zu brechen, hütet sich jeder vor zu großen
Zugeständnissen.
Alfred Gusenbauer wird vor allem zum Vorwurf gemacht, er könne die SPÖ-Wahlversprechen nicht einlösen.
Das hat dazu geführt, daß viele bereits heute mit einer Ablöse als Bundeskanzler gerechnet hatten,
andere wiederum sehen diesen Zeitpunkt erst im Herbst. Die ÖVP hält sich noch bedeckt, man wolle sich
die neue Situation erst anschauen. Eines hat aber Vizekanzler Molterer schon vorausgeschickt: ein Wechsel an der
Regierungsspitze, sollte sich Gusenbauer im Herbst wirklich zurückziehen müssen, würde eine Neubewertung
der Koalitionsarbeit erforden.
Interessant ist auch, daß Wiens Bürgermeister Michael Häupl - er hat eine sehr gewichtige Stimme
innerhalb der SPÖ - sich vor Kurzem erst massiv gegen eine Trennung von Regierungs- und Pareitchef
ausgesprochen hat, offenbar im Präsidium überstimmt wurde.
In den kommenden Wochen wird also zu beobachten sein, ob es Alfred Gusenbauer und Werner Faymann gelingen wird,
das Profil der SPÖ zu schärfen und der ÖVP (größere) Zugeständnisse zu entlocken,
für die diese bisher - eben der eigenen Wähler wegen - keinesfalls machen wollte. (mm) |