WissenschafterInnen der TU Wien eröffnen ein neues Forschungsfeld, das die Materialbearbeitung
mit langsamen, hochgeladenen Ionen im Nanometerbereich ermöglicht
Wien (tu) - Ionenstrahlen sind heute aus Medizin, Technik und Grundlagenforschung nicht mehr wegzudenken.
Mit den Strahlen dieser elektrisch positiv geladenen Teilchen lassen sich Festkörperoberflächen reinigen,
analysieren und bearbeiten, aber auch Masken für immer kleinere Computerchips herstellen und Tumore behandeln.
Im Allgemeinen werden dafür positiv geladene Ionen verwendet. Deren kinetische Energie (Bewegungsenergie)
bestimmt allerdings sowohl die Intensität der Wechselwirkung mit den Oberflächenatomen, als auch die
Eindringtiefe der Ionen.
"Durch Verwendung von langsamen, hochgeladenen Ionen lassen sich diese beiden Faktoren erstmals entkoppeln",
erläutert Friedrich Aumayr, Professor am Institut für Allgemeine Physik der Technischen Universität
Wien. Im Rahmen eines von der EU und dem österreichischen FWF geförderten Projektes gelang es Aumayr
und seinem Team zu zeigen, dass die in den hochgeladenen Ionen gespeicherte potentielle Energie dazu verwendet
werden kann, Nanostrukturen auf Isolatoroberflächen zu erzeugen. Diese Untersuchungen sind Gegenstand einer
jüngst in der Fachzeitschrift Physical Review Letters (PRL 100, 237601, 2008) erschienenen Arbeit.
Hochgeladene Ionen entstehen nur bei sehr hohen Temperaturen (Millionen Grad Celsius), wie sie etwa im Inneren
der Sonne oder in anderen Sternen herrschen. Unter solch extremen Bedingungen verlieren Atome durch Stöße
die meisten ihrer Hüllen-Elektronen und werden dadurch vielfach positiv geladene Ionen. In speziellen Ionenfallen
stellen die Wiener ForscherInnen die hochgeladenen Ionen für ihre Experimente her. Am Institut für Allgemeine
Physik wird dazu eine Mikrowellen-Ionenquelle verwendet, die im Rahmen eines "Innovativen Projektes"
der TU Wien von der Forschungsgruppe selbst gebaut wurde. Die elektrisch geladenen Teilchen (negative Elektronen,
positive Ionen) werden durch ein starkes Magnetfeld eingeschlossen. Um noch höher geladene Ionen zu erhalten,
führte man einen Teil der Experimente an ausländischen Forschungseinrichtungen, wie dem Max Planck Institut
für Kernphysik in Heidelberg und dem Forschungszentrum Dresden durch. Bei den dort eingesetzten Elektronenstrahl-Ionenfallen
(EBIT) ionisiert ein durch starke Magnetfelder scharf fokussierter Elektronenstrahl die Atome im Inneren der EBIT
bis zum gewünschten Ladungszustand, während gleichzeitig elektrische Felder die Ionen gefangen halten.
Die zur Erzeugung der hochgeladenen Ionen notwendige hohe Energie bleibt als "potentielle Energie" in
den Ionen gespeichert und wird erst beim Auftreffen der Ionen auf eine Festkörperoberfläche freigesetzt.
Die Arbeit der TU-PhysikerInnen hat nun gezeigt, dass diese potentielle Energie in einem nur wenige Nanometer großen
Gebiet nahe der Oberfläche deponiert wird. Dies geschieht praktisch unabhängig von der kinetischen Energie
der Ionen. So kommt es zu den gewünschten Strukturveränderungen in den obersten Atomlagen die für
bestimmte Anwendungen benötigt werden. Gleichzeitig vermeidet man unerwünschte Strahlenschäden im
Inneren des Festkörpers.
"Bei der Aufklärung der beobachteten Strukturveränderungen wurden wir von den Kollegen des Instituts
für Theoretische Physik der TU Wien (Joachim Burgdörfer, Christoph Lemell) unterstützt", erklärt
Friedrich Aumayr. In Simulationsrechnungen konnten die Theoretiker zeigen, dass der Eintrag an potentieller Energie
zu einem Aufschmelzen des Festkörpers und einem Phasenübergang von fest auf flüssig führt.
"Diese Fähigkeit der hochgeladenen Ionen, Phasenübergänge im Nanometerbereich zu bewirken,
lässt viel Raum für Phantasie" ist Friedrich Aumayr überzeugt. "Neben fest-flüssig
sind auch Übergänge zwischen kristallinen und amorphen Phasen oder nicht-magnetisch und magnetischen
Phasen denkbar und natürlich für potentielle Anwendungen in der Halbleiter- und Nanotechnologie besonders
interessant". Zurzeit wird aber noch fleißig an den Grundlagen der Wechselwirkung hochgeladener Ionen
mit Oberflächen geforscht. So haben die Experimentalphysiker bereits eine Reihe weiterer Materialien (z.B.:
Alkalihalogenide, Oxide) gefunden, die sich mit langsamen hochgeladenen Ionen bearbeiten lassen. Neben Nano-Hügeln
kommen dabei auch andere interessante Formen wie Eintiefungen, Krater und vulkanähnliche Hügel nach dem
Ionenbeschuss zum Vorschein. |