Wie geht es nach dem negativen Votum der Iren in Europa weiter?
Wien (pk) - Der EU-Hauptausschuss am 17.06. vor dem Europäischen Rat am 19. und 20. Juni stand
ganz im Zeichen des negativen Votums der Iren zum Vertrag von Lissabon. Mit Ausnahme der Freiheitlichen verliehen
Abgeordnete der anderen vier Fraktionen ihrem Bedauern über dieses Ergebnis Ausdruck. Sie bewerteten die Ablehnung
zum großen Teil als Zeichen einer Vertrauenskrise, die in weiten Bevölkerungsschichten Europas zu finden
ist. Sie waren sich auch darin einig, dass das Nein einen Nachteil für Österreich und die anderen kleinen
und mittleren Mitgliedsstaaten der EU darstellt.
So meinte etwa Klubobmann Wolfgang Schüssel (V), "es jubeln die Falschen". Die großen Staaten
könnten notfalls eigene Kanäle entwickeln, die kleineren nicht. Für ihn ist es nun notwendig, bis
Ende des Jahres Klarheit über mögliche Optionen zu haben. Jedenfalls müsse auch in Zukunft der Zusammenhalt
der Mitgliedsstaaten garantiert sein, sagte er, denn ein Auseinanderdividieren sei keine Perspektive. Der zweite
Präsident des Nationalrats Michael Spindelegger (V) sprach sich dagegen aus, nun Teile aus dem Vertrag herauszulösen.
Klubobmann Josef Cap (S) und Abgeordnete Elisabeth Grossmann (S) unterstrichen, die Weiterentwicklung der EU in
Richtung eines sozialeren und demokratischeren Europas dürfe nicht gestoppt werden. Vielmehr müsse die
soziale und demokratiepolitische Frage in den Mittelpunkt rücken, meinte Cap, denn auf Grund der jüngsten
Preisentwicklungen auf dem Energie- und Lebensmittelsektor sowie auf Grund sozialer Schieflagen hätten die
Menschen das Gefühl, PolitikerInnen seien abgehoben.
Dieser Analyse schloss sich Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) an. Sie sprach von einer Vertrauenskrise, gegen die
man etwas unternehmen müsse. Als eine krasse Fehlentscheidung bezeichnete Klubobmann Alexander Van der Bellen
(G) das Votum der Iren, mit dem sie 500 Mill. Europäer an der Weiterentwicklung hindern. Auch wenn dies ein
Ärgernis sei, müsse man aber den Ausgang des Referendums respektieren, bemerkte er.
Auch Abgeordneter Herbert Scheibner (B) bedauerte, dass die Ratifizierung nicht abgeschlossen werden kann, denn
der Vertrag sei seiner Auffassung nach notwendig. Als Konsequenz daraus sah er ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten,
mit einem Kerneuropa im Zentrum.
Klar für den Abbruch des Ratifikationsprozesses und einen Erweiterungsstopp sprach sich Abgeordneter Reinhard
Eugen Bösch (F) aus. Er forderte auch eine Kehrtwende in der Zielsetzung der EU, nämlich die Schaffung
eines Europäischen Staatenverbundes mit einem neuen Grundlagenvertrag. Abgeordneter Heinz-Christian Strache
(F) kritisierte zudem abermals, dass in Österreich keine Volksabstimmung über den Vertrag stattgefunden
hat, was er als einen Ausdruck der Selbstherrlichkeit bewertete.
Bundeskanzler Alfred Gusenbauer sowie Bundesministerin Ursula Plassnik bekräftigten, dass Österreich
dafür eintreten und alles im Bereich seiner Möglichkeiten tun werde, den Vertrag zu retten und ihn in
Kraft treten zu lassen. Sie hätte kein Interesse an einer "Todeserklärung, an Zerstückelungsversuchen
und einer Neuverpackung" des Vertrages, formulierte die Außenministerin pointiert. Ein Ratifikationsstopp
würde eine Bevormundung jener Staaten darstellen, die noch nicht ratifiziert haben. Der Bundeskanzler hielt
auch Lösungsvorschläge wie ein Kerneuropa sowohl theoretisch als auch praktisch für problematisch.
Dieses Konzept gebe keine Antworten auf die Fragen des Vertrags, sagte er, denn dort würden Grundsatzfragen
geregelt, wie das Funktionieren der Institutionen und die Grundrechte.
Beide waren sich darin einig, dass man dem Wunsch Irlands nun entgegen kommen müsse, Zeit für Analysen
zu haben. Dann werde man die weitere Vorgangsweise gemeinsam mit Irland diskutieren und eine Grobstruktur für
einen Zeitplan entwickeln. Zum jetzigen Zeitpunkt könne man keine Optionen ausschließen, aber es sollten
sämtliche rechtlichen Möglichkeiten geprüft werden. Plassnik trat auch für eine Verstärkung
und Verbesserung der Kommunikation der einzelnen Mitgliedsstaaten sowie auf EU-Ebene ein und vertrat die Auffassung,
dass Europa noch mehr bemüht sein müsse, für die BürgerInnen konkrete Ergebnisse zu bringen,
um als ein Europa der Resultate gesehen zu werden.
Mit dieser dargelegten Position für den kommenden Rat zeigten sich die VertreterInnen der Opposition jedoch
nicht zufrieden. Sie wollten konkretere Vorschläge seitens des Bundeskanzlers und der Außenministerin
hören und brachten in diesem Zusammenhang auch zahlreiche Anträge auf Stellungnahmen sowie auf Ausschussfeststellung
ein.
So schlugen die Grünen vor, einen sogenannten "European Act for Democracy", der die Rechte der Europäischen
BürgerInnen erweitert, zur Diskussion zu stellen. Darin sollten die Charta der Grundrechte, die Ziele und
Werte der Union, das europäische Volksbegehren, die Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments,
die stärkere Einbeziehung der nationalen Parlamente, die Kontrollrechte des EuGH und die Öffentlichkeit
der Gesetzgebung enthalten sein.
In einem weiteren Antrag fordern die Grünen unter anderem die rasche Einführung einer Finanztransaktionsteuer
auf europäischer Ebene und EU-weit verbindliche Ziele für den Anteil von Agrokraftstoffen.
Die Freiheitlichen beantragten den sofortigen Stopp des Ratifikationsprozesses und des Erweiterungsprozesses sowie
eine Neuverhandlung eines europäischen Grundlagenvertrages, der einen europäischen Staatenverbund von
souveränen, einander solidarisch verbunden Ländern vorsieht.
Das BZÖ brachte drei Anträge ein. Einer zielte ebenfalls auf eine Vertragsneuverhandlung ab, der ein
Modulsystem und die Möglichkeit eines Kerneuropa der Nettozahler zugrunde liegt. Darin sind nach Ansicht des
BZÖ ein Grundwertekonsens und allgemeine Ziele zu verankern sowie Mindeststandards für einzelne Politikbereiche
festzuschreiben. In einer Ausschussfeststellung möchte das BZÖ einmal mehr unterstreichen, dass künftige
Erweiterungen von der Aufnahmekapazität der EU, der Erfüllung der Kriterien von Koppenhagen sowie von
der Erfüllung der im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses festgelegten Bedingungen und Anforderungen
abgängig sind.
Darüber hinaus fordert das BZÖ den Bundeskanzler auf, sich bei der Formulierung der Schlussfolgerungen
des Rats für die Möglichkeit nationalstaatlicher Interventionen zur Senkung von Preisen in gesetzlich
klar definierten Bereichen einzusetzen.
All diese Anträge der Opposition fanden nicht die erforderliche Mehrheit. |