Sozialausschuss startet Beratungen über Gesundheitsreform   

erstellt am
17. 06. 08

Drei weitere Sitzungstermine anberaumt
Wien (pk) - Der Sozialausschuss des Nationalrats startete am 17.06. seine Beratungen über die Gesundheitsreform. Basis für die Diskussion bildete das von der Regierung vorgelegte Krankenkassensanierungspaket, das nicht nur bei den Ärzten und anderen Betroffenen zum Teil auf breite Ablehnung stößt, sondern heute auch von der Opposition heftig kritisiert wurde. Nach einer ersten Grundsatzdiskussion einigten sich die Fraktionen – auf Grundlage einer Vereinbarung in der Präsidiale – darauf, am Dienstag, dem 24. Juni, und am Mittwoch, dem 25. Juni, zwei Expertenhearings zum Gesetzentwurf durchzuführen und am 3. Juli eine weitere Ausschusssitzung abzuhalten.

Zu den Kernpunkten der geplanten Gesundheitsreform gehören unter anderem die Einrichtung einer Sozialversicherungs-Holding mit weitreichenden Befugnissen, regelmäßige Qualitätsprüfungen von Arztpraxen, ein Kündigungsrecht von Ärzte-Verträgen für die Krankenkassen bei Nicht-Erfüllung von Qualitätskriterien, die Einführung von Patientenquittungen und die Einführung der Elektronischen Patientenakte (ELGA). Außerdem sollen Ärzte angehalten werden, künftig grundsätzlich nur noch den zur Behandlung notwendigen Wirkstoff zu verschreiben, die Apotheken sollen dann das kostengünstigste Medikament auswählen (Aut Idem). Einzelverträge mit Ärzten sind nur in Ausnahmefällen vorgesehen – einigen sich Ärztekammer und Krankenkassen nicht auf einen Vertrag, ist die Einschaltung einer Schlichtungsstelle in Aussicht genommen.

Im Rahmen der Diskussion wurde sowohl der vorliegende Gesetzentwurf als auch die Vorgangsweise der Regierungsparteien von der Opposition scharf kritisiert. Grüne, FPÖ und BZÖ warfen der Koalition vor, nur alibihalber umfangreiche parlamentarische Beratungen durchzuführen und sprachen, wie etwa Abgeordneter Herbert Kickl (F), von einer "Unkultur des Drüberfahrens". Sie zeigten sich außerdem davon überzeugt, dass der Regierungsentwurf verfassungswidrige Punkte enthält. Die Grünen regten an, jene Bestimmungen, die die Kassensanierung betreffen, aus dem Gesetz herauszulösen und die übrigen Punkte des Pakets erst im Herbst zu verhandeln.

Seitens der Koalitionsparteien machte Abgeordnete Sabine Oberhauser (S) auf die Dringlichkeit der Reform aufmerksam und wies wie Abgeordneter Werner Amon (V) den Vorwurf der ungenügenden Einbindung der Opposition zurück. Sowohl Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky als auch Sozialminister Erwin Buchinger betonten, weitere Verhandlungen seien Sache des Parlaments.

Eingeleitet wurde die Diskussion im Ausschuss durch Abgeordneten Herbert Kickl (F). Er mahnte eine intensive Diskussion über den vorliegenden Gesetzentwurf ein und bekräftigte, die Inhalte des Gesetzesvorschlags rechtfertigten das eingeschlagene Tempo nicht. Die FPÖ wünsche sich eine umfassende Diskussion über die gesamte Gesundheitsproblematik, sagte Kickl, seiner Ansicht nach ist man mit dem Entwurf von einer umfassenden Gesundheitsreform jedoch weiter entfernt als je zuvor. Ihm zufolge hat die Koalition für die bestehende "Malaise" die Ärzte als Sündenbock gefunden. Kickl zeigte sich auch skeptisch, dass die geplanten Hearings im Sozialausschuss an der Substanz des Gesetzentwurfs noch etwas ändern.

Ähnlich kritisch äußerten sich die Grünen. Abgeordneter Kurt Grünewald wertete die vorliegende Reform als wenig nachhaltig und prophezeite, dass die Krankenkassen in drei bis vier Jahren wieder vor einem Schuldenberg stehen werden. Überdies bleibt ihm zufolge der teuerste Faktor des Gesundheitswesens, die Krankenanstalten, von der Reform ausgeklammert. Sein Fraktionskollege Karl Öllinger meinte, für eine Gesundheitsreform, die ihren Namen verdient, hätten von Anfang an klare Ziele definiert werden müssen, das sei aber verabsäumt worden.

Öllinger äußerte darüber hinaus die Vermutung, dass der Sozialausschuss nur eine "Staffage" für einen Verhandlungsprozess, der außerhalb des Parlaments geführt wird, abgeben solle. Gleichzeitig bemängelte er, dass die Expertenliste für die Hearings ohne Einbindung der Opposition erstellt würde.

Inhaltlich kritisierten die Grünen unter anderem die künftige gleichberechtigte Mitsprache von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in der Sozialversicherung. Abgeordneter Grünewald machte geltend, dass 3 Millionen Arbeitnehmer 300.000 Arbeitgebern gegenüberstünden und auch der Finanzierungsanteil der Arbeitnehmer durch Selbstbehalte und private Zuzahlungen um einiges größer sei als der Finanzierungsanteil der Arbeitgeber. Abgeordneter Öllinger wies auf Verfassungswidrigkeiten hin und gab zu bedenken, dass sich die angepeilte schlanke Struktur der SV-Holding im Gesetzentwurf nicht wiederfinde.

Abgeordnete Ursula Haubner (B) qualifizierte es als unverständlich, dass Gesundheitsministerin Kdolsky nicht bereits vor der Erarbeitung eines Gesetzentwurfs mit allen Betroffenen gesprochen, sondern lediglich die Sozialpartner eingebunden habe. Ihrer Meinung nach wurde noch kein Gesetzentwurf so "autoritär" erstellt wie dieser. Haubner zufolge handelt es sich beim vorliegenden Entwurf außerdem nicht um eine Gesundheitsreform, sondern um ein "Kassen-Notprogramm". Eine echte Gesundheitsreform bräuchte, so Haubner, ausreichend Zeit.

Ausdrücklich unterstrichen wurde von Haubner, dass der nunmehrige parlamentarische Fahrplan nur auf Druck der Opposition zustande gekommen ist, eine Meinung die auch Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F) vertrat. Belakowitsch-Jenewein appellierte zudem an die SPÖ, sich aus "der Geiselhaft der ÖVP" zu befreien, und brachte vor, dass von der in Aussicht gestellten Finanzierung des Gesundheitswesens aus einem Topf nichts übrig geblieben sei. Auch Abgeordnete Theresia Haidlmayr beklagte, dass die Spitalsfinanzierung im vorliegenden Gesetzentwurf völlig ausgeklammert bleibe.

Verteidigt wurde das Reformtempo von Abgeordneter Sabine Oberhauser (S). Sie wies darauf hin, dass einige Gebietskrankenkassen kurz vor dem Gang zum Konkursrichter stünden und ein Sanierungspaket daher dringend notwendig wäre.

Der Opposition sicherte Oberhauser konstruktive Verhandlungen über den vorliegenden Gesetzentwurf zu. Auch Wünsche der Opposition in Bezug auf die Ladung von Experten seien berücksichtigt worden, bekräftigte sie. Das Ergebnis der Beratungen ist für sie offen.

Abgeordneter Werner Amon (V) sprach von einer "beinahe künstliche Aufregung" der Opposition und wies den Vorwurf zurück, den Zeitplan ohne Einbindung der Opposition erstellt zu haben. Gesprächsverweigerung sei allerdings "keine parlamentarische Kategorie", wandte er sich in Richtung FPÖ. Zur Kritik, die Reform werde nicht im Sozialausschuss, sondern außerhalb des Parlaments verhandelt, merkte er an, es gehöre dazu, dass Parlamentarier auch außerhalb des Sozialausschusses Gespräche führten. Amon geht, wie er sagte, von Abänderungen am Regierungsentwurf aus.

Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky stellte klar, dass es sich beim vorliegenden Gesetzespaket nur um einen Teilaspekt der geplanten Gesundheitsreform handle. Am Ziel, die dualen Strukturen im Gesundheitssystem zusammenzuführen, halte sie weiter fest, versicherte sie. Nächste Schritte der Gesundheitsreform sind ihrer Darstellung nach im Herbst geplant.

Das vorliegende Krankenkassensanierungspaket erachtet Kdolsky aufgrund der massiven Probleme einiger Gebietskrankenkassen für unbedingt erforderlich. Der Ball liegt ihrer Ansicht nach nunmehr allerdings beim Parlament. Die Zugeständnisse der Regierung gegenüber den Betroffenen seien, so die Ministerin, bereits in den Gesetzentwurf integriert.

In weiterer Folge ging Kdolsky auf einzelne Punkte des Reformpakets ein. So verwies sie auf die Bedeutung der Patientenquittung, die ihrer Auffassung nach in erster Linie dazu dienen soll, den Patienten über durchgeführte Leistungen zu informieren. Es dürfe allerdings nicht zu einem unnötigen Verwaltungsaufwand kommen, sagte die Ministerin.

Zur Aut-Idem-Regelung hielt Kdolsky fest, es gäbe viele Länder, in denen dieses System funktioniere. Sie erwartet sich davon keine gravierenden Auswirkungen auf die Patienten. Ziel sei es, den Generika-Anteil an den verschriebenen Medikamenten zu erhöhen. Kdolsky zufolge stehen den Ärzten künftig drei verschiedene Varianten offen: sie suchen sich aus dem Computer selbst das kostengünstigste Generikum heraus, sie verschreiben eine Substanz und der Apotheker wählt das Medikament, der Arzt verschreibt aus guten Gründen ein bestimmtes Medikament.

In Abrede stellte Kdolsky, dass Ärzte zukünftig nur noch befristete Verträge erhalten sollen. Vielmehr würden unbefristete Verträge abgeschlossen, deren Weitergeltung jedoch an gewisse Qualitätskriterien geknüpft sei. Es erstaune sie schon ein bisschen, meinte die Ministerin, dass diese Qualitätskriterien nunmehr "ein solcher Kampfpunkt" seien, schließlich würden die Patienten davon profitieren. Was die Kriterien betrifft, geht es laut Kdolsky nicht um Wirtschaftlichkeit und billige Behandlungen, sondern um Qualitätsanforderungen.

Generell bekräftigte die Gesundheitsministerin, es werde viel neues Geld in das Gesundheitssystem gesteckt, die Forderung nach strukturellen Veränderungen seitens der Regierung sei daher legitim.

Sozialminister Erwin Buchinger betonte, Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfes sei es, die hohe Qualität der Leistungserbringung der Krankenkassen sicherzustellen und bedarfsgerecht weiterzuentwickeln sowie die nachhaltige Finanzierung der Kassen abzusichern. Selbst im wirtschaftlichen Boom-Jahr 2007 hätten acht von neun Gebietskrankenkassen rote Zahlen geschrieben, veranschaulichte er. Seiner Meinung nach ist die vorgesehene Reform auch nachhaltig, weil sie dem Gesundheitssystem auf Dauer zusätzliche Mittel in einem beachtlichen Volumen zuführe.

In Richtung Abgeordnetem Öllinger merkte Buchinger an, "Herr des Verfahrens" sei ab sofort das Hohe Haus. Das Sozialministerium stelle jedoch selbstverständlich seine Expertise zur Verfügung. Die Handlungsfähigkeit der SV-Holding sieht Buchinger durch die Aufstockung der Mitgliederzahl des Verwaltungsrates nicht beeinträchtigt.

Das so genannte Struktur-Änderungsgesetz für die Krankenversicherung und die Organisation der Sozialversicherung (SV-StrÄG) wurde am Ende der ersten Grundsatzdebatte vertagt.
 
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