Frostige Stimmung – nicht nur in der Regierung  

erstellt am
30. 06. 08

Wien (öj) - Über viele Monate hindurch dominierte - neben anderen, aber doch, - die Frage "Volkabstimmung zum EU-Vertrag: ja oder nein" die innen- und außenpolitische Auseinandersetzung und damit die Berichte in heimischen Medien:

Hie SPÖ und ÖVP, die sich strikt dafür stark machten, die Ratifizierung durch Regierung und Parlament und die Unterschrift des Bundespräsidenten als letzte Instanz würde völlig ausreichen. Die Politik, vor allem die Regierung sei dafür gewählt worden, Entscheidungen im Sinne und zum Wohle des Volkes zu treffen.

Da die Opposition, die der Koalitionsregierung einhämmert, daß jemand, der sich dem Volkeswillen entgegensetze, nicht für, sondern eben gegen das Volk regiere.

Als sich nun vor etwas mehr als zwei Wochen die SPÖ eine neue bzw. veränderte Führungsspitze verordnete - was, nebenbei bemerkt, von vielen in der Partei noch nicht goutiert wird - konnte man sich auf die eine oder andere heiße Auseinandersetzung zwischen SPÖ und ÖVP einstellen. "Neuwahl" war noch nicht im Alltags-Sprachgebrauch der agierenden Spitzenfunktionäre. Doch eine umstrittene Aktion von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und dem designierte Bundesparteiobmann, Verkehrsminister Werner Faymann (beide SPÖ) sorgt dafür, daß zwischen den Regierungsparteien frostige Stimmung und Wahlkampftöne herrschen.

Und das kam so:

In der "Kronen Zeitung" erschien am 27. Juni ein Leserbrief von Gusenbauer und Faymann, in dem sich beide, verkürzt ausgedrückt, von der bisherigen konsequenten Pro-EU-Linie der SPÖ verabschiedet haben. Es geht in erster Linie darum, daß bei einer Änderung des bestehenden EU-Vertrages oder bei einer Entscheidung über einen neuen Vertrag jedenfalls die Bevölkerung einbezogen werden soll. Gusenbauer argumentierte, 1994 hätten zwei Drittel der Bevölkerung der EU ihre Zustimmung gegeben, aktuell seien es nur mehr 28 Prozent - daher könne man nicht zur Tagesordnung übergehen. Faymann betonte, dass sich die Politik der Diskussion um die EU stellen müsse. Nicht nur diese Aussagen sorgten unmittelbar darauf für parteienübergreifende Verwunderung, sodern auch der eingeschlagene Weg, dies der Bevölkerung über eine Tageszeitung "auszurichten".

Außenministerin Ursula Plassnik kommertierte dies in einer ersten Reaktion im ORF- Morgenjournal als "aberwitzig in der Vorgangsweise und falsch in der Sache", die SPÖ habe ihre Haltung auf den Kopf gestellt. Das Thema sei wenige Tage zuvor im Ministerrat diskutiert worden und man sei aktiv auf der Suche nach Wegen, das Vertrauen der Österreicher in das europäische Integrationsprojekt wieder zu stärken, wie das auch im gemeinsamen Regierungsprogramm stehe.

Am Vormittag des 29.06. gab es dann im Bundeskanzleramt eine - ergebnislose - "Krisensitzung" der Parteichefs Alfred Gusenbauer und Wilhelm Molterer, an der die Regierungskoordinatoren Werner Faymann und Josef Pröll sowie die Klubobmänner Josef Cap und Wolfgang Schüssel teilnahmen. Es entscheide die Politik mit der Bevölkerung, so Gusenbauer nach dem Koalitionsgipfel. Er sei tief besorgt über die Skepsis gegenüber der EU und wolle mit der Bevölkerung in einen ernsthaften Dialog treten. Österreich werde mit der SPÖ an der Spitze für eine soziale EU kämpfen. Die Position der SPÖ sei richtig für Österreich und auch für Europa, so Gusenbauer. Molterer erklärte, die ÖVP sei enttäuscht, dass die SPÖ-Führung auf ihrem unverständlichen Schwenk in der EU-Politik bestehe. Das sei ein schwerer Fehler der SPÖ-Doppelspitze. Molterer werde den ÖVP-Bundesparteivorstand über die Ergebnisse des ersten Gesprächs informieren, dem weitere folgen sollen. Molterer bedauert, dass die SPÖ die gemeinsame Linie verlassen habe, dass der Grundkonsens in Europa-Fragen nicht mehr gegeben sei und die Regierung keine gemeinsame Position mehr vertreten könne. Man hoffe nun auf klare Worte von Bundespräsident Heinz Fischer, der die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon in verantwortungsvoller Weise begrüßt habe.

Molterer wartet jetzt auf eine Klärung, ob es sich bei dem EU-Schwenk um einen Alleingang der Doppelspitze der SPÖ handele oder ob die SPÖ als Partei hinter der neuen Linie stehe. Präsidiumsbeschluß hat es aber bisher zu dieser Frage noch nicht gegeben. Zu erwarten ist dieser am 07.07., wo einander wesentliche SPÖ-Politiker treffen: die einen üben massive Kritik am Schwenk der Parteiführung, andere wieder stimmen diesem vollinhaltlich zu.

Unverändert sind indes auch die Standpunkte: Gusenbauer und Faymann rücken von Ihrer Forderung (nach Volksabstimmung zu EU-Verträgen, siehe oben) keinesfalls ab, die ÖVP ihrerseits sieht darin eine eindeutige Änderung der Koalitionsgrundlage. Ganz zu schweigen davon, daß einige brisante Entscheidungen anstehen, für die eine konstruktive Regierungsarbeit vonnöten ist: Es herrscht also auch noch Zeitdruck.

Grüne, FPÖ und BZÖ fordern indes ein sofortiges Ende der Auseinandersetzungen. Die Grünen jedenfalls, wie die stv. Bundessprecherin Eva Glawischnig ankündigte, wollen bereits Anfang Juli einen Neuwahlantrag mit Fristsetzung im Parlament einbringen, der also rasch behandelt werden muß.

Welche Chancen dieser auf eine Zustimmung hat, hängt wohl nicht zuletzt davon ab, welche Entscheidungen, die die SPÖ für sich selbst treffen wird. Denn augenblicklich dürften sich Befürworter und Gegner des Gusenbauer/Faymann-Kurses die Waage halten. FPÖ und BZÖ ihrerseits sehen ihre Dauerforderung nach dem Rücktritt der Regierung wiedereinmal bestätigt. (mm)
 
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